Vor kurzem war ich an einem Bildungs-Podium der NZZ zu Gast, an dem auch die ehemalige SP-Nationalrätin Chantale Galladé (heute GLP) teilnahm. Kurz, aber wirklich nur ganz kurz wurde die Qualität der Lehrkräfte angesprochen. Frau Galladé, Präsidentin der Kreisschulpflege Winterthur Stadt-Töss, liess sich hier sehr schnell zu einem Bekenntnis hinreissen: «Die Lehrkräfte in meinen Schulkreise sind gut!» Ein ähnliches Votum höre ich jedes Jahr, dann nämlich, wenn unser Schulkommissionspräsident sich zu Beginn des Schuljahres an die Eltern unserer neuen Schülerinnen und Schüler wendet: «Ihre Kinder werden eine gute Schule besuchen!» Einmal, als wir die Aula verliessen, fragte ich ihn: «Woher weisst du das eigentlich, dass wir eine gute Schule sind?» Er schmunzelte und antwortete: «Aus dem Gespräch mit den Leuten.»
«Es gibt miserable Lehrer, das muss man doch feststellen und sagen dürfen!»
Eine völlig andere Rückmeldung erhielt ich vor zwei Jahren von einer sichtlich erbosten Mutter aus dem Publikum, die uns Kritikern der Outputorientierung und des Lehrplans in Solothurn in der Fragerunde zurief: «Es gibt miserable Lehrer, das muss man doch feststellen und sagen dürfen!» Auf die leicht indignierte Antwort eines Podiumsteilnehmers, wonach es diese auch bei den Coiffeuren und Metzgern gäbe, entgegnete sie: «Ja, aber da habe ich die Auswahl!»
Hatties Schlussfolgerung: Lehrkräfte sind ein zentraler Gelingensfaktor
Seit der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie in seiner Meta-Studie über die Wirkung von Schule festgestellt hat, dass das Können und die Persönlichkeit der Lehrkräfte ein zentraler Gelingensfaktor sei, werden auch meine MitstreiterInnen im Kampf gegen ausser Rand und Band geratene systemische Reformkaskaden nicht müde, auf die zentrale Rolle des Lehrers oder der Lehrerin hinzuweisen.
Dass es „auf den Lehrer“ ankommen soll, ist natürlich zum Selbstschutz der Profession schon immer behauptet worden.
Wie ist es um die Unterrichtsqualität bestellt?
Dass es „auf den Lehrer“ ankommen soll, ist natürlich zum Selbstschutz der Profession schon immer behauptet worden. Zwei Frage stellen sich aber im Zeitalter der Bildungsforschung und Evaluationen nachhaltig: Erstens, was ist ein guter Lehrer und zweitens, wie ist es denn um die Qualität der Lehrkräfte in diesem Land bestimmt? Schon allein diese Aussage beinhaltet die Gegenthese, nämlich dass es auch nicht so gute Lehrkräfte geben muss.
Klagende Eltern haben nicht immer Unrecht
Dies lassen auch die Berichte über zunehmende Klagen seitens der Eltern gegen die Schulen und ihr Personal vermuten. Natürlich lassen einige Eltern mit ihren Interventionen und Klagen ab und zu jeglichen Realitätssinn vermissen. Trotzdem haben sie nicht immer Unrecht. Als Vater von drei Kindern war ich schon mit hanebüchenen Fehlleistungen von Lehrkräften konfrontiert. Langweiliger, monotoner und schlecht vorbereiteter Unterricht, Chaos im Klassenzimmer, nicht kontrollierte Selbstkorrekturen der SchülerInnen, viel zu frühe Entlassung der SchülerInnen aus dem Unterricht, intransparente Notengebung, miserabel geplante ausserschulische Anlässe usw.
Die Qualität und vor allem auch die Disziplin der Lehrkräfte haben sich in den letzten 30 Jahren massiv verbessert.
Als Berufskollege mit 42-jähriger Berufstätigkeit darf ich aus der zweifellos beschränkten Froschperspektive behaupten, dass die Qualität und vor allem auch die Disziplin der Lehrkräfte sich in den letzten 30 Jahren massiv verbessert haben. Die verbalen Anmassungen, die Verspätungsorgien, die lausig vorbereiteten Lektionen sind stark zurückgegangen. Und zu den zum Teil üblen Tätlichkeiten kommt es praktisch nie mehr. Trotzdem begegne ich auch heute noch faulen, ungenügenden, chaotischen und indisponierten Kolleginnen und Kollegen und erlebe stark divergierende Unterrichtsqualität.
