Was können wir vom koreanischen Bildungssystem lernen?
Ich wüsste nicht, was es vom koreanischen Bildungssystem als System in einem positiven Sinne zu lernen oder gar zu übernehmen gäbe. Die Struktur (Gliederung und Organisation) des Bildungssystems ist stark US-amerikanisch geprägt und insofern bekannt. Lange Zeit hat man sich mehr an Deutschland orientiert, nun aber vor allem an den USA. Mit dem wirtschaftlichen Erfolg versucht Korea nun aber seinen eigenen Weg zu gehen. Korea ist ein selbstsicheres und starkes Land geworden. Die gesellschaftlichen Unterschiede sind allerdings sehr gross, die Reichen benehmen sich wie überall sehr bombastisch und das Leben der bescheidenen Leute ist ausgesprochen hart. Diese Menschen arbeiten sehr viel, für vergleichsweise wenig, und der Sozialstaat ist schwach.
Ich empfand an vielen Orten eine positive Stimmung, eine pädagogische Zuversicht, die nichts mit Institutionen und Bildungsstrukturen zu tun hat, sondern mit den konkreten Menschen.
Gut, dann frage ich anders: Was können wir von den koreanischen Kolleginnen und Kollegen, von den Schulen und der dortigen Pädagogik lernen?
Beginnen wir mal mit mir persönlich. Ich meine, in Korea sehr viel gelernt, gesehen und gehört zu haben, was mich auch pädagogisch beeindruckt hat! Dazu zählen die warmherzigen Umgangsweisen zwischen Lehrerinnen und den Kindern auf Ebene der Grundschule, die klare Struktur der Umgangsweisen, d.h. die Sicherheit, die damit den Kindern gegeben wird. Mir gefällt weiter, dass an vielen Schulen die Lehrerinnen (meist Frauen) den Kindern das Essen am Mittag ausgeben (im Klassenzimmer), nach der fünften Klasse essen die Schülerinnen und Schüler dann in der Mensa. Viele Schulen haben Köche und Köchinnen angestellt, die Schule (bzw. Bildungsbehörde) sorgt dafür, dass jedes Kind eine ordentliche Mahlzeit am Tag erhält (was nicht vorausgesetzt werden kann). Die koreanische Küche gehört übrigens sowieso zu den gesündesten und wenn man sie liebt (so wie ich), dann möchte man auf sie nicht mehr verzichten. Mich
beeindruckt auch der Anstand zwischen den Studierenden, die sich zur Begrüssung und zur Verabschiedung voreinander verbeugen, und wie sie sich freuen, wenn eine Kommilitonin oder ein Kommilitone etwas Bedeutsames im Seminar artikuliert hat, wie sich unterstützen, wie sie sich zurücknehmen, wo sich andere in unserem Kulturkreis gerade hervortun würden. Mich beeindruckt ganz allgemein der Gemeinschaftssinn und beispielsweise die Geselligkeit beim Essen, die Expressivität und Freude, wenn man zusammensitzt und auch trinkt. Ich empfand an vielen Orten eine positive Stimmung, eine pädagogische Zuversicht, die nichts mit Institutionen und Bildungsstrukturen zu tun hat, sondern mit den konkreten Menschen.
Es erstaunt, dass sich in einem derart wettbewerbsorientierten Umfeld ein Gemeinschaftssinn behaupten kann?
Vielleicht habe ich dies zu optimistisch oder etwas „koreaphil“ formuliert. Korea erlebt, glaube ich, eine gravierende gesellschaftliche Veränderung, die in Zukunft, wie andernorts, viele Probleme bereiten wird. Die Bedeutung der Familie verändert sich rapide, in einem Land mit einer der niedrigsten Geburtenraten überhaupt. Viele der jungen Frauen mit Hochschulabschluss können sich nicht mehr vorstellen, auf ihre berufliche Tätigkeit bzw. Zukunft für eine traditionelle Frauen- und Mutterrolle zu verzichten. Viele Frauen haben in den USA studiert oder doktoriert, kommen sie nach Südkorea zurück, bekunden sie lange Mühe, sich wieder in die stark fixierten Vorstellungen über Geschlechtsrollen einzufinden, wenn überhaupt. Damit will ich sagen, die Idee der Gemeinschaft und die gesellschaftliche Realität klaffen auseinander und dieser Prozess wird sich sicher noch verschärfen.
