Um es gleich voranzustellen: Ich bezeichne mich als ein Freund Israels und bin Mitglied der Gesellschaft Schweiz-Israel. Ich bin daher alles andere als neutral. Aber Neutralität entbindet nicht vor der Pflicht auch in einem Diskurs die Objektivität zu bewahren. Als der Aargauer Gymnasiallehrer Markus Häni vor zwei Jahren wegen einer Teilnahme an einer Demonstration gegen die Corona-Massnahmen entlassen wurde, habe ich mit Rückendeckung der Redaktion diese Entlassung kritisiert (siehe: https://condorcet.ch/2021/06/der-fall-markus-haeni-mehr-condorcet-bitte/). Ich schrieb damals: «Die Aussagen von Markus Häni widersprachen der Meinung einer Mehrheit der Redaktion. Aber das Selbstverständnis unserer Autorinnen und Autoren, welche sich dem Toleranzgedanken des Aufklärers Jean-Marie de Condorcet und seiner Frau Sophie de Condorcet verpflichtet fühlen, verbietet diese Art von Zensur. Diese Entlassung ist ein Skandal. Eine Demokratie muss so etwas aushalten.»
Bei Herrn Ashraf, dem Dozenten am Institut für Islamwissenschaft, reichte ich als Mitglied der kantonalen Bildungskommission mit zwei Ratskollegen eine parlamentarische Anfrage ein, in der ich wissen wollte, wie die kantonale Bildungsdirektion zu den Aussagen stehe und ob sich hier personelle Massnahmen aufdrängen würden. Inzwischen hat die Institutsleitung reagiert und den Dozenten freigestellt. Kurz darauf geriet auch seine Vorgesetzte, Dr. Serena Tolino, ins Kreuzfeuer der Kritik. Sie ist die Ehefrau des Dozenten und hat vor Jahren einen Boykott-Aufruf des BDS in Italien zusammen mit 163 italienischen Wissenschaftlern unterschrieben. Dieser Aufruf forderte die Einstellung jeglicher Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten und Gelehrten.
Die Frage ist nicht unberechtigt: Wende ich in diesem Fall Doppestandards an, will heissen: Kritisiere ich im Fall Häni, was ich im Fall Ahsraf befürworte?
Die Verantwortungsfrage
Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass alles, was nicht strafrechtlich relevant ist, auch gesagt werden darf. Wenn wir alle Staatsdiener, welche antisemitische Gedanken und eine Sympathie für die BDS äussern, entlassen würden, würde sich der
Fachkräftemangel massiv verschärfen. Ausserdem sind solche Ansichten verfassungsmässig geschützt. Als Verteidiger Israels, der für das Existenzrecht dieses Staates kämpft, war ich in all den Jahren schon manches gewohnt. Der Tweet von Dr. Ahraf ist aber derart widerwärtig, hasserfüllt und gruselig, dass es mir die Sprache verschlagen hat. Im Prinzip ist es ein Aufruf zur Gewalt! Allerdings füllen solche Entgleisungen derzeit die einschlägigen sozialen Medien zuhauf. Dr. Ashraf outet sich mit seinem Tweet – nicht zum ersten Mal – als ein lupenreiner Antisemit. Dass er diesen Tweet in der aktuellen Situation abgesetzt hat, ist entweder unsäglich dumm oder er hat sich in seinem Biotop zu sicher gefühlt. Da ich annehme, dass man als Dozent der Universität doch über eine gewisse Intelligenz verfügen muss, tippe ich auf das zweite.
Geschützt von seiner Ehefrau und Vorgesetzten, die aus dem gleichen Holz geschnitzt zu sein scheint, dachte er womöglich, dass es auch in dem links-grün dominierten Bern akzeptiert sei, diesen menschenverachtenden Tweet zu veröffentlichen und damit die Grenze des Sagbaren weiter hinauszuschieben. Das Problem bei Herrn Ashraf ist auch seine Funktion. Mit seiner unsäglichen Aussage hat er ein gefährliches Schlaglicht auf sein Institut geworfen. Er ist ein Angestellter einer Universitätsabteilung, die europaweit ein gewisses Renommee besitzt. Unter dem ehemaligen Chef des Instituts für Islamwissenschaft, Professor Rainer Schulze, geriet dieses Institut nie in solche Schlagzeilen. Professor Schulze war zwar durchaus israelkritisch und ein gern gesehener Gast in Talkshows. Aber sein Wirken war von Wissenschaft und Integrität erfüllt. So konnte er sein Institut vor politischer Vereinnahmung bewahren, obwohl die Islamforschung bekannterweise auch ein Magnet für radikal islamistische Studentinnen und Studenten darstellt. Auch die beiden Gründer des Islamischen Zentralrats Nicolas Blancho und Quaasim Illi studierten an diesem Institut.
