3. Dezember 2024
Rückzug der Förderklasseninitiativen

In Basel ist das Ende der integrativen Schule ganz nah

Wenn die Politik nicht noch spektakuläre Änderungswünsche präsentiert, ist mehr Separatismus beschlossen. Widerstand dürfte es kaum mehr geben. Wir bringen einen Artikel von Sebastian Briellmann, der in der BAZ erschienen ist.

Ist das Ende der integrativen Schule nah? Das Ende der Vorstellung, dass mehr Inklusion allen Schülern zugutekommt, niemanden ausschliesst, sowieso?

In Basel-Stadt, einem Kanton, der sich stark für dieses Modell hat begeistern können, verdichten sich dieser Tage die Anzeichen, dass dem bald so sein könnte. Es wäre dies die Folge einer Idee, die gut gemeint gewesen ist, sich aber gemäss einigen Experten nicht als erfolgreich erwiesen hätte.

Sebastian Briellemann, Journalist bei der BAZ: Protagonisten haben ihre Meinung geändert.

Das zeigt sich auch an den einflussreichen Protagonisten, die im Lauf der Jahre ihre Meinung geändert haben. Christoph Eymann, der sich in seiner Zeit als Basler Erziehungsdirektor für das integrative Modell ausgesprochen und es lange gegen alle früh geäusserten Bedenken verteidigt hat, sagte vor drei Wochen der «SonntagsZeitung»: «Die integrative Schule hat riesige Probleme.» Es sei ein Punkt erreicht, «an dem manche Schulen die Integration nicht mehr leisten können». Korrekturen seien angebracht «jetzt».

Diese gedankliche Kehrtwende einflussreicher Entscheidungsträger dürfte auch massgeblich begünstigt worden sein, weil im Kanton Basel-Stadt mit der Förderklasseninitiative ein mächtiges Druckmittel vonseiten der Kritiker da ist. Der Vorlage werden von Experten seit langem beste Chancen, vor dem Volk zu bestehen, eingeräumt.

An Grenzen gestossen

Ehemaliger Bildungsdirektor Conradin Cramer wollte das Problem mit mehr Geld lösen.

Schon Eymanns Nachfolger, Conradin Cramer, ebenfalls ein Liberaler, hat auf die Initiative reagiert. Im letzten Herbst hat er ein umfassendes Massnahmenpaket zur Verbesserung der integrativen Schule vorgestellt – quasi als Gegenvorschlag zur Förderklasseninitiative. Für fast 14 Millionen Franken sollten für die Primarschulen «teilseparative» Angebote geschaffen und auch «bisherige Instrumente» weiter ausgebaut werden. Weil auch Cramer zugab, dass das jetzige System «an Grenzen gestossen» ist.

Den Initianten ging – und geht – das allerdings zu wenig weit. Sie haben deshalb weiter verhandelt, klar gemacht, dass ohne «heilpädagogisch geführte Förderklassen» im Massnahmenkatalog gar nichts geht.

Seit zwei Wochen gibt es nun den Bericht der zuständigen Bildungs- und Kulturkommission (BKK) des Grossen Rats. In diesem äussern sich die BKK-Mitglieder zur Initiative und zum Gegenvorschlag. Und obschon man an der «integrativen Schule» festhalten wolle, ist es de facto nicht der Fall. Im Bericht steht: Für Schülerinnen und Schüler mit ausgeprägter Lernschwäche sollen heilpädagogische Förderklassen geschaffen werden können.

Das freut Roland Stark, vier Jahrzehnte lang Kleinklassenlehrer. «Das ist der Satz, der uns bisher gefehlt hat. Wir haben genau das mit der Kommission besprochen und von ihr verlangt – und wir sind froh, ist sie uns Initianten gefolgt», sagt der ehemalige Präsident der Basler SP.

 

Wird die Initiative nun zurückgezogen, ganz bestimmt, per sofort?

Roland Stark, ehemaliger Kleinklassenlehrer und ehemaliger Präsident der Basler SP. Ich vertraue Atici.
Foto: Dominik Plüss

Noch kann man das nicht als definitiv vermelden. Es sieht aber danach aus. «Wenn», wie Stark sagt, «der Grosse Rat im Herbst nicht plötzlich noch Änderungen am Kommissionsbeschluss vornimmt.» Ist das denkbar?

Die SVP etwa steht geschlossen hinter der Initiative – ihr gefällt der jetzige Kompromiss zwar nicht schlecht, aber er geht etwas wenig weit aus Sicht der Volkspartei. Sie präferierte eine Volksabstimmung, dürfte sich aber nicht gegen den Rückzug auflehnen, sollte dieser von den Initianten beschlossen werden. Und deshalb ist Stark ziemlich überzeugt: «Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gross.»