Individuelle Motivation ist in einer Umgebung mit einem hohen Leistungsethos im Grund kaum pädagogische Aufgabe.
Woher nehmen die koreanischen Studentinnen und Studenten die Motivation für diese fast unmenschlich anmutenden Kraftakte?
In einer der TIMSS-Studien, in der Korea, sozusagen, Topleistungen zeigte, ergaben sich gleichzeitig sehr tiefe Werte auf den Skalen Motivation und Interesse. Man kann also auch sehr viel lernen, wenn man gar nicht motiviert und interessiert ist… Individuelle Motivation ist in einer Umgebung mit einem hohen Leistungsethos im Grund kaum pädagogische Aufgabe. Ähnliches findet man auch in Frankreich vor, die Schülerschaft hat dort sozusagen motiviert zu sein, es ist nicht eine primäre Aufgabe im Selbstverständnis wohl sehr vieler französischen Lehrerinnen und Lehrer, die Schülerinnen und Schüler zu motivieren, obwohl sie dies sicher auch tun, doch vor allem indem sie ein Fach und seine Inhalte unhinterfragt vertreten – denn sie repräsentieren die Kultur des Wissens.
Eine Schule, die sich von der Motivation der Schülerinnen und Schüler abhängig macht, hat bald nichts mehr zu melden.
Demnach sind unsere Bemühungen, die Kinder zu motivieren, für die wir seinerzeit auch Handlungsanleitungen erhielten, für gute Schulleitungen nicht unabdingbar?
Wenn nur noch von der Neugierde des Kindes, seinem Hirn, seiner Begabung und seinen Bedürfnissen gesprochen wird, ist dies m.E. als Indiz für eine Krise der Repräsentation zu lesen. Die Schule vertritt die Kultur des Wissens, Könnens und der Einstellungen, welche gesellschaftlich für so bedeutsam und konstitutiv erachtet wird, dass sie tradiert werden soll. Eine Schule, die sich von der Motivation der Schülerinnen und Schüler abhängig macht, hat bald nichts mehr zu melden. Um dies zu verstehen, muss man nicht nach Korea reisen. Im deutschsprachigen und angelsächsischen Raum ist ein stark psychologisierte und am Individuum ausgerichtete pädagogische Sprache festzustellen. Schön! Aber wie motiviert man eine Klasse für die binomischen Formeln oder das Thema der Osmose oder das Futurum II?
Wer es in der Schweiz im Sport oder in der Musik oder in Physik weitbringen will, muss sich als Lernender und Schüler verstehen, und nicht als ein Konsument oder Kunde, der von seinem Lehrer zunächst animiert und motiviert werden muss.
Es gibt keine individuelle Bedeutung für einen Lerngegenstand? Also sollen wir uns auch nicht damit aufhalten?
Das ist m.E. keine psychologische, didaktische oder pädagogische, sondern vor allem eine unsinnige Frage. Die relevante Frage ist eher, welchen Bildungsgehalt erwarten wir von welchem Bildungsinhalt? Und wenn die Schüler fragen, wozu dieser oder jener Lerngegenstand „gut“ sei, so weiss die Lehrperson häufig nicht so viel zu sagen. Die Sinusfunktion zu kennen ist vor allem wichtig, um die Cosinusfunktion zu verstehen. Dann ist meist fertig mit Weitererklären. Die Kommaregeln zu kennen, ist wichtig, um die Kommata richtig zu setzen. Fertig. Ob du, lieber Schüler, motiviert bist, diese Regeln zu lernen, ist mir gleichgültig, aber nicht gleichgültig ist mir, ob du sie lernst oder nicht. Nie wäre es jemandem von uns in Ausserholligen bei Bern in den Sinn gekommen, Kim Myung Soo ernsthaft zu fragen, ob und warum wir diese oder jene Sparringfolge, diesen oder jenen Kick lernen müssen. Niemals hätte Kim Myung Soo eine solche Frage beantwortet, er war TaeKwonDo-Lehrer, er wusste, was er lehrte und er hat es uns ohne Aufregung, aber beherzt und täglich neu gezeigt. Vieles, was der Mensch im Laufe seines Lebens zu lernen hat, wählt er nicht freiwillig. Das Motivationsgerede suggeriert eine Freiheit, die der Schüler gar nicht hat. Wer es in der Schweiz im Sport oder in der Musik oder in Physik weitbringen will, muss sich als Lernender und Schüler verstehen, und nicht als ein Konsument oder Kunde, der von seinem Lehrer zunächst animiert und motiviert werden muss. Das weiss man, in Korea wissen es noch fast alle, scheint es, in der Schweiz viele nicht mehr.
