19. März 2024
Inklusion

Zynische Professoren

Condorcet-Autor Urs Kalberer wundert sich über die saloppe Art, wie Professoren mit den von der Inklusion verursachten Problemen umgehen.

Im Zusammenhang mit der Inklusions-Debatte bin ich im Buch «Sind Inklusion und Integration in der Schule gescheitert?» 1 auf eine interessante Stelle gestossen:

«Ein Problem entsteht bei den integrierten lernschwachen Kindern durch die direkte Konfrontation mit den leistungsstarken Kindern. Dadurch entwickeln sie im Vergleich zu Kindern in Sonderklassen ein tieferes Selbstkonzept der eigenen Begabung (meine Hervorhebung, U.K.). Das führt aber auch zu einer realistischen Selbsteinschätzung, die ihnen spätestens im Übergang zur Berufsbildung nützlich sein wird.» (Lanfranchi und Steppacher, 2011) 2

«Viele der integrierten Kinder leiden unter der Wahrnehmung ihrer sichtlichen Unterlegenheit gegenüber den anderen leistungsstärkeren Mitschülern.»

Beat Kissling, Autor

Lanfranchi und Steppacher bagatellisieren und verteidigen also die durch die Inklusion verursachte Reduktion des Selbstkonzepts 3, welches ein signifikanter Prädiktor für die schulische Leistung ist.

Der Autor Beat Kissling kommentiert die Stelle folgendermassen: «Viele der integrierten Kinder leiden unter der Wahrnehmung ihrer sichtlichen Unterlegenheit gegenüber den anderen leistungsstärkeren Mitschülern. Das Selbstwertgefühl dieser Schüler werde so stark beeinträchtigt, dass sie sich in ihrer Selbsteinschätzung gar schwächer fühlen oder ihre Fähigkeiten negativer sehen als vergleichbare Schüler in einer Sonderklasse! Umso mehr erstaunt die daran anknüpfende Folgerung oder allenfalls Rechtfertigung der beiden Hochschullehrer, das ‘tiefere Selbstkonzept’ bei diesen Schülern sei ganz hilfreich im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit der Berufswahlfrage, weil ihnen dadurch ihre Schwächen und vergleichsweise mangelhaften Kompetenzen schon zuvor bewusst würden».

Meine erste Reaktion: Wie ist es möglich, dass die Äusserungen von Lanfranchi und Steppacher keine Konsequenzen zur Folge hatten? Das Große Wörterbuch der deutschen Sprache definierte 1999 den Begriff «zynisch» als „eine gefühllose, mitleidlose, menschenverachtende Haltung zum Ausdruck bringend, die besonders in bestimmten Angelegenheiten, Situationen als konträrparadox und als jemandes Gefühle missachtend und verletzend empfunden wird“, der Duden nennt als Erstbedeutung für zynisch „auf grausame, den Anstand beleidigende Weise spöttisch“.

 

 

 

1 Kissling, B. (2022). Sind Inklusion und Integration in der Schule gescheitert? Eine kritische Auseinandersetzung. Bern: Hogrefe.

2 Lanfranchi, A. & Steppacher, J. (Hrsg.). (2011). Schulische Integration gelingt. Gute Praxis wahrnehmen, Neues entwickeln. Kempten: Klinkhardt.

3 Siehe dazu: https://condorcet.ch/2023/05/inklusion-schwaecht-selbstkonzept-von-schwachen-schuelern/

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2 Kommentare

  1. Perfekt analysiert!
    Es ist der gutmenschig veranstaltete Zynismus, den die veranstaltenden Gutmenschen nicht zu erkennen imstande sind. Sie wollen ja nur das ihrer Meinung nach Gute.
    Was aber gefragt wäre, ist Demut. Doch dieses Wort verstehen inzwischen die Wenigsten…

  2. Denn sie wissen nicht, was sie tun!

    Lafranchi und Steppacher wiederlegen sich selbst. Im Namen der Chancengerechtigkeit propagieren sie die Inklusion, die den Inkludieren dann durch ständig schlechtes Abschneiden im Vergleich zu den anderen Lernenden auf brutale Weise vor Augen führt, dass sie a) schwächer sind und es b) keine Chancengerechtigkeit gibt. So führen die zwei Professoren ihr eigenes Anliegen ad absurdum, ohne es offenbar zu merken.

    Neben der unfreiwilligen Offenbarung des eigenen Zynismus entblössen die beiden Inklusionspropagandisten damit aber auch die einer jeden Ideologie inhärente Komponente der Menschenverachtung, die den Menschen letztlich der Idee opfert. Im Kommunismus wurden Ungleiche im Namen der Gleichheit umerzogen bzw. bei Nichterfolg beseitigt während im Faschismus Schwache aussondiert wurden. Bei der Inklusion wird den Inkludierten wissentlich und völlig unbedarft das Selbstwertgefühl reduziert.

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