21. Dezember 2024

Eine Bieler Erfolgsgeschichte – von kaum jemandem wahrgenommen

Condorcet-Autor Alain Pichard stellt einen Ex-Schüler vor, der sich für eine Lehre entschieden hat und heute ein erfolgreicher Unternehmer ist. Seine Geschichte zeigt, dass der Königsweg in den Diskursen über Chancengerechtigkeit nicht immer das Gymnasium und die Universität sein müssen.

Alain Pichard: Neben dem gymnasialen Weg noch viele Möglichkeiten, seine Lebensziele zu erreichen.
Oliver Muttscheller: 2006 machte er sich selbständig.

Oliver Muttscheller verliess die Schule, die damals noch Primarschule Sahligut hiess, im Jahre 1996 und machte eine Lehre als Metallbauschlosser. Er gehörte zum letzten Jahrgang, bevor das Berner Schulsystem auf das Modell 6/3 umgestellt wurde. Die älteren Semester werden sich wohl noch erinnern, dass die Schüler, welche es nicht in die Sekundarschule schafften, weiterhin in der Primaroberstufe unterrichtet wurden. Das waren damals rund 60 % aller Schüler.  Keine Frage – im heutigen 6/3 Modell wäre er sein Sekundarschüler gewesen, wie heute 70 % aller Schüler.

Nach der Lehre bei der Firma Hartmann, die es heute nicht mehr gibt, arbeitete er in verschiedenen kleineren Schlossereien, um sich den einen oder anderen speziellen Handwerkergriff anzueignen und seine Ausbildung zu komplettieren. 2006 machte er sich selbständig. Über mangelnde Aufträge konnte sich mein Ex-Schüler nicht beklagen. Die Auftragsbücher waren prall gefüllt und das kleine Atelier in Bözingen litt bald einmal unter Platznot. 2012 tat sich Oliver Mutscheller mit  seinem Jugendfreund und gelerntem Elektroniker Daniel Bickel zusammen. Sie beiden wurden zu einem Dreamteam. 2013 wurde die Metallbaufirma Mutscheller GmbH gegründet. Die Jungunternehmer suchten zunächst Bauland im Industriegebiet Bözingenmoos. Sie blitzten aber bei den Behörden ab, die sich vor allem für die grossen renommierten Betriebe der Uhrenwirtschaft interessierten.

So mieteten sie sich in einem Atelier von rund 200m2 hinter dem Hirschensaal ein. Die Firma war äusserst erfolgreich und stellte bald einmal die ersten Mitarbeiter ein. Die Platzprobleme aber blieben, an eine vernünftige Produktion war kaum noch zu denken.

Erwerb des Fabrikgebäudes nur mit Übernahme der Giesserei Benoit

Schliesslich meldete sich ein gewisser Herr Benoit bei den beiden. Er lud sie in seine Metallgiesserei ein, die in die Jahre gekommen war. Herr Benoit machte Muttscheller ein Angebot.  Er bot ihm das Gebäude zum Verkauf an, unter der Bedingung, dass die Firma Muttscheller auch die Giesserei mitsamt den 8 Angestellten übernähme. 2018 kam der Deal zustande und die Firma Benoit GmbH wurde von Muttscheller und seinem Geschäftspartner Bickel gegründet. Was jetzt folgte, war eine äusserst erstaunliche Erfolgsstory inmitten von Biel. Die Firma Mutscheller GmbH erwarb das riesige Gebäude am Ausgang der Mattenstrasse kurz vor Unterführung in die Mettstrasse. Die beiden Startupper sanierten mit dem Gewinn ihrer erfolgreichen Metallbaufirma das Gebäude und vermieteten die freien Lokalitäten an Kulturschaffende, einem Crossfit-Zentrum, zwei kleineren Schlossereien, dem Kinderzirkus, dem Loco-Club, einem Physioatelier und einem Kryptostartup. Den eben erst umgebauten obersten Stock haben jetzt vier Künstlerinnen und Künstler aus Zürich gemietet. In deren Metroole sind solche Räume zu diesen Preisen reines Wunschdenken. Die vier werden im Frühjahr nach Biel ziehen. Ein Gang durch das riesige Gebäude offenbart die unglaubliche Kreativtät, Vielfältigkeit und Schaffenskraft der Menschen, die hier arbeiten. Viele Kredite konnten mittlerweile zurückbezahlt werden. Und die Auftragsbücher bleiben prall gefüllt.