Das tönt jetzt ziemlich paternalistisch. Sollen denn die Schüler nicht gerne in die Schule kommen?
Wenn sie mit Freude kommen, so ist das wunderbar, erzwingen kann man es nicht, einfordern auch nicht. Einer der grossen Unterschiede zwischen institutionalisierter Bildung auf der Ebene der obligatorischen Schule und den mehr oder weniger gewählten Aktivtäten im Sportverein oder in der Musikschule besteht darin, dass es für erstere noch schwieriger bis unmöglich ist, „persönliche Bedeutung“ herzustellen. Warum sollte das Thema Osmose für mich persönliche Bedeutung haben, oder die Drehung eines Dreiecks im Geometrieunterricht? Wenn nur gelernt werden müsste, was die Schüler/innen als persönlich bedeutsam erfahren würden, dann wäre der Schulbetrieb wohl lahmgelegt. Kommen die Schülerinnen und Schüler nicht gerne zur Schule, dann kommen sie eben trotzdem. Es ist normal, dass man Dinge tun muss, die man nicht mag.
Die Motive sind edel, die Sprache kaum reflektiert, eine Überredungsvokabel ersetzt die andere. Es ist ein Gottesdienst, in dessen Zentrum das „Selbst“ oder das „Ich“ steht.
Bei uns sind bedeutungsschwangere Begriffe, wie «Entdeckendes Lernen», «Schülerzentrierter Unterricht», «Integrative Schule», «Lehrer als Lernbegleiter», hoch im Kurs, gelten als die sogenannten positiven pädagogischen Begriffe. Wie sieht das in den südkoreanischen Schulstuben aus? Ist der Reformdiskurs dort auch schon angekommen?
Diese pädagogischen und gut gemeinten Überredungsvokabeln gewinnen auch in Südkorea immer grössere Bedeutung und immer mehr wird zwischen „traditional education“ und „progressive“ oder „contemporary education“ unterschieden. Dass das (alte) Kind mit dem (neuen) Badewasser weggespült wird, erscheint mir fast unvermeidlich zu sein. Darüber müsste man lange sprechen, um nicht missverstanden zu werden. Nicht so viel am Guten ist neu, nicht so viel am Neuen ist wirklich gut oder besser, würde ich sagen. Die pädagogische Phraseologie und Sloganistik erreicht mit der Zeit ja jede Ecke der Welt, scheint es. Die Motive sind edel, die Sprache kaum reflektiert, eine Überredungsvokabel ersetzt die andere. Es ist ein Gottesdienst, in dessen Zentrum das „Selbst“ oder das „Ich“ steht.
Die Geldgeber verstehen das Wort „Kapital“ besser als „Kompetenz“
Und wie steht es mit der Kompetenzorientierung?
In einem gewissen Sinn sind die Koreaner dem Westen hier sogar voraus: das Wort „Kompetenz“ hat nicht den gleichen Stellenwert wie hier, aber dafür das Wort „Kapital“…, denn, wenn der überwiegende Teil des Hochschulsystems privat finanziert wird, manche Universitäten einer oder mehreren Firmen gehören, etwa Korean Air, dann ist dies nachvollziehbar, so dient Bildung plötzlich dem „spiritual capital“ oder dem „aesthetic capital“. Die Geldgeber verstehen das Wort „Kapital“ besser als „Kompetenz“, und sie helfen nun quasi mit, ökonomisches Kapital vorübergehend in kulturelles Kapital zu transformieren, welches sich dann wieder auf das ökonomische positiv auswirken soll.
Das ist jetzt interessant. Wir, die Kritiker der Kompetenzorientierung, sprechen ja von einem ökonomistischen Bildungsverständnis. In Korea steht man offensichtlich unverblümt dazu.
