21. Dezember 2024

Algorithmen oder freier Wille?

Die Nutzung von Social Media führt uns in ein Dilemma. Felix Hoffmann beschreibt es.

Felix Hoffmann, Sekundarlehrer, BL, Mitglied LVB, Starke Schule beider Basel

Datenschützer sorgen sich um die Datensicherheit an Schweizer Schulen. Anbieter wie Microsoft, Google oder Apple könnten im Rahmen der Digitalisierung Personendaten ohne Zustimmung der Lernenden verkaufen. Die Antwort der EDK auf diese Gefahr lautet Edulog. Abgesehen vom vereinfachten Zugang zu den Online-Diensten im Unterricht schützt Edulog “persönliche Daten, sichert die digitalen Zugänge und schafft Vertrauen für das Lernen im digitalen Kontext”. [1] Doch wie aussichtsreich sind solche Bemühungen beim Datenschutz?

Am stärksten untergraben werden sie von den Lernenden selbst. Die meisten unter ihnen benutzen Handys mit dem Google-Betriebssystem Android. Das Google-Geschäftsmodell basiert auf der Akquisition und dem Verkauf von Kundendaten zwecks Werbung. Diesem Geschäftszweck dienen sämtliche Dienstleistungen, also u.a. Googles Suchmaschine, Google Chrome, Google Maps, Google Earth, YouTube und sämtliche auf Google Play angebotenen Apps. Bezahlt werden diese Angebote also nicht mit Geld, sondern mit persönlichen Daten, dem sogenannten Rohstoff des 21. Jahrhunderts.

Ein Ausweichen auf Apple ist keine echte Alternative. Die Google-Suchmaschine ist nämlich als Standard-Einstellung auf iOS, dem Betriebssystem für das iPhone und iPad, und auf macOS, dem Betriebssystem für Laptop- und Desktop-Computer von Apple, vorinstalliert. [2] Dafür kassiert Apple jedes Jahr Milliardenbeträge. [3] Es braucht folglich einiges Geschick, die Voreinstellungen zu ändern. Gegen Apple wurde zudem Klage eingereicht wegen unrechtmässiger Weitergabe von Informationen über iTunes-Käufe von Nutzern sowie deren persönliche Daten. [4] Gibt es anderweitige Alternativen?

Kai Strittmatter: Vorsicht geboten

Auch China verfügt über hochentwickelte Computer- und Informationstechnologie. Dort sind u.a. die sechs der zehn weltweit grössten Handyhersteller ansässig. [5] Und auch bei der Entwicklung von 5G, dem neuen Mobilfunkstandard, spielen die Chinesen mit Huawei, ZTE und CATT ganz weit vorne mit. [6] Kai Strittmatter, ehemaliger SRF China-Korrespondent und Autor des preisgekrönten Werks, Die Neuerfindung der Diktatur, mahnt jedoch zur Vorsicht: “Wenn man sich das Land anschaut und wie es mit seinen Firmen umgeht, dann ist am Ende entscheidend, ob man der Kommunistischen Partei Chinas vertrauen kann. Jede chinesische Firma ist laut Gesetz dazu verpflichtet, alle ihre Daten und Geheimnisse im Interesse der nationalen Sicherheit der chinesischen Regierung und der Kommunistischen Partei auszuliefern. (…) Ich vertraue ihr nicht und ich würde allen demokratischen Regierungen dazu raten, mit diesem Vertrauen sparsam umzugehen.” [7]

Amerika und China stehen für unterschiedliche Ideologien, die eingesetzten Mittel zum eigenen Vorteil aber sind die gleichen.

Letzten Endes haben wir also die Wahl: Wir lassen uns von der kommunistischen Partei Chinas ausspionieren, u.a. auch über Alibaba, Lenovo, Haier, Vivo, Xiaomi, oder wir überlassen dies den amerikanischen Hightech- und Social Media-Konzernen. Amerika und China stehen für unterschiedliche Ideologien, die eingesetzten Mittel zum eigenen Vorteil aber sind die gleichen. Ergo liesse sich aus fatalistischer Perspektive argumentieren, der Staat könnte sich aus der Verantwortung nehmen, was den Datenschutz zugunsten der Schülerschaft betrifft. Doch so einfach ist die Sache nicht.

Ein demokratisches Staatswesen hat die Grundrechte der Bürger zu schützen
Wir sind ein demokratisches Staatswesen, das im Wesentlichen die Aufgabe hat, dessen Bürger und deren Grundrechte zu schützen, also u.a. die Privatsphäre [8] und die persönliche Freiheit [9]. Letztere allerdings ist heutzutage gefährdet. Denn Freiheit, insbesondere Wahlfreiheit innerhalb eines demokratischen Rahmens, basiert auf der Verfügbarkeit möglichst ausgewogener Information. Diese jedoch wird untergraben durch die Filterblasen [10], denen wir uns u.a. auf den Social Media-Plattformen ausliefern. In der Folge verliert die vierte Gewalt, insbesondere die Printmedien, als Informationsdistributorin und Hüterin über die anderen drei Gewalten zunehmend ihre Leserschaft [11], wodurch ihr auch die Werbekunden abhandenkommen. [12] Die dadurch entstehenden Manipulationsmöglichkeiten mittels Datenauswertung auf Google, Facebook & Co. führen sodann unmittelbar zu Donald Trump [13] und Brexit. [14]