Oliver Muttscheller zeigt, dass es neben dem gymnasialen Weg noch viele Möglichkeiten gibt, seine Lebensziele zu erreichen und ein glückliches Leben zu führen.

Ein Fabrikgebäude voller Kreativität

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, nächstens einmal einen der neuen Aufzüge im Insel-Spital benutzen, werfen sie einen Blick auf die wunderbare Verschalung, made in Biel by Mutscheller Metallbau GmbH.

Mittlerweile ist der 42-jährige Familienvater Besitzer eines Einfamilienhauses in Orpund, bezahlt pünktlich seine Steuern und hat insgesamt 38 Angestellte.

Finden keine Lehrlinge!

In intellektuellen Kreisen wird oft über die Chancengleichheit bzw. unser ungerechtes Bildungssystem geplaudert. Der Königsweg in diesen Diskursen ist dabei immer das Gymnasium und die Universität. Oliver Muttscheller zeigt, dass es neben dem gymnasialen Weg noch viele Möglichkeiten gibt, seine Lebensziele zu erreichen und ein glückliches Leben zu führen. Was fehlt Muttscheller noch zu seinem Glück? «Lehrlinge. Wir finden keine Lehrlinge mehr», meint der Unternehmer, «wir haben einige Lehrstellen anzubieten, doch niemand will sie. Ein Metallbauer kann heute fast alles machen und überall arbeiten. Und auch die Löhne stimmen.»

Oliver Mutscheller wäre für mich ein Kandidat für den Bieler des Jahres, der jedes Jahr von der zweisprachigen Zeitung Biel-Bienne vergeben wird.

 

 

 

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Ein Kommentar

  1. Guten Tag Herr Pichard
    Danke für den sehr interessanten Artikel über die Firma Mutscheller, die übrigens auch seit Jahren für uns Metallbauarbeiten ausführt hier in La Heutte. Genau meine Worte! Ich, Jahrgang 60 bin im Mühlefeldschulhaus zur Schule, 9 Jahre, der damalige Lehrer (Kälberer, Ihnen sicher ein Begriff) meinte in der 4. Klasse zu mir, aus mir werde es nie was geben, da ich zu blöde sei in die Sek. zu kommen…Habe ich nie vergessen, hat damals sehr weh getan, und immer wenn ich den Herrn mit zusammengekniffenen Lippen auf seinem rostigen Fahrrad in Biel überholt habe mit meinem Wagen, musste ich mich zusammen nehmen… Ja wenn der Herr Kälberer Heute sehen könnte was sein dummer Primschüler hier in La Heutte auf die Beine gestellt hat, würde der sich wundern. Aber eben, damals wie Heute, ist ein guter Schüler nur, wenn er möglichst in den Gymer geht, studiert, und danach dann nicht weiss wie es weiter geht im Leben. Zum Glück haben alle meine drei Kinder einen anderen Weg eingeschlagen und stehen mit beiden Füssen voll im Leben. Traurige Beispiele von Studierenden die mit 30 Jahren immer noch nicht wissen wie man einen Hammer hält, sehen wir genug im Umfeld von unseren Jungen. Leider sind es dann oft die, die später das Sagen haben, und auf den Baustellen mit ihrem Papierwissen versuchen, den Fachleuten etwas vorzumachen. Entsprechende Beispiele mit vielen Lachern könnten stundenlang aufgeführt werden… Danke noch einmal und weiter so mit Ihren immer sehr spannenden und vor allem treffenden Artiklen. Freundliche Grüsse Heinz Peter La Heutte

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