Schon während den Lehrplandiskussionen vor 10 Jahren machten die ersten Kompetenzraster die Runde. Den Anfang machte ein 7-seitiger Beobachtungsbogen, mit dem Kindergartenkinder in St. Gallen vermessen werden sollten. Unvergessen das Beobachtungsmerkmal: “Kann Papier schneiden, ohne die Zunge herauszustrecken”. Das hatte meine Kinder zu einem Lachanfall veranlasst, weil ihrem Vater dieses Behinderungsmerkmal gelegentlich immer noch unterlief.
Dann folgte die Sache mit den überfachlichen Kompetenzen. Auf einer Skala von 1 – 10 sollten in Zeugnissen plötzlich Verhalten und Charakterfragen beurteilt werden, wie “kann sich situationsgemäss ausdrücken” oder “kann mit Vielfalt umgehen”. Ein Ansinnen, das aufgrund eines medialen Shitstorms in der Schublade der Freiwilligkeit verschwand.
Seit einigen Wochen hat nun eine Notendebatte eingesetzt. Losgelöst wurde sie vom Verband der Schulleiter und Schulleiterinnen der Schweiz und dankbar von einer Vielzahl von eifrigen Bildungsreformern aufgenommen, die unsere Schule von Grund auf erneuern wollen. Sie sprechen den Noten jegliche Signifikanz ab. Sie seien ungerecht, ungenau, diskriminierend, willkürlich, unpädagogisch, unwissenschaftlich, fremdenfeindlich. Gefragt sei eine umfassende und nicht eine diskriminierende, sondern eine fördernde Beurteilung. Auf die Frage, was denn die Alternative sei, kommt von den Notenverächtern selten etwas Klares. Tortenkleberli und Rüebli können es ja auch nicht richten. Von der Mercator-Stiftung, ein ganz eifriger Alternativbeurteiler, sind uns aber ausgeklügelte Beurteilungsunterlagen zugänglich gemacht worden [1]. Und damit wären wir wieder bei den guten alten Kompetenzrastern. Als Beispiel sei hier ein Bogen aufgeschaltet, der sich mit einem Lernziel zusammenfassen lässt: Wie werde ich ein Engel.
Jetzt aber “zeige ich Mitgfühl und Verständnis” und schliesse diesen Beitrag.
[1] https://www.zebis.ch/unterrichtsmaterial/kriterienraster-ueberfachliche-kompetenzen
Schulleiterinnen und Schulleiter – alles klar…
Statt Noten also Kreuzchen (jeder nur eins). Ich mach meins immer in der Mitte, wenn mir jemand mit so einer Liste kommt.
Mit der Betonung der überfachlichen Komptenzen will man in erster Linie verdecken, dass die fachlichen erschreckend abnehmen, aber diese sind ja auch nicht wichtig für die Zukunft. Gemäss Tschopp könnnen sich Schüler mittels überfachlichen Kompetenzen mehr Rechte erkaufen (Lernzeit, Lernort): Das heisst, wer nett, angepasst und fleissig ist, bekommt mehr Lerngelegenheiten? Das wäre unglaublich; verdeckter Drill, Erziehung zur Anpassung statt zur Mündigkeit, Reiz-Reaktion statt Bildung etc. Ich stelle nicht nur in dieser Debatte fest, dass grosse Wörter verwendet werden, die nicht verstanden oder sinnlos sind, was ja noch nichts machen würde, dass sich dahinter aber eine Art von Bildungs- und Erziehungsverständnis liegen kann, das uns, würden die tatsächlich bedeutsamen Begriffe verwendet, erschrecken würde. Das ist es, was mir am meisten Sorgen macht.
Abgesehen von der Weltfremdheit solcher Kompetenzraster offenbaren diese Kriterien eine überraschend spiessige, biedermeiersche und althergebrachte Vorstellung von Jugenderziehung. Etwas merkwürdig für die selbsternannten Bildungsrvolutionäre.
P.S. Lernziel – Engel… ein treffender Titel, bringt es auf den Punkt