18. September 2024
Universität Bern

Missglückter Versuch zur Aufarbeitung der Antisemitismus-Affäre

Nachdem ein Dozent der Islamwissenschaft die Hamas-Massaker am 7. Oktober gelobt hatte, versprach die Universität Bern Aufklärung. Davon ist nicht viel übriggeblieben. Die Verantwortlichen wurden befördert und antisemitische Vorfälle bleiben unaufgeklärt. Ein Bericht von Daniel Rickenbacher.

Kurz nach dem 7. Oktober 2023 veröffentlichte der Arabisch-Dozent A. H. der Islamwissenschaften an der Universität Bern mehrere Tweets auf X/Twitter, in dem er das Massaker an Israelis geradezu lobpreiste. Pikant: Der Angestellte ist der Mann der Institutsleiterin, Prof. Serena Tolino. Erst nachdem die Medien über den Fall berichten, entscheidet sich die Universität Bern zur Entlassung des Arabisch-Dozenten. Seine Chefin und Ehefrau wird vorerst suspendiert. Es ist nicht nur der schwerste akademische Skandal der jüngeren Schweizer Geschichte. Erstmals erfährt die Öffentlichkeit auch über den antisemitischen Geist, der an vielen Abteilungen in Schweizer Universitäten herrscht.

Gastautor Daniel Rickenbacher, Historiker

Schwere Verfehlungen

Ein Untersuchungsbericht des ehemaligen Rektors der Universität Basel, Antonio Loprieno fördert anschliessend Erschreckendes zutage:  Es herrscht eine ideologisch und persönlich motivierte Vetternwirtschaft am Institut für Studien zum Nahen Osten und zu muslimischen Gesellschaften (ISNO) unter Leitung von Tolino. Die Forschungskultur am ISNO sei vom Postkolonialismus geprägt, die “eine grössere Nähe zum politischen Diskurs und ggf. Engagement aufweise” und die “zur vorschnellen Delegitimierung anderer Denkweisen führen kann”. Kurz gesagt: Am ISNO denkt und forscht man nicht offen.

Schwamm drüber

Trotz dieser schweren Verfehlungen bleibt es für die Professorin bei einer Abmahnung. Ihr Institut, das ISNO, wird jedoch aufgelöst und das Fach neustrukturiert. Man kann zu diesem Zeitpunkt mit davon ausgehen, dass es der Universität und ihrem damaligen Rektor, Christian Leumann, bei einer Reform des Fachbereichs Islamwissenschaften ernst ist. Heute, sechs Monate später, ist das so nicht mehr der Fall.

Statt zurückgestuft werden die beiden Hauptverantwortlichen des Skandals geradezu befördert. Wie konnte es so weit kommen?

 

Im August übernimmt eine neue Rektorin das Szepter. Die neue Rektorin, die Literaturwissenschaftlerin Virginia Richter, ist wie Prof. Tolino ebenfalls im Postkolonialismus und in den Gender Studies verortet. Mitte August gibt sie an einer Pressekonferenz die neuen Strukturen der Islamwissenschaften bekannt: Sie werden zum Fachbereich “Mittlerer Osten und muslimische Gesellschaften” umbenannt und bilden fortan nicht mehr ein unabhängiges Institut, sondern werden Teil eines neuen Departements. Tolino und die ihr eng verbundene ehemalige Ko-Leiterin des Instituts, die nach Auffliegen des Skandals Studenten verhört haben soll, behalten nicht nur die Kontrolle über ihren Fachbereich, sondern sind jetzt auch Teil des 9-köpfigen Direktoriums des neuen Departements. Statt zurückgestuft werden die beiden Hauptverantwortlichen des Skandals geradezu befördert. Wie konnte es so weit kommen?

Loprieno: Antisemitismusfrage wird nur indirekt beantwortet

Angesichts der jüngsten Entwicklungen lohnt es sich noch einmal, die Fakten zu rekapitulieren. Eine zentrale Aufgabe des Untersuchungsberichts von Loprieno war nämlich die Aufklärung der Frage, ob der Hamas-Tweet des Dozenten nur ein Unfall war, oder ob er Ausdruck einer generell antisemitischen und antiisraelischen Haltung am Institut war, die die wissenschaftliche Arbeit beeinflusst.

Diese Frage wird jedoch an keiner Stelle des Berichts beantwortet. Auf Anfrage behauptet die Medienstelle der Universität Bern: “Der Bericht der Administrativuntersuchung hält keine antisemitischen Tendenzen am ISNO fest.”

Antonio Loprieno, Verfasser des Untersuchungsberichts, ehemaliger Rektor der Universität Basel

Tatsächlich sieht es der Verfasser des Berichts, Antonio Loprieno, differenzierter. Loprieno macht auf Anfrage geltend, dass die Aussagen der Zeugen in Bezug auf Antisemitismus widersprüchlich waren und die Begrifflichkeiten seit dem 7. Oktober “Gegenstand besonders intensiver Dialektik geworden” sind. Ein “potenziell … justiziables Schriftstück” schien Loprieno deshalb “kein geeignetes Forum für eine abschliessende Beantwortung der Frage …” Er habe sich darum entschieden, die Antisemitismus-Frage nur indirekt durch Untersuchung der Forschungskultur am ISNO zu beantworten.

Kurz gesagt: Loprieno hat keine Aussage über das Vorhandensein von Antisemitismus am ISNO gemacht und nicht, wie von der Universität Bern behauptet, dessen Nicht-Existenz festgestellt. Es ist nicht die einzige Behauptung der Universität Bern, bei der Skepsis angebracht ist.

Wird BDS an der Universität Bern toleriert?

Inzwischen ist bekannt geworden, dass Tolino die antisemitische BDS-Kampagne unterstützt. Kooperationen mit israelischen Forschern und Unis werden abgebrochen. “Das BDSen wir”,  soll ein gängiger Ausdruck am Institut gewesen sein, schreibt die Sonntagszeitung im Februar.

Im Mai besetzen antiisraelische Aktivisten Räumlichkeiten der Universität Bern. Gerüchte machen die Runde, dass auch ISNO-Angehörige beteiligt sind. Die Aktivisten protestieren unter anderem gegen die Entlassung des Hamas-Tweeters und fordern den Boykott israelischer Unis. Rektor Leumann erteilt solchen BDS-Aktivitäten eine klare Absage. “Die … Besetzer fordern damit eine massive Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit. Dies widerspricht jeglichen akademischen Werten und ist absolut inakzeptabel”, lässt er sich zitieren.

Ich wollte deshalb von der Universität Bern wissen, welche Massnahmen ergriffen wurden, damit es zukünftig im Fachbereich von Serena Tolino nicht zu BDS-Aktivitäten kommt und ob die BDS-Unterstützung besprochen wurde. Die Antwort der Uni Bern: “Über den genauen Inhalt der Gespräche mit Prof. Tolino und getroffene Vereinbarungen werden aus Gründen des Persönlichkeits- und Datenschutzes keine Angaben gemacht.”

Der Eindruck drängt sich auf, dass man an der Universität die Tolino-Affäre als erledigt betrachten möchte und der Wunsch nach Aufklärung nicht allzu ausgeprägt ist. Motto: “Augen zu und durch”.

 

Daniel Rickenbacher ist promovierter Historiker und arbeitet in der Analyse und Politikberatung. Er studierte Geschichte, Politik und Religion und forschte an der Universität Basel, der Ben Gurion Universität, der Concordia Universität in Montreal und an der Militärakademie an der ETH.

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