29. April 2024
Volksinitiative im Kanton Zürich

Mit der kantonalen Volksinitiative für Förderklassen wird ein heisses Eisen angepackt

Nun hat auch im Kanton Zürich ein überparteiliches Komitee in Sachen Inklusion die Reissleine gezogen. Eine von FDP und GLP lancierte Volksinitiative verlangt, dass es künftig wieder in allen Gemeinden heilpädagogisch betreute Kleinklassen gibt. Hanspeter Amstutz berichtet.

Im Kanton Zürich kommt Bewegung in die erstarrte Politik bei der schulischen Integration. Mit einer kantonalen Volksinitiative zur Wiedereinführung von Förderklassen soll für die Schulen eine schon seit Jahren geforderte Entlastung geschaffen werden. Die zunehmenden  Klagen unzähliger Klassenlehrpersonen, die angeordnete Integration stark verhaltensauffälliger Schüler in die Regelklassen erschwere einen geordneten Schulbetrieb massiv, sind nicht mehr zu überhören. Auch Eltern reklamieren, dass das Störpotenzial einzelner Schüler konzentriertes Arbeiten der Lernwilligen in manchen Klassen beeinträchtige. Kaum Kritik gibt es hingegen gegenüber Kindern,
die durch eine geistige oder körperliche Behinderung den Regelklassen zugeteilt wurden. Hier besteht vielmehr die Schwierigkeit, dass diese Kinder im Rahmen eines normalen Schulprogramms in vielen Fällen nicht ausreichend gefördert werden können. Klassenlehrkräfte fühlen sich
überfordert, wenn sie einen sehr hohen Betreuungsaufwand für einzelne Kinder leisten und gleichzeitig anspruchsvolle Unterrichtsziele erreichen müssen.

Gastautor Hanspeter Amstutz, Starke Schule Zürich: Nach 17 Jahren des Experimentierens braucht es endlich praktikable Lösungen.

Seit der Einführung des neuen Volksschulgesetzes gilt das Dogma der Integration aller Kinder in die Regelklassen. Keine Schülerin und kein Schüler sollte durch separate Schulung ausgegrenzt und für den weiteren Lebensweg stigmatisiert werden. Was theoretisch gut tönt, hat sich allerdings in der Praxis als kaum zu bewältigende Aufgabe herausgestellt. Eigentlich müssten den Klassenlehrpersonen für die schulische Förderung integrierter Kinder gut ausgebildete Heilpädagoginnen zur Seite stehen. Doch die von Klasse zu Klasse eilenden Spezialistinnen sind oft nicht da, wenn es zu Wutausbrüchen oder Lernblockaden bei den Verhaltensauffälligen kommt. Es zeigt sich, dass das Modell der Totalintegration in stärker belasteten Klassen nicht funktioniert und die Lehrpersonen im Stich gelassen werden.
Die Initiative packt ein heisses Eisen an, indem sie das unselige Dogma der Verunglimpfung separativer Schulung infrage stellt. Im Volksschulgesetz besteht zwar die Möglichkeit, mit viel administrativem Aufwand eine Kleinklasse zu führen. Doch die Hürden mit psychologischen Abklärungen und finanziellem Mehraufwand sind so hoch, dass gerade noch in zwei Zürcher
Schulgemeinden Kleinklassen geführt werden. Man hat in der Bildungsdirektion und an der Schule für Heilpädagogik seit siebzehn Jahren gezielt darauf hingearbeitet, die Kleinklassen im ganzen Kanton abzuschaffen. Heilpädagoginnen werden für eine therapeutische Einzelbetreuung der Kinder ausgebildet und nicht mehr auf die Führung von Kleinklassen vorbereitet. Doch unterdessen
beklagen sich viele Heilpädagoginnen, dass der verzettelte Einsatz in mehreren Klassen aus pädagogischer Sicht für sie völlig unbefriedigend sei.

Der Scherbenhaufen der Totalintegration ist so gross, dass selbst die einstigen Befürworter des Modells zugeben, es sei zu viel schiefgelaufen.

Nach 17 Jahren des Experimentierens braucht es endlich praktikable Lösungen Der Scherbenhaufen der Totalintegration ist so gross, dass selbst die einstigen Befürworter des Modells zugeben, es sei zu viel schiefgelaufen. Linksstehende Politikerinnen fordern deshalb unisono den Einsatz von noch mehr Heilpädagoginnen in den Regelklassen und zusätzliche finanzielle Mittel. Doch die Forderung ist angesichts des Lehrermangels und des bereits arg strapazierten Budgets für die Sonderpädagogik absolut illusorisch. Auf etwas andere Weise streuen ideologische Verteidiger des Integrationsgedankens den Leuten Sand in die Augen, indem sie von neuen Versuchen mit Lerninseln sprechen. Dagegen wäre nichts einzuwenden, wenn nicht wieder ein Absolutheitsanspruch für ein bestimmtes Fördermodell propagiert und die praktische Umsetzung einmal mehr verzögert würde.
Die Schulen haben jetzt siebzehn Jahre lang Zeit gehabt, um Integrationsmodelle zu entwickeln. In der Schulpraxis weiss man längst, was gescheitert ist und welche Alternativen zu Kleinklassen unter gewissen schulischen Bedingungen infrage kommen. Die Bildungspolitik hat in der Integrationsfrage versagt und sollte mit dem Verschiessen von weiteren Nebelpetarden endlich aufhören. Will man den Schulen ehrlich unter die Arme greifen, braucht es den Mut zu flexibleren Lösungen. Die Gemeinden sollen den Entscheid zwischen separativen und integrativen Fördermodellen selbst treffen können.

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2 Kommentare

  1. Inklusion wird keinem Schulkind gerecht. Gern wieder Förderschulen mit besonderer Ausrichtung.
    Blindensschule, Gehörlosenschule, Verhaltensauffällige und geistig Behinderte brauchen anderen Unterricht und anderes Material. Unterschiedliche Wege, die zu einem Minimal-Ziel führen sollen, nämlich die Berufsbildungsreife. Jede Förderschule braucht dafür speziell ausgebildete Lehrer: innen. Oft können verhaltensauffällige Kinder, nur durch persönliche Erfahrung und handwerkliches Tun lernen und behalten. Dafür braucht es Handwerker: innen in Förderschulen und keine wissenschaftlich ausgebildete Sozialpädagogen.
    Ich habe in Bremen zwei Jahre neben einem “wilden” übergriffigen,autistischen Jungen 8/9 KL.mit 5 Schulkindern in einer Förderschule und zwei Jahre neben einem “stillen” autistischen Jungen in der OB mit 22 Schulkindern gesessen. Beide brauchten konsequente Ansagen zum Verhalten und eine Übersetzung und eine Erklärung der akademischen Unterrichtssprache und der zum Teil verqueeren Aufgabenstellung. Das heißt, sie bräuchten eine andere Unterrichtsdidaktik. Alle waren Deutsche aus der Mittelschicht. Ich komme aus der Arbeiterschicht und kann deshalb auch gut und einfach erklären. Als Hauptschülerin fühlte ich mich nie ausgegrenzt, weil meine Eltern keine überhöhten Anspruche stellten. Aus mir ist ein fröhliche Erzieherin und Tischlerin geworden.
    In Deutschland gibt es den zweiten Bildungsweg, für Spätzünderinnen wie mich.
    Es gibt einfache Lösungen. Jeder nach seinen Fähigkeiten, zu seiner Zeit, an seinem Platz, in seiner Rolle und Verantwortung zum Wohle der Volkswirtschaft und den Frieden.

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