28. April 2024
Change Management

Neue Autorität – oder wie man den Lehrern Konzepte verkauft

Condorcet Autor Urs Kalberer berichtet über eine von der Schulkommission angeordnete Weiterbildung an seinem Kollegium. Dabei geht es dem Autor nicht um die Qualität der Arbeit von Haim Omer, sondern um die Umsetzung einer an und für sich interessanten Idee und die Tendenz, vermehrt in das operative Geschäft der Schulen einzugreifen, ganz im Sinne des Change Managements.

Kürzlich gab es in unserem Schulhaus eine schulinterne Weiterbildung zum Thema “Neue Autorität”. Die Coaches waren bestrebt, uns während eines Tages das Konzept dazu näher zu bringen und schmackhaft zu machen. Der Entscheid für die Durchführung dieser obligatorischen Weiterbildung wurde durch die Schulkommission gefällt. Die Schulkommission ist ein vom Gemeinderat eingesetztes Gremium, das aber nicht vom Stimmvolk gewählt wird. Schon nach kurzer Zeit stellten viele Lehrpersonen fest, dass das Konzept der “Neuen Autorität” eigentlich nichts Neues ist und von vielen bereits praktisch umgesetzt wird. Es basiert auf der Theorie von Haim Omer, welcher folgende Grundfrage aufwirft: “Welche Pädagogik/Erziehung braucht es heute, damit es uns gelingt, die Verantwortung für das Kind, seine Entwicklung und die Beziehung auch in schwierigen Situationen zu übernehmen?”

Urs Kalberer, Sekundarlehrer

Es ist ein typisches Beispiel, wie heute Veränderungsprozesse in der Schule umgesetzt werden:

  • Zuerst steht da ein Entscheid einer (demokratisch nicht legitimierten) Behörde ohne Rücksprache mit dem Lehrerteam.
  • Dann sucht man im Pool der Coaching- und Beratungsszene einen passenden Anbieter.
  • Ein obligatorischer Weiterbildungskurs wird durchgeführt.
  • Im Kurs geht es darum, die Angst vor dem Neuen zu nehmen. In unserem Beispiel wird die Neue Autorität als Synthese der traditionellen Autorität und der antiautoritären Erziehung dargestellt.

 

Grafik: Sina neue Autorität

 

  • Und schliesslich kommt man auf den Punkt und stellt die Neue Autorität der traditionellen Autorität plakativ gegenüber. Dabei nimmt man Rückgriff auf die bewährte Technik der Diffamierung des Bisherigen.

 

Grafik: Sina neue Autorität

 

Es handelt sich hier um eine Originalfolie aus der Weiterbildung. Mal abgesehen davon, ob man den Begriff Autorität überhaupt zweiteilen kann, griff der Kursleiter hier zum rhetorischen Zweihänder. Mit dem beigefügten “traditionell” wird erst einmal klar gemacht, auf welcher Seite man zu stehen hat. Dann wird die böse traditionelle der guten Neuen Autorität gegenübergestellt.

Genauso wie wir das schon von der Einführung des LP21 oder der Frühfremdsprachen kennen, wird das Bisherige schlechtgeredet, um den Boden fürs Neue vorzubereiten. Dazu würzt der Kursleiter die böse traditionelle Autorität noch mit furchterregenden Beispielen aus der Vergangenheit.

Wir sehen: Die Zeiten des Change Managements in der Schule sind noch nicht vorbei. Das Kollegium bewertete den Kurs grösstenteils positiv.

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4 Kommentare

  1. Danke, Herr Kalberer, für die feine Analyse.
    Erneuerung ist wohl jedem Lehrer / jeder Lehrerin ein Anliegen. In gesunden pädagogischen Teams findet und hört man kritische Stimmen und nimmt sich Zeit für einen gepflegten Streit über Argumente.
    Schulische Behörden und Autoritäten der Bildung stehen in der Pflicht, ohne Bindungen und Blendungen des Alltagsgeschäfts Neues zu implementieren, nicht zuletzt um sich zu legitimieren. So weit, so gut. Wäre da nicht der missionarische Eifer, den verlorenen Seelen der pädagogischen Heiden DIE frohe Botschaft einzubläuen. Wer solch heilige Gaben ablehnt, legt konsequenterweise Zeugnis ab der Häresie oder der Ignoranz und wird gebrandmarkt mit Begriffen alt, traditionell, herkömmlich, bisherig, …
    Cooler Trick, er funktioniert zuverlässig, gerade dort, wo kritische Stimmen und Zeit zu Diskussion und fachlichem Disput fehlen.

  2. Na – dann habe ich zeitlebens in der sogenannt “neuen” Autorität unterrichtet, die so neu also nicht sein kann, denn ich bin inzwischen pensioniert. Eigentlich erschreckend, denn die neue Autorität ist nichts anderes als schlichte pädagogische Vernunft. Dass die pädagogische Elite erst jetzt darauf kommt, zeigt, wie verkommen sie wirklich war und ist.

  3. Würde Eulenspiegel heute leben, wäre er Coach für pädagogisches Consulting. Er würde den willigen Verantwortlichen und dem interessierten Publikum seine Beratung anbieten, dafür ein vierstelliges Honorar einfordern. Er würde Folien beschreiben mit möglichst abstrakten modischen Reizwörtern. Er würde den immer unter dem Alltagsstress leidenden und mit der Arbeitssituation nie ganz zufriedenen Publikum aufzeigen, wie falsch es die Sache bisher angegangen sei und welche bahnbrechende Methode Erlösung von den Übeln bringen könne. Wenn er die Stadt mit dem prall gefüllten Geldbeutel verlassen hat, bricht allerdings der Alltag mit Gewalt wieder über die Kursteilnehmenden herein. Die Reizwörter entpuppen sich als Schall und Rauch. Es ist wieder wie vorher: Manchmal funktionierts und manchmal nicht.

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