Ich möchte behaupten, dass Südkorea und die Schweiz etliche Parallelen aufweisen, es sind zum Beispiel sehr pragmatisch orientierte Länder, die historisch von imperialen Mächten oder zumindest imperialem Machtgehabe umringt waren, selbst aber nicht zu Imperien aufsteigen konnten und wollten. In dieser Situation ist es wichtig, verhandeln zu können, sich anzupassen und eine pragmatische Politik zu pflegen. Somit werden auch fast alle Floskeln des zunehmend globalen Bildungsdiskurses umstandslos übernommen.
Da fällt mir die Floskel «Digitales Lernen» ein!
Genau, oder jene des „selbstorganisierten Lernens“! Wie man sich digitale Lernprozesse der Schülerinnen oder des Schülers vorstellen soll, ist natürlich unklar, weil es ein Unsinn ist. Die lernende Person mag sich vielleicht mehr oder weniger gut selbst organisieren, wenn es um ihr Lernen und ihre Bildung geht, aber doch nicht das Lernen! Die Schüler mögen digitale Medien im Unterricht benutzen, doch das macht aus dem Lernen noch lange kein digitales Lernen. Die damit zum Ausdruck kommende mangelnde Sprachpflege ist ein Übel. Doch nur mit einer solch devianten Sprache kann auch wirksame Bildungspolitik gemacht werden, scheint es. Wäre man genauer und bescheidener, würde sofort auffallen, wie banal oder konfus die unreflektierten Neologismen sind, die den sogenannten pädagogischen Diskurs prägen.
Verlassen wir diesen Reformdiskurs und wenden uns wieder Südkorea zu. Wie unterrichten die koreanischen Lehrkräfte? Wir stellen uns hier im Westen immer einen nach militärischen Prinzipien knallhart durchgeführten Frontalunterricht vor.
Das ist wieder eines dieser Vorurteile. Ich war beeindruckt von den wenigen Einblicken in das „Classroom Management“ an koreanischen Schulen, vor allem vom Umgang mit Unterrichtsstörungen. Da habe ich mich später auch in der Fachliteratur darüber informiert. Wer ein koreanisches Klassenzimmer betritt, ist vielleicht erstaunt, wie lärmig und scheinbar chaotisch es darin zugehen kann. Doch der Schein trügt. Speziell von den jüngeren Kindern wird nicht erwartet, dass sie sehr lange stillsitzen können, aber es wird gemeinsam geübt, in welcher Situation und bei welchem Verhalten (Zeichen) der Lehrerin sie ganz sicher still sein müssen. Von solchen Führungspraxen könnte man viel lernen: geführt wird die Klasse, und nicht einzelne Individuen, dem sozialen Zusammenspiel wird viel Bedeutung zugeschrieben. Statt sich dauernd dem einen Kind zuzuwenden und es zu mahnen, weil es den Unterricht stört, wird die Lehrerin vielleicht eher die ganze Klasse auffordern, aufzustehen und einen eingeübten Sprechgesang zu wiederholen. Dann setzen sich alle wieder und es ist für zehn Minuten Ruhe, niemand weiss wirklich, dass dies alles wegen des einen Schülers geschieht, dieser selbst weiss es vielleicht am wenigsten. Solche kleinen Beobachtungen und Berichte sind sicher nicht repräsentativ oder als typisch zu bezeichnen, aber sie geben dem Besucher einen Einblick in andere Möglichkeiten, z.B. eine Klasse zu führen.
Wie hoch ist der Digitalisierungsgrad in den südkoreanischen Schulen einzuschätzen? Und vor allem, wie stark bestimmen «Algorithmen» den Unterricht?
Der Einsatz von digitalen Medien ist sehr verbreitet und ich wüsste nicht, wo die digitalen Medien eine noch grössere Akzeptanz und Verbreitung haben als in Südkorea. Die Selbstverständlichkeit der Nutzung digitaler Medien ist beachtlich und wirkt sozusagen „natürlich“, da wird auch nicht so ein „neomanischer Hype“ drum herumgemacht. Eindrücklich ist m. E. eher, dass es Korea bisher noch schafft, sowohl sehr traditionell verhaftet als auch technologisch ausgeprägt avanciert zu sein. Der Digitalisierungsgrad ist sicher höher als in der Schweiz. Wie stark die Digitalisierung hingegen didaktisch vorangeschritten ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Allerdings habe ich schon vor Jahren interessante „Tools“ im koreanischen Unterricht gesehen, von denen ich bis dato nichts wusste.
