Wenigstens in der Nacht sollen die Jugendlichen auf Handy-Entzug. So sieht es Lehrer Dani Kachel. Bei vielen Schülerinnen und Schülern liegt das Gerät eingeschaltet auf dem Nachttisch, weil sie es als Wecker benutzen. Also bestellte Kachel batteriebetriebene Wecker – bezahlt aus der eigenen Tasche. “Ich habe im Elterngespräch angeboten, einen für die Kinder mit nach Hause zu geben, um die handyfreie Nacht auszuprobieren”, sagt Kachel. 15 Wecker seien bereits bezogen worden. “Den Rest, den ich noch an Lager habe, geht zur Parallelklasse.”
Kachel unterrichtet als Klassenlehrer an der Oberstufe in Bassersdorf ZH: An seiner Schule gelten strikte Handy-Regeln. Surfen, chatten, posten? Das ist im Unterricht und auch in den Pausen nicht erlaubt – das Handy darf weder hör- noch sichtbar sein.
Auch andernorts wehren sich die Lehrpersonen gegen die Smartphone-Plage. An manchen Schulen werden sogenannte Handyhotels geführt, also Kisten oder Regale, in denen die Smartphones während des Unterrichts parkiert werden müssen. Immer öfter gehen die Schulen noch weiter. An der Oberstufenschule in Allschwil BL beispielsweise gilt nicht nur während der Lektionen, sondern auch während der Pause auf dem ganzen Schulareal ein Handy-Verbot.
Digital Detox im Engadiner Internat
Die Notbremse gezogen hat jetzt auch die Eliteschule Lyceum Alpinum Zuoz – als erstes Internat in der Schweiz. Bis vor kurzem war das Smartphone, ausser am Mittagstisch, überall erlaubt. In den Pausen genauso wie im Unterricht. Das habe dazu geführt, heisst es im Umfeld der Schule, dass vor allem neue Schülerinnen und Schüler kaum miteinander sprachen und es etwa zwei Wochen dauerte, bis sie sich endlich mal kennen lernten.
Jetzt gilt: Die Jüngsten von der 1. bis zur 3. Klasse dürfen ihre Smartphones nur abends von 19.30 bis 21.30 Uhr benutzen, die Älteren unter gewissen Bedingungen ab 16 Uhr. Ansonsten gilt: Es herrscht digitaler Detox.
Landauf, landab sind Eltern, Lehrpersonen, Psychologinnen und Politiker besorgt über die hohe Bildschirmzeit von Kindern und Jugendlichen. Sie wird auf bis zu acht bis zehn Stunden pro Tag geschätzt. In mehreren Kantonen wurden Vorstösse eingereicht, um das Smartphone an der Volksschule zu verbieten. Darunter Luzern, Zürich und Zug.
Bereits reagiert hat der Kanton Wallis. Er hat kürzlich Empfehlungen herausgegeben. Zum Beispiel: keine Bildschirmzeit für unter Dreijährige. Im Alter von drei bis vier Jahren maximal 30 Minuten.
Soziale Netzwerke machen Druck
Aber nicht nur Handys stören die Schulstunden – auch die unauffälligeren Smartwatches am Handgelenk. “Beides lenkt vom Unterricht ab”, sagt Ilias Paraskevopoulos. Er war früher selber Lehrer und ist heute Leiter des Volksschulamtes des Kantons Appenzell Innerrhoden. Wie störend es sein kann, wenn es im Klassenzimmer ständig piepst und surrt, weiss er wie viele andere Lehrpersonen auch. “Mit einem Auge immer wieder auf das Gerät zu schielen”, sagt er, “macht es praktisch unmöglich, sich auf den Unterricht zu konzentrieren.”
“Mit einem Handyverbot an den Schulen allein ist es aber nicht getan. Die meiste Bildschirmzeit haben die Kinder in der Freizeit.”
Ilias Paraskevopoulos, Leiter des Volksschulamtes des Kantons Appenzell Innerrhoden
Paraskevopoulos sieht vor allem bei den sozialen Netzwerken ein Problem. Sie fordern permanente Interaktion. “Sind die Kinder nicht aktiv, verlieren sie Freundschaftssymbole.” Beispielsweise auf Snapchat bedeuten Flammen regelmässige Kontakte. Dadurch entstehe ein unglaublicher Druck. Mit einem Handyverbot an den Schulen allein sei es aber nicht getan: “Die meiste Bildschirmzeit haben die Kinder in der Freizeit.”
Smartwatches seien auch nicht immer einfach zu erkennen, erzählen Lehrpersonen. Denn diese sehen oft aus wie gewöhnliche Uhren oder Fitnesstracker und werden teils schon im Kindergarten getragen.
Durchgegriffen hat jetzt auch der Kanton Obwalden. An der Kantonsschule sind in der 1. bis 3. Klasse des Langzeitgymnasiums smarte Geräte, also Smartwatches und Handys, während der Unterrichtszeit und in den Pausen seit diesem Schuljahr untersagt.
Wie weit soll die Digitalisierung gehen?
Dass Kinder und Jugendliche zu Digital-Junkies werden, liegt aber längst nicht nur an den privaten Handys und Smartwatches – auch in der Schule sitzt der Nachwuchs immer öfter am Bildschirm, statt in Büchern zu lesen. “Digitalisierung des Unterrichts” lautet das Motto, schon seit Jahren.
Das fängt schon im Kindergarten an. Dort stehen pro Klasse bereits ein paar iPads zur Verfügung. Praktisch in allen Kantonen bekommt jeder Schüler, jede Schülerin ab der fünften Klasse ein eigenes Gerät.
Doch langsam, aber sicher drängt sich überall die Frage auf: Schadet das nicht mehr, als es hilft?
Zumindest seien die Wirkungen und Nebenwirkungen von digitalen Medien auf das Lernen und die Entwicklung wissenschaftlich noch weitgehend ungeklärt, hält eine Gruppe von Professoren aus dem deutschsprachigen Raum fest. Die Hochschullehrerinnen und -lehrer fordern daher in einem Moratorium einen Marschhalt.
In Schweden lautet die Devise: vom iPad zurück zu Buch und Heft.
Den Rückwärtsgang hat inzwischen Schweden eingelegt, das zu den führenden Ländern in Sachen Digitalisierung gehört. Dort gehen die Kinder seit längerem mit leichtem Thek in die Schule – iPad statt Bücher. Doch mittlerweile gibt es Kritik. Die schwedische Bildungsministerin Lotta Edholm will die Entwicklung bremsen. Zurück zu Buch und Heft heisst die Devise – jetzt werden in Schweden wieder Schulbücher gedruckt. Kürzlich forderte auch die dänische Psychologin Aida Bikic die Schweizer Bildungsverantwortlichen auf: “Machen Sie es nicht so wie wir!” Gibt es also auch in der Schweiz Handlungsbedarf?
Eine Umfrage der SonntagsZeitung bei allen Deutschschweizer Kantonen zeigt: In Bildungsdepartementen zeigt man sich unbeeindruckt von der Kurskorrektur der Skandinavier. “Man kann nicht sagen, dass die Digitalisierung bei uns so weit fortgeschritten wäre wie in den erwähnten Ländern. Deshalb sehen wir aktuell keinen Handlungsbedarf”, sagt Roland Wermelinger vom Kanton Glarus.
In Bildungsdepartementen zeigt man sich unbeeindruckt von der Kurskorrektur der Skandinavier.
So tönt es in allen Kantonen. Beispiel Graubünden: “Die Situation betreffend die Digitalisierung in den Volksschulen unterscheidet sich grundlegend von derjenigen gewisser nordischer Länder”, sagt Curdin Albin vom Kanton Graubünden. Zum einen gebe der Lehrplan 21 die Rahmenbedingungen vor. “Zum anderen gab und gibt es für die Bündner Volksschulen keinen Anspruch auf eine möglichst komplette Digitalisierung des Unterrichts.»
Die junge Generation braucht Kompetenzen
Der digitale Unterricht, so melden die Kantone, fange zurückhaltend an und werde dann laufend gesteigert: Je höher die Stufe, desto mehr Lektionen am Tablet. “Digitales ganz aus dem Unterricht zu verbannen, löst kein Problem”, sagt Linda Müntener vom Bildungsdepartement St. Gallen. Die junge Generation brauche digitale Kompetenzen, aber gleichzeitig auch soziale Fähigkeiten wie Kommunikationsfähigkeit, kritisches Denken oder Kollaborationsfähigkeit.
Für die Bildungsdirektionen ist klar: Neben zukünftigen digitalen Arbeitstechniken werden auch präventive Themen wie Datenschutz, Datensicherheit, Cybermobbing und Umgang mit Bildschirmzeit im Unterricht behandelt – Risiken, die die Kinder im realen Leben immer früher betreffen.