Es ist heute möglich, sich von schlechten MitarbeiterInnen zu trennen
Das Können der Lehrkräfte ist fragil
Die Mutter in Solothurn hatte natürlich Recht. Es gibt sie tatsächlich immer noch, die miserablen, schlechten oder ungenügenden Lehrkräfte. Und sie sind eine Zumutung für die Kinder und die Eltern. Es gibt aber auch genügende, gute und sehr gute Lehrerinnen und Lehrer. Mit einer soliden Schulaufsicht und einer kompetenten Schulleitung ist es heute glücklicherweise möglich, sich von den miserablen und schlechten Lehrkräften zu trennen. Schwieriger ist es bei den ungenügenden Lehrkräften. Das Können der Lehrkräfte, ihre Einstellung zur Profession ist fragil, was oft vergessen wird. Es gibt keine Berufserfahrung ohne Verluste und Niederlagen, die man persönlich ertragen und verarbeiten muss. Schicksalsschläge privater Art, Scheidungen, aber auch die Hinwendung zur Politik können die Prioritäten verschieben.
Der langen Rede kurzer Sinn: Ungenügende Lehrkräfte können durchaus auch wieder gute Lehrkräfte werden. Das gilt natürlich umgekehrt auch. Ich durchlebte in meinem Berufsleben ebenfalls Phasen, in denen ich kein besonders guter Lehrer war.
Unterschiedliche Schulumgebungen fordern unterschiedliche Lehrerpersönlichkeiten
Schulen sind im Übrigen keine einheitlichen Unternehmen, es gibt sehr unterschiedliche Lehr- und Lernumgebungen mit entsprechenden Effekten. Der Lehrerfolg ist auch abhängig von der Art und Weise, wie sich die Schülerinnen und Schüler gegenüber Beschulung verhalten.
Ich erlebte während meiner Tätigkeit das Scheitern eines älteren Lehrers, der mit einem grossen Charisma und wunderbaren Ideen auf unsere Migrantenkids in Biel stiess. Er hatte vorher jahrelang in einer kleinen Gesamtschule in einem idyllischen Tal unterrichtet, dort Beachtliches geleistet und darüber ein Buch geschrieben. Trotz grösstem persönlichem Einsatz entglitten ihm die Klassenverbände, es herrschte Chaos, die Schulleitung musste einschreiten. Jahre später, ich war in inzwischen in der Aussengemeinde Orpund mit einer anderen SchülerInnenzusammensetzung tätig, fragte ich den mittlerweile pensionierten Lehrer, ob er bei mir eine Stellvertretung machen könne.
Sein Unterricht wurde diesmal von meiner Klasse ausserordentlich positiv empfunden. Und der anschliessende Dankesbrief, den meine Klasse ihm schrieb, löste bei ihm Tränen aus. Dieser Lehrer war zweifellos ein guter Lehrer, aber eben nicht überall.
Was ist ein guter Lehrer oder eine gute Lehrerin?
Ich komme auf meine Eingangsfrage zurück: Was ist ein guter Lehrer, was ist eine gute Lehrerin?
Wenn die in reformkritischen Kreisen (und von Hattie auch wissenschaftlich bestätigte) alte Weisheit, wonach es auf den Lehrer ankomme, stimmt, müssen wir auch über die Qualität der Lehrkräfte reden und uns nicht zu Pauschalbehauptungen hinreissen lassen.
