Glosse zum Basler Erziehungsdepartement

Endlich “Kooberation”

Wer sich beim Staat für eine Stelle bewerben will, braucht hervorragende Sprachkenntnisse. Noch wichtiger: einen akademischen Titel. Fälle und Kommata: eher weniger. Ein Beitrag des Journalisten Sebastian Briellmann, der zuerst in der BAZ erschienen ist.

Ein kleines Geständnis vorweg. Von der Überzeugung abgesehen, dass der Staat, vornehm ausgedrückt, eher die Figur eines Michelin-Männchens hat (ein Fall für das Gleichstellungsbüro?), denn dass er an Anorexie leidet, dass er also nicht noch mehr Angestellte braucht: Wie, um Himmels willen, soll man sich überhaupt auf eines der durchaus zahlreich vorhandenen Jobangebote bewerben? Wenn man doch gar nicht versteht, um was es da geht?

Gastautor Sebastian Briellmann, Journalist bei der Basler Zeitung (BaZ)

Natürlich, wer sich nicht seit Teenagerzeiten minutiös auf eine Karriere im öffentlichen Dienst vorbereitet hat, ähem, pardon, also, wer sich nicht für ein Phil-I-Studium entschieden hat: Der hat vielleicht auch nicht die Fähigkeit, sich auf eine Beamtenstelle zu bewerben. Aus einem einfachen Grund: Er wüsste gar nicht, für welche berufliche Aufgabe er sich da genau interessiert. (Und wahrscheinlich blinkt bei einem solchen Profil sowieso bei jedem gemeinen staatlichen Human-Resources-Büro das dunkelroteste Rotlicht. Bloss! Nicht! Einladen!)

 

 

Wer, aus der Privatwirtschaft stammend, zum Beispiel die Leitung “Frühe Deutschförderung” beim Basler Erziehungsdepartement (ED) übernehmen will, weil er denkt: “Momoll, das wäre ja durchaus eine sinnvolle Tätigkeit”, dem leuchtet am Bildschirm das blanke…, also, nun ja, lesen Sie selbst:

Man würde das “selektive Obligatorium” leiten, mit dem ZFF, also dem Zentrum für Frühförderung, arbeitete man “interprofessionell” zusammen. Das alles kann aber nur, wer “Kenntnisse der tertiären Bildungswege” hat – und “solide Kenntnisse im Bereich der Organisationsentwicklung”.

Alles klar?

Man muss dem ED, das diese Stelle ausgeschrieben hat – eine Führungsposition! –, aber ein Kompliment machen. Das ED lernt dazu. Drückt sich klarer aus, spricht die Anspruchsgruppe besser an. Schliesslich geht es ja darum, dass die Basler Kinder besser Deutsch können. Und das ist tatsächlich nicht unwichtig, wenn man bedenkt, dass rund die Hälfte aller Dreijährigen zu einem derartigen Unterricht verpflichtet wird.

Damit sich solche Schlagzeilen nicht mehr inflationär reproduzieren:

“Problemsprache Deutsch” (BaZ).

“Immer mehr Schweizer Kinder können nur ungenügend Deutsch” («20 Minuten»).

“‘Wiederhole bitte’: wenn im Kindergarten nur eines von vier Kindern fliessend Deutsch spricht” (“Neue Zürcher Zeitung”).

Also passt sich das ED gleich selbst den Stakeholdern an. So geht Kundenbindung. Und fordert von den künftigen Deutschfrühförderungsleitern eine hohe “Kooberationsbereitschaft”. Die braucht es sicherlich, um die geforderte “Sprachsstanderhebung” auch zufriedenstellend umzusetzen. Sprachsstand? Sprachstand? Sprachsand? Wie wäre es, zur Auflockerung, dazwischen mal mit einer Spassstandserhebung?

 

 

Danach muss der neue Leiter “entscheiden über das Obligatorium Deutsch vor dem Kindergarten zu lernen” und er muss “die elterliche Pflicht das Obligatorium umzusetzen” überprüfen. Die Aufgabe ist so eminent, dass man sich die Kommata grosszügig sparen darf.

Hauptsache, und das steht natürlich auch im Inserat: Für diese “anspruchsvolle Tätigkeit” verfüge man über “ein” Master in Erziehungswissenschaften oder Pädagogik. Ein Meister für alle Fälle? Kann sicher nicht schaden – schliesslich trifft man in der Verwaltung auf lauter “Masters of the Universe”.

 

 

Zum Glück gibt es weitere wichtige Kriterien. Nebst Deutsch seien auch “weitere Sprachen” von “grossem Vorteil”. Das dürfte nicht gelogen sein…

Klar ist nun auch, wer sich am besten für diesen wichtigen Job eignete: die Dreijährigen, die bereits die Frühförderung absolvieren. Sprachlich halten sie locker mit, eine Fremdsprache können sie auch – und sie kennen das System bereits. Zudem kann das ED aus einem riesigen Pool die fähigste Person aussuchen. Während Private kaum mehr Lehrlinge finden, ist das ein wahrer Luxus. Die Zukunft ist gesichert, daran besteht kein Zweifel.

Und noch einen Vorteil hat dieser Fall: Selbst Kritiker eines aufgeblähten Staates müssen begeistert davon sein. Und ganz ruhig.

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Ein Kommentar

  1. Diese Glosse zeigt das ganze Ausmass der Katastrophe – unterfüttert durch grenzenlose Arroganz gutmenschiger Ausprägung.
    Deshalb haben wir uns entschieden, beruflich nichts mehr mit dem Staat zu tun haben zu wollen. Nie mehr!

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