Mit Erreichen der Matur sollten junge Erwachsene in der Schweiz gemäss nationalen Richtlinien Französisch auf dem Niveau B2 oder C1 beherrschen. Schülerinnen auf B2-Niveau können sich gemäss dem gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachniveaus zu vielen Themen spontan und klar ausdrücken. Schüler auf C1-Level kommunizieren fliessend, differenziert und praktisch fehlerfrei.
Das klingt zwar technisch, aber es passt ganz gut: Französisch ist eine schwer erlernbare Sprache. Jede Minute im Unterricht sollte dafür genutzt werden.
Doch das Erziehungsdepartement Basel-Stadt unter der Leitung von Mustafa Atici (SP) stellt das Erreichen dieser Sprachniveaus bei Bestehen der Mittleren Reife nun infrage. Wie aus einer Anfrage an die Regierung von Grossrätin und Gymnasiallehrerin Brigitte Gysin (EVP) hervorgeht, sollen Jugendliche nach der Sekundarschule und beim Übertritt ins Gymnasium Französisch nach sieben Jahren Praxis abwählen dürfen. Stattdessen können sie für die restlichen vier Schuljahre Italienisch lernen.
Konsequenzen auf längere Frist gesehen
Das würde einen Bruch mit der Sprachpraxis bedeuten und Einfluss auf das Sprachniveau haben. Gysin: “Die Schülerinnen und Schüler werden weder in Französisch noch in Italienisch ein genügendes Maturniveau erreichen.” Auf längere Frist gesehen würde dies zu “bildungs- und staatspolitischen Konsequenzen” führen. So könnten etwa in Basel-Stadt ausgebildete Schüler Mühe haben, an Westschweizer Hochschulen zu studieren oder Stellen beim Bund oder in der Diplomatie zu erhalten.
Gysin kritisiert, dass dieser bevorstehende Wegfall des Französisch-Obligatoriums in davon betroffenen Kollegien und Fachschaften an den Mittelschulen wie auch in der Öffentlichkeit zu keinem Zeitpunkt diskutiert worden sei. Aus diesem Grund will die Deutschlehrerin von Regierungsrat Atici einige drängende Fragen beantwortet haben. Unter anderem will Gysin wissen, weshalb er die am zweithäufigsten gesprochene Landessprache künftig zu schwächen gedenke.
Diese Neuerung für basel-städtische Schüler, die beim Übertritt ins Gymnasium ab dem Schuljahr 2027/28 gelten soll, ist auf die national abgestützte und weiterentwickelte gymnasiale Maturität zurückzuführen. Diese von den Kantonen total revidierte Verordnung tritt im August in Kraft. Wie es in dem Dokument der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren unter Artikel 11, Absatz 3 heisst, müssten die Kantone an ihren Gymnasien sicherstellen, dass “die Schüler als zweite Landessprache aus mindestens zwei Sprachen auswählen können”.
Solothurn macht es anders …
Wie Sandra Eichenberger, Sprecherin des Erziehungsdepartements, auf Anfrage erklärt, wird dieser Paragraf in Basel-Stadt wortwörtlich umgesetzt, sodass Gymnasiasten künftig zwischen Italienisch und Französisch wählen könnten.
Anders im Kanton Solothurn. Wie Christa Müller-Lenz, die Verantwortliche für die Berufs- und Mittelschulen, sagt, wird am “obligatorischen Besuch des Grundlagenfachs Französisch als erste oder zweite Landessprache festgehalten”.
Heisst: Wenn Schüler Italienisch wählen, müssen sie Französisch trotzdem “weiterhin” und “zwingend” belegen. Damit soll sichergestellt werden, dass die Gymnasiasten am Ende ihrer Schulzeit nach 13 Jahren Französisch auf dem Niveau B2 bis C1 sprechen können.
“Am Schluss kann man – mit Ausnahme von Englisch – alle Sprachen ein bisschen, aber keine ansatzweise richtig.”
Joël Thüring, SVP-Grossrat und Mitglied der Bildungs- und Kulturkommission
Noch unklar ist die Umsetzung im Kanton Basel-Landschaft. Zwar muss auch dort die Wahlfreiheit im Rahmen der Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität diskutiert werden. Die Baselbieter Bildungsdirektion sagt wegen “laufender Abklärungen” nichts dazu.
In der Basler Politik kommt dieser Plan, nun ja, nicht wirklich gut an. Joël Thüring, SVP-Grossrat und Mitglied der Bildungs- und Kulturkommission (BKK), sagt: “Diese Idee halte ich für nicht wahnsinnig schlau. Allein der Tatsache wegen, dass es sich um eine Nachbarsprache handelt.”
Zudem sei das Niveau bei Fremdsprachen ohnehin bescheiden: “Am Schluss kann man – mit Ausnahme von Englisch – alle Sprachen ein bisschen, aber keine ansatzweise richtig.” Bei vielen Schülern in Basel-Stadt sei ja schon Deutsch die erste Fremdsprache: “Da soll man nicht zusätzlich zu Französisch und Englisch noch eine vierte erlernen können. Das ist sinnfrei.”
SP-Grossrätin und BKK-Mitglied Sasha Mazzotti ist ebenfalls eher skeptisch. Auf Anfrage sagt sie: “Der Impuls bei vielen dürfte sein: lässig, kein Franzi mehr. Aber vom ED erwarte ich eine andere Betrachtung. Es stellt sich die Frage nach dem Rattenschwanz: Schaffe ich dann im Italienisch während der Gymi-Zeit ein Level auf Maturitätsniveau? Und erwarten wir von Maturanden nicht ein besseres Niveau in Französisch, wenn dieses nur bis zum Ende der obligatorischen Schule gelehrt worden ist? Das sind Fragen, die zu klären sind, bevor man entscheidet.”
Und auch Mazzotti sagt: “Es kann nicht sein, dass am Ende jede Fremdsprache ein bisschen beherrscht wird, aber keine richtig.” Zudem findet auch sie, dass der regionale Aspekt “nicht zu kurz kommen” darf. “Auf nationaler Ebene ist das natürlich weniger relevant.” Evaluieren, dann entscheiden, fordert sie, bloss “keinen Schnellschuss”.
Willkommen in Seldwyla?
Die Meinung, dass die von Basel-Stadt geplante Massnahme schädlich ist, vertritt Alain Pichard, der bekannteste Lehrer der Schweiz. Er sagt: “Das ist die konsequente Fortsetzung des bisherigen Kurses der sogenannten Reformer, die den Französischunterricht eigentlich vorwärtsbringen wollten. Getan haben sie das Gegenteil – mit der Einführung von Frühfranzösisch, der Sprachbad-Didaktik und nun das. Nicht wir, die Reformgegner, haben das Französisch demontiert, sondern die Reformierer.” Er wähnt sich langsam in “Seldwyla”.
Er befürchtet zwar noch nicht das “komplette Ende” des Französischunterrichts, aber eine weitere Schwächung sei unbestritten.
“Das ist die konsequente Fortsetzung des bisherigen Kurses der sogenannten Reformer, die den Französischunterricht eigentlich vorwärtsbringen wollten.”
Alain Pichard, pensionierter Lehrer und Condorcet-Autor
Zudem würde Französisch ohnehin schon von Englisch verdrängt, weil es eine extrem komplizierte Sprache mit vielen Ausnahmeregelungen sei. Pichard sagt: “Es erstickt daran regelrecht. Selbst in der zweisprachigen Stadt Biel reden Studenten häufig Englisch miteinander – und sie reden es sehr gut. Gegen diese Entwicklung hülfe nur ein gestärkter Französischunterricht. Nicht das Gegenteil …”