Ob das jedoch ein cleverer Schachzug wäre, da das eigene Anliegen doch eine Mehrheit an der Urne erlangen könnte? Und vor allem: Weil die Förderklasseninitiative als Vorbild dient für Nachahmer in anderen Kantonen? Zürich, beispielsweise, plant ebenfalls eine Initiative zur Abschaffung der integrativen Schule.

Wir sind die Lokomotive für vernünftige Politiker in allen Kantonen. Praxisorientierte Integration statt weltfremder Ideologie.

Zürcher Lehrerverband gegen die Vorlage

Roland Stark sagt: «Die Zürcher fänden es super, wenn wir das ohne Abstimmung im Parlament durchbrächten. Das hätte eine unglaubliche Wirkung.» Das liegt auch daran, dass in Zürich der Lehrerverband – anders als in Basel – gegen die Vorlage ist. «Wir sind die Lokomotive für vernünftige Politiker in allen Kantonen. Praxisorientierte Integration statt weltfremder Ideologie», sagt Stark.

Stark ist auch der Ansicht, dass eines noch entscheidender sei: Nach Jahren des «Reformfanatismus» soll das Erziehungsdepartement jetzt in Ruhe arbeiten, die Rückkehr zu den Förderklassen sauber durchführen.

Mustafa Atici, SP, Vorsteher des Bildungsdepartements: Muss sich gegen die Ideologen in den eigenen Reihen durchsetzen.

Er traut das dem neuen Departementsvorsteher Mustafa Atici (SP) offensichtlich zu. Denn auch er sieht im Bericht der Kommission durchaus Schwachpunkte. Ein Satz fällt im Bericht besonders auf: «Nicht geeignet sind Förderklassen für Schülerinnen und Schüler mit auffälligem Verhalten, welche sich nicht auf Lernschwächen zurückführen lassen.»

Eigentlich ein Kernanliegen der Initianten, ist dies gemäss Stark nun kein Problem mehr. Dabei sollte doch genau für jene verhaltensauffälligen Schüler das Förderklassenmodell geschaffen werden. Wieso pochen so die Initianten nicht weiterhin vehement auf ihre Forderung? «Wir sind der felsenfesten Überzeugung, dass Atici und sein Erziehungsdepartement genau das umsetzen, was wir wollen», sagt Stark, «mit solchen Sätzchen sollten wohl Kritiker beruhigt werden – denn das Erziehungsdepartement nähert sich wieder den schulischen Realitäten und mottet die ideologischen Scheuklappen ein.»

Stark vertraut also sehr auf den neuen Bildungsdirektor, den er bereits im Wahlkampf engagiert unterstützt hat. Zahlt sich dieses Vertrauen auch wirklich aus? Oder muss Atici nicht auch aus Rücksicht auf Integrationsbefürworterinnen aus seiner eigenen Partei hören?

Stark glaubt fest an Ersteres, spricht von einem «Dammbruch», nach jahrelangem Hin und Her, dank der Initiative, dank Atici auch. Obs so kommt? Das kann auch Stark nicht garantieren. Sicher ist nur: Das Volk wird nicht über die integrative Schule befinden – falls niemand das Referendum ergreift.

image_pdfAls PDF herunterladen

Verwandte Artikel

Unsere Burnout-Generation

Der Kinderarzt und Buchautor Herbert Renz-Polster weist auf einen pikanten Widerspruch in unserer Gesellschaft hin und stellt indirekt die bekannte Frage nach dem Huhn und dem Ei.

“Die beste Reform ist eine, die gar nie gestartet wurde” – TEIL 2

Akzeptanz ist eines der Schlüsselwörter für den emeritierten Erziehungswissenschaftler Jürgen Oelkers. Wird eine Schulreform von der Gesellschaft und den Pädagogen akzeptiert, gelingt sie, sonst nicht oder verläuft anders als gedacht. Im zweiten Teil über den “Reformwahn” im Schweizer Bildungswesen spricht Oelkers über die ewigen Reformbestrebungen zur Notengebung, über die Reformen, die die Lehrer belasten, aber dem Unterricht nichts bringen, sowie über die Zukunft der Schule. Das Interview ist zuerst im Nebelspalter erschienen. Das Gespräch führte Daniel Wahl.

2 Kommentare

  1. Zur Überschrift, neudeutsch Headline:
    Entweder heisst es “Basel ist dem Ende der integtativen Schule ganz nah(e).” – oder aber “In Basel ist das Ende der integrativen Schule ganz nah(e).”.
    Aber so wie veröffentlicht – nein das geht nicht. Oder doch gemäss Lehrplan 21?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert