21. November 2024
Denkmoment

Bildungsnah versus Bildungsfern – oder: ein Erklärungsversuch

Immer wieder begegnet uns die Aussage, dass Kinder von so genannt bildungsnahen Eltern deutliche Vorteile gegenüber Kindern von bildungsfernen Eltern hätten. Erklärt wird der Vergleich meist mit der materiellen Reichtums-Spirale, welche es gut gebildeten Eltern mit hohem Einkommen ermögliche, den eigenen Kindern eine gute Schulbildung zu finanzieren. Doch was meint man mit bildungsnah oder bildungsfern? Und: Lässt sich Bildungsnähe – als rhetorische Frage – auch materiell-unabhängig erreichen?

Bildungsnähe heisst Nähe und Affinität zur Bildung und bedeutet, dass eine Person über ein Bildungs-Curriculum verfügt und dieses durch mehrere Aus- und Weiterbildungen mit Wissen, Können und Fertigkeiten erworben hat. Die erworbenen Kompetenzen ermöglichen ihr selbständiges Denken und Handeln. Umgekehrt heisst bildungsfern, dass eine Person entweder keine Möglichkeit [1] oder kein Interesse an Bildung hat und sich davon fernhält. Sie verfügt deswegen über ein geringes Mass an Bildung [2].

Condorcet-Autor Niklaus Gerber

In Demokratien ist der Bildungsstand Ausdruck der kognitiven Fähigkeiten der darin lebenden Menschen. Die Weiterentwicklung einer Gesellschaft und Volkswirtschaft hängt von Menschen ab, welche in der Lage sind, Probleme und Herausforderungen zu erkennen, sich mit diesen auseinanderzusetzen und zu beurteilen. Auf unser Land bezogen bedeutet dieser Anspruch unter anderem, politische Entscheide kompetent mit herbeizuführen. Dazu braucht es gute Bildung mit selbständigem Denken, also Bildungsnähe.

Bildungsferne bei Abstimmungen im Fokus

In einer direkten Demokratie wie der Schweiz sind bildungsnahe und selbst denkende Menschen das wichtigste Humankapital [3]. Dies zeigt sich unter anderem bei den Urnengängen. Jeweils wenige Wochen vor Abstimmungen und Wahlen nehmen die Werbeaktivitäten der politischen Parteien sprunghaft zu. Wie in einem Blätterwald hängen an vielen Orten Plakate, flattern Flyer in die Briefkästen, erfreuen sich Zeitungsverlage mit Inseraten und vieles mehr. Die Werbebudgets belaufen sich in Millionenhöhe.

Empfängliches Zielpublikum sind insbesondere bildungsferne Wählerinnen und Wähler, die sich beeinflussen lassen. Im Gegensatz zu ihnen stehen die bildungsnahen, stimm- und wahlberechtigten Personen. Sie informieren sich lange im Voraus mit den Themen, über die es abzustimmen gilt. Sie setzen sich mit den entsprechenden Vorlagen auseinander und bilden sich ihre Meinung. Zu ihrer Kernkompetenz gehört ebenso, politische Spiele und Manipulationsgehabe zu durchschauen und einzuordnen. Die Werbung geht an ihnen vorbei.

Fazit: Es gilt, den Willen zu stärken

Bildungsnähe lässt sich erlernen. Auch – um den Kreis zu den Anfangszeilen zu schliessen – ist es möglich, hierzulande aus einem bildungsfernen Milieu eine starke Bildungsnähe zu erlangen. Das Bildungssystem steht grundsätzlich allen interessierten Menschen offen. Einzige Voraussetzung ist der Wille. Und diesen gilt es zu stärken.

 

[1] Bildungsmöglichkeiten hängen – weltweit betrachtet – zum einen mit existierenden Bildungssystemen zusammen, zum andern mit kulturell-  politischen Gegebenheiten. Leider existiert die traurige Tatsache, dass es Länder gibt, in welchen den Menschen Bildung verweigert wird. In der Schweiz hingegen sind die Bildungswege für alle offen.

[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Bildungsferne (Abruf 1.8.24)

[3] «Bildung ist unser Erdöl», aus «Bildungsentwicklung in der Schweiz – quo vadis?», https://www.nord-waerts.com/denkmomente/ (Abruf 3.8.24)

 

Niklaus Gerber, war bis zu seiner Pensionierung im August 2021 Abteilungsleiter und Mitglied der gibb-Schulleitung in Bern und hat sich mit NORDWÄRTS – Kompass für kompetente Führung selbständig gemacht https://www.nord-waerts.com

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