Professor Juergen Oelkers schrieb dazu: «Die Erfolgslehrer führen die guten Leistungen ihrer Klassen in erster Linie auf Disziplin im Klassenzimmer und auf häufiges Üben zurück, auf klare Regeln und konsequentes Hochdeutschsprechen im Unterricht. Gleichzeitig setzen dieselben Lehrer allerdings auch gerne Elemente der neuen Lernkultur ein, lassen ihre Schüler also in Gruppen oder individuell arbeiten, sinnliche Erfahrungen machen und spielerisch lernen. Realisten, so heisst es, die nicht geneigt seien, pädagogischen Illusionen zu erliegen, und die als gemeinsames Merkmal diesen Realismus erst noch mit Optimismus verbinden. Alle verfügen sie nämlich «über eine aktive, optimistische, zuversichtliche Berufsauffassung.» (Jürgen Oelkers, Qualitätsprobleme und Entwicklungschancen der Lehrerfortbildung, 26.2.2015)
Und an anderer Stelle führt er weiter:
- Gute Lehrerinnen und Lehrer schaffen es, mit komplexen und heterogenen Situationen produktiv und zielbezogen umzugehen, obwohl es viele Störungen ihrer guten Absichten gibt;
- sie verstehen sich auf Enttäuschungsmanagement und Konfliktbearbeitung und können unter Stress handeln;
- sie setzen ihr Know How für die Schüler ein und wissen zugleich, wie man mit den unvermeidlichen Paradoxien des Berufs umgeht;
- sie können die Lernprozesse innerhalb des Klassenzimmers steuern und verwenden den je geeigneten Mix aus konservativen und progressiven Methoden;
- das Wissen ist erprobtes Know How und eine dazu passende réflexion engagée.
- Gute Lehrkräfte vermeiden Ideologien und sind professionelle Idealisten.
Ich würde hierzu noch beifügen: Eine Lehrerin ist dann eine gute Lehrerin, wenn die Schülerinnen und Schüler bei ihr etwas lernen. Und sie sind keine guten Lehrerinnen, wenn sie dies nicht tun. Zudem weiss ich, dass ein guter Unterricht, wenn er denn gut sein soll, auch nach 40 Berufsjahren immer noch seriös vorbereitet werden muss, damit er gut ist.
Nicht objektiv feststellbar
Dennoch bleiben auch bei diesen Prämissen für einen erfolgreichen Unterricht offene Fragen:
- Wie aber kann nun festgestellt werden, wann eine Lehrerin «gut» ist und wann ein Lehrer «nicht so gut» ist?
- Wie können wir – wenn denn die Hattie-Formel wirklich gelten soll – garantieren, dass die Lehrkräfte dieses Landes auch «gut» bleiben, bzw. sich verbessern?
- Können wir die Qualität der einzelnen Lehrkraft wirklich quantifizieren und einteilen, wie ich es oben andachte? Und wenn ja, wieviel Prozent der Lehrkräfte sind denn nun wirklich «schlecht» bis «ungenügend» und wie viele sind «gut» bis «hervorragend»
Wenn wir behaupten, dass es vor allem auf den Lehrer, bzw. die Lehrerin ankommt, dann dürfen wir uns nicht an der Frage vorbeimogeln, wie es denn um die Qualität der Lehrkräfte bestellt ist.
Wenn wir diese Fragen schlüssig beantworten könnten, hätten wir den Leistungslohn schon längstens. Sie lassen sich aber nicht objektiv beantworten und die Qualität der Lehrkräfte ist wie gesagt von vielen Faktoren abhängig. Das ist allerdings kein Grund, die Qualitätsfrage einfach achselzuckend ad acta zu lesen.
Es braucht Korrektive
Ebenso, wie wir das Geschwätz über die ständig intrinsisch motivierten SchülerInnen ins Reich der Fabel verweisen, können wir auch nicht von Lehrkräften in der Krise erwarten, dass sie sich à la Baron von Münchhausen selber am Schopf aus dem Sumpf ziehen. Es braucht äussere Korrektive.
Eine wirksame Korrekturmöglichkeit ist, die Leute zu fragen, die direkt von der Unterrichtsqualität abhängig sind. Die Eltern und die Lernenden. Pioniere dieser Schülerbefragungen sind die Berufsschulen, die – da sie ja mit halberwachsenen Berufsleuten zu tun haben – schon lange eine institutionalisierte Rückmeldungskultur kennen.
Eltern und Schüler können sehr gute Feedbacks geben, wenn man sie das Richtige fragt. So gebe ich meinen SchülerInnen immer vor dem Zeugnis einen Fragebogen, in welchem sie mir rückmelden, ob ich
- ihnen sagen kann, wie gut sie in einem Fach sind
- ihnen zusätzliche Hilfestellungen biete, wenn die Schüler sie benötigen
- ich mich für den Fortschritt eines einzelnen Schülers interessiere
- ihnen sagen kann, was sie tun können, um sich in einem Fach zu verbessern
- dafür sorge, dass man mir während des Unterrichts zuhört
- dafür sorge, dass die Schüler im Klassenzimmer ungestört arbeiten können und es nicht zu laut und chaotisch ist
- dafür schaue, dass der Unterricht pünktlich beginnt
- dafür sorge, dass die SchülerInnen sich im Unterricht wohlfühlen
- ihnen anregende Aufgaben stelle, die auch ergebnisoffen sind
- sie auffordere innovativ zu sein und sich nicht mit dem Erstbesten zufrieden zu geben
- einen abwechslungsreichen und gut vorbereiteten Unterricht biete
- die Tests schnell genug korrigiere
Rückmeldungen sind nur wirksam, wenn sie auch Änderungen bewirken
Auch Eltern können durchaus wichtige und gute Rückmeldungen geben. Unsere Schule holt ihre Meinung jedes Jahr mit einem Fragebogen ein. Rückmeldungen solcher Art sind nach Hattie aber nur wirksam, wenn sie auch Änderungen einleiten, sonst bringen sie nichts.
Und dazu benötigt man eben auch die soliden, unabhängigen Schulleitungen. Sie moderieren diesen Prozess, setzen sich zusammen mit dem Kollegium pädagogische Ziele mit genügenden Anreizen zur Selbstverbesserung, sorgen dafür, dass berufslanges Lernen eine akzeptierte Grösse wird. Sie müssen aber auch eingreifen, wenn sie Probleme erkennen. Sie dürfen sich nicht in jedem Fall einfach vor die Lehrkräfte stellen und müssen den Mut haben, sich von unfähigen MitarbeiterInnen zu trennen. Dazu ist es notwendig, dass die Schulleiter eine pädagogische Ausbildung haben und, noch besser, selbst auch noch Unterricht geben.
Gute Schulleitungen können der Praxis wieder die Rolle zukommen lassen, die ihr gebührt.
Die Reformkritiker sind gute beraten, Schulleitungen nicht prinzipiell abzulehnen
Schulleiter dürfen also weder Verwalter des Status Quo sein noch zu ambitionierte Managementfantasien umsetzen wollen. Deswegen müssen sich auch die Schulleitungen einer Evaluation stellen und kontrolliert werden. Meinen MitstreiterInnen im Kampf gegen bildungsferne Reformen möchte ich daher empfehlen, nicht aufgrund völlig verkorkster Einzelfälle das Prinzip der geleiteten Schule abzulehnen. Die Alternative wären extern gefertigte PWC-Evaluation, IQUES-Fragebögen und Classroom-Management. Damit aber keine Missverständnisse entstehen: Schulleitungen mit Kompetenzen sind für mich nicht das kleinere Übel. Gute Schulleitungen können der Praxis wieder die Rolle zukommen lassen, die ihr gebührt
Alain Pichard
Nach Erasmus von Rotterdam ist „Der erste Schritt zum Lernen ist die Liebe zum Lehrer“. Das beruht auch auf Gegenseitigkeit: „Der erste Schritt zum Lehren ist die Liebe zu den Schülern“. Grundsätzlich kann der Schüler bei jedem Lehrer etwas lernen. Der Lehrer darf nie Vorwand dafür sein, dass der Schüler nichts gelernt hat. Später im Berufsleben muss er auch mit verschiedenen Chefs auskommen können. Hat ein Lehrer eine adäquate und praxisnahe Ausbildung erfolgreich abgeschlossen, brauchen seine fachlichen Fähigkeiten nicht mehr beurteilt zu werden. Wer Lehrer werden will, bringt normalerweise auch schon gewisse Persönlichkeitsmerkmale, die ihm im Beruf helfen. Grundsätzlich sind Unterrichten und Erziehen jedoch erlernbar und werden in der Praxis erprobt. Wer den Lehrerunterricht mit seinem oft schwierigen Umfeld beurteilen will, muss ihn selber längere Zeit ausgeübt habe, wenn er dem Lehrer einigermassen gerecht werden will.