Diese enorme Vielfalt vor der eigenen Haustüre! Oioioi, und diese riesige Einfalt in der Ferne…
Kann man die Ostasiatischen Staaten wie Vietnam, Japan, China, Taiwan, Hongkong oder Singapur vergleichen? Oder gibt es dort, wie auch in Europa markantere Unterschiede?
Soweit ich darüber Auskunft geben kann, so würde ich meinen, dass die Unterschiede zwischen den ostasiatischen Ländern sehr gross sind, während es von einer abstrakten Aussenperspektive nicht der Fall zu sein scheint. Das ist sowieso die Crux beim Vergleichen von „Kulturen“, dass man das Augenmerk entweder auf Differenzen oder auf Gemeinsamkeiten richten kann. Natürlich ist es angemessen, beides im Fokus zu haben. Ich hatte vor allem Einblicke in Korea und in Japan, kenne aber auch Kolleginnen und Kollegen aus China, Taiwan, Hong Kong und Vietnam, welche übrigens selbst sehr interessiert sind
an Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer Länder. Jean François Billeter, Genfer Sinologe und Philosoph, liegt sicher ganz richtig mit der Meinung oder Empfehlung, dass es gut ist, von den Gemeinsamkeiten auszugehen, denn dann würden sich die Unterschiede von allein zeigen. Gehe man aber a priori von den Unterschieden aus, würde man die Gemeinsamkeiten nicht mehr erkennen. Das ist eines der Übel in unserer differenzbetonten und identitätspolitisch geprägten Zeit. In Basel-Stadt mag man meinen, Basel-Landschaft sei nun etwas wirklich ganz Anderes, kaum zu vergleichen, ja allein der Unterschied zwischen Kleinbasel und Grossbasel erscheint markant. Komischerweise sind gleichzeitig 330 Millionen Amerikaner alle gleich und die 1,4 Milliarden Chinesen sowieso. Es sollte zu denken geben: Diese enorme Vielfalt vor der eigenen Haustüre! Oioioi, und diese riesige Einfalt in der Ferne… Kurz, es gibt so vieles, worin wir Menschen überall gleich sind – etwa in unseren Grundbedürfnissen – und es gibt eine wunderbare Vielfalt zwischen den Menschen. Es ist aber ganz sicher ein Fehler zu glauben, kulturelle Differenzen würden entlang von z.B. national, ethnisch oder religiös gedachten Grenzen verlaufen. Es kommt hinzu, dass die Unterschiede innerhalb von Menschengruppen meist wesentlich grösser sind als jene zwischen den Gruppen. Um doch ein wenig konkreter auf Ihre Frage einzugehen, Südkorea ist – zum Beispiel im Unterschied zu China – ein demokratischer Rechtsstaat und nicht nur schamanisch, konfuzianisch, daoistisch und buddhistisch geprägt, sondern – und das ist in der ostasiatischen Region besonders – auch stark christlich (etwa 30 % der Südkoreanerinnen und Südkoreaner sind Christen). Von den sprachlichen Unterschieden, den unterschiedlichen Schriften etc. ganz zu schweigen…
Eine gekürzte Variante dieses Gesprächs wurde am Samstag, den 6.3.21 in der NZZ veröffentlicht. Wir danken Herrn martin Beglinger für die Bearbeitung.
https://www.nzz.ch/gesellschaft/bildungswunder-suedkorea-konfuzius-autoritaet-und-auswendiglernen-ld.1602013
Das ist doch ein gutes Schlusswort. Herr Reichenbach, ich danke Ihnen für das Gespräch.
“Roland Reichenbach, Jg. 1962, ist seit 2013 Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich, zuvor Professuren an der Universität Münster (2002-2008) und der Universität Basel (2008-2012). Forschungsschwerpunkte: Bildungsphilosophie, Pädagogische Ethik, Politische Bildung und Verhandlungsprozesse.
2020 erschien der Band Confucian Perspectives on Learning and Self-Transformation. International and Cross-Disciplinary Approaches. Herausgegeben von Roland Reichenbach und Duck-Joo Kwak. Amsterdam u.a.: Springer.