Wahl zwischen Sodom und Gomorrha

Ein Spannungsverhältnis

Trotz dieser Problematik steht der demokratische Staat, was den Datenschutz betrifft, also in der Verantwortung gegenüber den Schülerinnen und Schülern. Es geht ihn aber nichts an, was diese im Privaten tun, wem sie also freiwillig ihre persönlichen Daten überlassen unter Gefahr der Manipulation. Das sind persönliche Entscheide auf Grundlage individueller Freiheit innerhalb eines demokratischen Staatswesens. Der Rechtsstaat hingegen bzw. dessen Organisationen, wie die Volksschule, darf seine Bürger weder aktiv noch passiv über Dritte überwachen oder manipulieren. Ein Spannungsverhältnis besteht hier zwischen staatlicher Schutzpflicht und persönlicher Freiheit einerseits sowie zwischen staatlicher Schutzpflicht und diesbezüglich abnehmender staatlicher Fähigkeit andererseits.

Vor die Wahl gestellt zwischen Social Media bzw. Gratisapps einerseits und Schutz vor Datenklau andererseits würde sich die Mehrheit vermutlich für das Gratisspielzeug entscheiden.

Die Digitalisierung schreitet so rasch voran, dass ein demokratisch organisierter Staat gesetzgeberisch damit kaum Schritt halten kann. Dies ist mit ein Grund, warum Demokratien vermehrt unter Druck geraten. [15] Paradox dabei ist, dass Google, Facebook, Whatsapp & Co. die Demokratie genauso aushöhlen wie etwaige Versuche, diese Aushöhlung staatlicherseits zu unterbinden. Denn für dieses Unterfangen gäbe es voraussichtlich keine demokratische Legitimität: Vor die Wahl gestellt zwischen Social Media bzw. Gratisapps einerseits und Schutz vor Datenklau andererseits würde sich die Mehrheit vermutlich für das Gratisspielzeug entscheiden. Demokratie fusst letztlich auf freiem Willen, mit dem sie sich folglich aushebeln lässt. Die Algorithmen der Datenkraken kommen der menschlichen Natur anscheinend näher als die Idee des freien Willens. Haben die Neurologen somit Recht, die dessen Existenz mit weitreichenden Folgen in Frage stellen. [16]

 

[1] http://www.edk.ch/dyn/32636.php

[2] https://www.macwelt.de/a/apple-wir-verkaufen-keine-nutzer-daten-erst-ab-9-mrd-usd,3439674

[3] https://www.watson.ch/digital/analyse/445028003-datenschutz-als-killerfeature-und-was-apple-aendern-muss

[4] https://www.bloomberg.com/news/articles/2019-05-24/apple-sued-for-selling-customers-itunes-information

[5] https://androidmag.de/news/branchen-news/die-10-groessten-smartphone-hersteller/

[6] https://www.produktion.de/wirtschaft/diese-10-unternehmen-haben-bei-5g-die-nase-vorn-101.html

[7] https://www.srf.ch/news/international/chinas-machtanspruch-xi-jingping-erfindet-die-diktatur-digital

[8] Schweizerische Bundesverfassung, Artikel 13, Absatz 2: “Jede Person hat Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten.” https://www.bv-art.ch/art-13-schutz-der-privatsphare.html

[9] https://www.bv-art.ch/art-10-recht-auf-leben-und-auf-personliche-freiheit.html

[10] Filterblasen entstehen, “weil Webseiten versuchen, algorithmisch vorauszusagen, welche Informationen der Benutzer auffinden möchte – dies basierend auf den verfügbaren Informationen über den Benutzer (beispielsweise Standort des Benutzers, Suchhistorie und Klickverhalten). Daraus resultiere eine Isolation gegenüber Informationen, die nicht dem Standpunkt des Benutzers entsprechen.” Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Filterblase

[11] https://www.srf.ch/news/wirtschaft/printmedien-verlieren-ihre-leser

[12] https://mmm.verdi.de/medienwirtschaft/weniger-werbeeinnahmen-fuer-printmedien-43163

[13] https://www.arte.tv/de/videos/082806-000-A/fake-america-great-again/

[14] https://www.srf.ch/sendungen/echo-der-zeit/beeinflusste-cambridge-analytica-verbindung-den-brexit-entscheid

[15] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/strategiepapier-doping-fuer-diktaturen-auswaertiges-amt-warnt-vor-gefahren-durch-digitale-technologien/25195492.html

[16] https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/gehirn/tid-13397/forschung-wieso-freier-wille-eine-illusion-ist_aid_370853.html

image_pdfAls PDF herunterladen

Verwandte Artikel

Tausendkünstler*in

Immanuel Kant warnt in seiner «Grundlegung zur Metaphysik der Sitten» davor, zu viele Geschäfte zugleich zu treiben. Denn wo «jeder ein Tausendkünstler» sei, da würden «die Gewerbe noch in der größten Barbarei» liegen. Dagegen hätten alle «Gewerbe, Handwerke und Künste» durch «die Verteilung der Arbeiten gewonnen», um sie besser und mit mehr Leichtigkeit leisten zu […]

Das wird Caroline Emcke nicht gerecht

Ein weiterer Artikel in der Rubrik “Grosse Denkerinnen und Denker” gab zu reden. Mit der Kritik an Caroline Emcke ist Condorcet-Autor Georg Geiger überhaupt nicht einverstanden. Er wirft der Redaktion eine verkürzte Darstellung vor und fordert neue Debattenformate.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert