Ob Frau Silvia Steiner, die oberste Bildungsdirektorin der Schweiz, nachgedacht hat, bevor sie im Interview der NZZ vom 21.12.2024 zum Französischlernen meinte: «Es geht nicht mehr darum, stur Vokabeln zu lernen, sondern vielmehr darum, ein Gespür für die Sprache zu entwickeln oder zu beurteilen, ob etwas richtig oder falsch ist, was mir ein Computerprogramm übersetzt.»
Die Aussage wurde am 22.12. auch im Sonntagsblick und am Radio verbreitet. Wie Lehrpersonen dieses Konzept in der Volksschule umsetzen sollen, delegiert Frau Steiner an die Fachdidaktiker der PH. Der gesunde Menschenverstand gerät allerdings ins Stocken: Wie kann ich eine computergenerierte Übersetzung beurteilen, wenn ich die Wörter der Fremdsprache nicht beherrsche, ergo die fremdsprachliche Fassung gar nicht verstehe? Wie bekomme ich ein «Gespür» für die Sprache, wenn ich deren Wörter nicht kenne?
Um ein Gespür zu bekommen, muss ein sicherer Grundwortschatz erworben sein. Ferner muss die Verwendung der Wörter in verschiedenen Zusammenhängen bekannt sein. Bei Übersetzungen müssen zudem in beiden Sprachen gute Erfahrungen bestehen. Erst jetzt ergibt sich das, was Frau Steiner mit «Gespür» meint.
Zu diesem «Gespür» müssten ausserdem auch eine Vertrautheit mit der metaphorischen Verwendung der Wörter gehören und ein gut entwickeltes Textverständnis, was nach PISA einem Viertel der 15-Jährigen abgeht. Da spielen wir schnell in einer höheren Liga. Übersetzt das Programm getreulich «and Bob’s his name» mit «und Bob ist sein Name», müsste man bemerken, dass dies ein Idiom ist und im Textzusammenhang wohl eher «und alles erledigt» heissen sollte.
Für die Fachdidaktiker stellt sich ein weiteres Problem: Seit rund 20 Jahren propagieren sie die so genannte Mehrsprachigkeitsdidaktik. Deren schwammiges Ziel war es, vom «sturen Grammatik- und Wortschatzunterricht» wegzukommen, nicht auf Korrektheit zu achten, sondern die Verständigung in den Vordergrund zu stellen und Synergien beim Lernen mehrerer Sprachen zu nutzen. Ein «Sprachbad» sollte den Kindern das Französische nahebringen.
Es erstaunt deshalb nicht schlecht, wenn Steiner nun knapp 20 Jahre später verlangt, «ein Gespür für die Sprache zu entwickeln oder zu beurteilen, ob etwas richtig oder falsch ist…» Nachdem das «Korrekte» im Sprachenlernen keine Rolle mehr spielte, müssen die Didaktiker nun also plötzlich wieder ein Konzept entwickeln, das Schülerinnen und Schülern vermittelt, wie sie die Fähigkeit erwerben können zu beurteilen, ob der Computer die Wörter richtig übersetzt, dies aber tun sollen, ohne französische Wörter zu kennen.
Wendet man Steiners Idee auf die Mathematik an, so würde man proklamieren: «Was soll man noch stur das kleine Einmaleins lernen. Viel eher sollten die Kinder ein Gespür für Mathematik entwickeln und beurteilen, ob das Resultat, das der Computer ausspuckt, richtig oder falsch ist.»
Wenn man bedenkt, dass die Präsidentin der Erziehungsdirektoren sich so äussern kann, darf man sich fragen, ob das Amt nicht ebenso gut von einer Olma-Bratwurst ausgeübt werden könnte.
Felix Schmutz
Das ist die absolute Bankrotterklärung dieser Bildungsverwaltung.
Was wie ein Orakelspruch über die Zukunft unserer nationalen Fremdsprache daherkommt, ist wohl von der NZZ aus dem Zusammenhang gerissen und bös verdreht worden.
Anders ist das grosse Engagement unserer Bildungsdirektorin im Zusammenhang mit dem Austausch zwischen den Sprachregionen nicht zu verstehen. Silvia Steiner meint gewiss den Zustand der kompetenten Sprachverwendung, bei dem die Bedeutung einer einzelnen Vokabel relativiert ist. Dieser erhabene Zustand schwebt der Bildungsdirektorin als Ziel des schulischen Unterrichts vor. Natürlich ist dieses Niveau erst nach dem typischen, zuweilen entbehrungsreichen Weg (Längen-Schwimmen im Sprachbad) zu erreichen. Auf diesen Level ist es durchaus ein Vergnügen, Fehlern in den Computer-Übersetzungen nachzugehen.
Ja, das meinte doch Frau Steiner. Ich spüre dies genau!
Die Olma-Bratwurst könnte es mit Sicherheit besser!