Wie würde Frau Tolino entscheiden, wenn ein Student der Islamwissenschaften aus Haifa in Bern ein Austauschjahr machen will? Oder ist es am Institut für Islamwissenschaft umgekehrt möglich, dass eine Studentin in Bern ein Austauschjahr in Tel Aviv absolvieren kann?
Mit dem Wirken von Dr. Serena Tolino scheint sich hier ein Wandel vollzogen zu haben. Wer die BDS unterstützt und alle Kontakte zu israelischen Universitäten abbrechen will, ist meiner Meinung nach nicht geeignet, ein solches Institut zu leiten. Wie würde Frau Tolino entscheiden, wenn ein Student der Islamwissenschaften aus Haifa in Bern ein Austauschjahr machen will? Oder ist es am Institut für Islamwissenschaft umgekehrt möglich, dass eine Studentin in Bern ein Austauschjahr in Tel Aviv absolvieren kann? Unsere Verfassung verbietet die Benachteiligung von Menschen aufgrund der Hautfarbe, der Politik, der Religion und der Herkunft. Und eine Universität ist dem Primat wissenschaftlicher Forschung verpflichtet und darf nicht ideologisch vereinnahmt werden. Das fanden auch einige Studentinnen und Studenten des Instituts. Sie protestierten gegen ihren Dozenten und die Leitung und forderten deren Absetzung. Korrekterweise muss ich hier hinzufügen, dass – wie mir kolportiert wurde – die Mehrheit der Studierenden keine grosse Mühe mit diesen Tweets hatte. Des Weiteren haben mich in den vergangenen Tagen auch Informationen erreicht von bestürzten Studentinnen, die mir mitteilten, dass die beiden nur die Spitze des Eisbergs darstellten und einige Lerninhalte von einer krassen antiisraelischen Stimmung durchdrungen seien. Das ginge sogar so weit, dass Israel in gewissen Vorlesungen auf der Karte gar nicht mehr vorkäme. Die Universität hat daher richtig entschieden, ihr Institut mit einer unabhängigen Untersuchung zu durchleuchten. Und mit dem ehemaligen Direktor der Universität Basel, Antonio Loprieno, ist auch die richtige Person mit dieser heiklen Mission beauftragt worden. Diese Untersuchung wird – das lässt sich jetzt schon sagen – noch einiges zutage fördern.
Bei Markus Häni gab es all diese Vermischungen nicht. Er hat sich gegen die Corona-Massnahmen ausgesprochen, er nahm in seiner Freizeit als Redner an Demonstrationen teil und vermied es, sich als Lehrer seines Gymnasiums zu präsentieren. Ausserdem waren seine Worte weder voller Häme noch menschenverachtend.
Grundsätzlich muss auch in der heutigen Situation Israel-Kritik möglich sein. Ich halte nichts von Kundgebungsverboten und Meinungszensur. Das Ehepaar am Institut für Islamwissenschaft hat allerdings die Rolle als Dozierende arg strapaziert und Grenzen verschoben. Deshalb wurde zurecht Hassan Ashraf von der Berner Universität nach Gewährung des rechtlichen Gehörs fristlos gekündigt und eine unabhängige Untersuchung gegen die Institutsleitung eingeleitet.
Ich bin ein grosser Verfechter der Meinungsfreiheit und des daraus sich entwickelnden Diskurses.
Aber wenn ein Uni-Dozent mit offenbar grosser Affinität zum Islam einen brutalen Überfall von Hamas-Terroristen auf israelische Zivilisten als sein grösstes Geburtstagsgeschenk bezeichnet, ist das weit mehr als nur geschmacklos und hat mit Meinungsfreiheit m. E. schlicht nichts mehr zu tun.