Almir* und Vanessa* stehen einen Monat vor Schulschluss ohne eine Anschlusslösung da. Der eine ist aufgrund seines Verhaltens kaum vermittelbar und hat auch schon einen befristeten Schulausschluss hinter sich, die andere hatte eine „absolut sichere“ Zusage für eine Lehrstelle in der Tasche, was sich letztendlich als Illusion herausstellte.
Ich erspare Ihnen nun die Ursachenforschung, wie es zu den oben geschilderten Situationen kam. Sie kommen immer wieder vor.
Deshalb muss nun eine Lösung gefunden werden. Die Anmeldetermine für die staatlichen Brückenangebote sind zwar längst verstrichen, aber es gibt natürlich immer noch Gefässe, solche Jugendliche in ein Programm zu schicken. Im Folgenden möchte ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, einmal schildern, wie ein solches – im Prinzip banales – Anmeldeverfahren im Kanton Bern abläuft.
Nach Elterngesprächen beschliessen wir, Almir an das BVS anzumelden.
Freitag, den 19. Mai, 15.00 Uhr
Ich rufe das Sekretariat des BVS an. Es kommt der Telefonbeantworter. Rufen Sie bitte während der Büroöffnungszeiten an.
Montag, den 22. Mai, 12.00 Uhr
Ich telefoniere mit dem BVS. Und frage, ob es noch möglich sei, Schüler an das BVS zu melden. Es wird mir mitgeteilt, dass man die Nachzügler nicht mehr direkt bei ihnen anmelden könne, sondern sich an die Triagestelle wenden müsse. Das müsse man mittels des elektronischen Anmeldeverfahrens lösen. Nein, sie könne mir den Link nicht mitteilen, er ist aber auf der Webseite der BKD unter Brückenangebote zu finden.
13.30 Uhr, SOL (Selbstorganisiertes Lernen)
Ich logge mich in das Anmeldeprozedere ein und beginne im Beisein von Almir alle nötigen Daten einzugeben. Vorher habe ich noch das Zwischenzeugnis scannen müssen, weil Almir es nicht mehr in seinen elektronischen Unterlagen finden konnte. Auf Seite 2 erhalte ich einen Code. Der wird mir an meine Mailadresse geschickt. Ich öffne diesen, setze ihn in der Anmeldeseite ein und fahre fort. Es kommt eine Fehlermeldung: “Sie haben nicht alle Fragen beantwortet. Bitte ergänzen Sie Ihre Angaben (1)” Und es geht nicht weiter. Ich überprüfe das Ganze noch einmal, aber es kommt immer noch die Fehlermeldung. Ich setze das Ganze neu auf und fülle noch einmal im Beisein von Almir alle benötigten Daten ein. Erneut erhalte ich einen Code, setze ihn ein, aber wieder kommt die Fehlermeldung. Ich sage Almir, dass ich anrufen werde, er solle in den Unterricht gehen.
15.30 Uhr, Unterricht beendet. Ich rufe die angegebene Nummer (Brückenangebote) an. Es kommt die Nachricht: „Es sind alle Leitungen besetzt, bitte gedulden Sie sich.“ Es folgt eine Musik. Dann: “Im Moment kann Ihr Anruf nicht entgegengenommen werden, versuchen Sie es später noch einmal.“
Ich versuche es noch zweimal. Immer dasselbe. Ich gebe auf und denke, dass ich es morgen erneut probieren werde.
Donnerstag, den 25. Mai, 13.00 Uhr
Es wurde inzwischen Donnerstag, weil ich am Diensrag und Mittwoch alle Hände mit dem Abschlusstheater und der Organisation der Abschlussreise zu tun hatte. Inzwischen hat sich auch Vanessa dazu durchgerungen, dass ich sie bei der Triagestelle anmelde. Ich stelle mit ihr die Dokumente zusammen und versuche, sie mittels des elektronischen Anmeldeverfahrens anzumelden. Dasselbe Prozedere, der Code und die Fehlermeldung. Um 14.00 Uhr (Bürozeit) versuche ich erneut, das Sekretariat der Brückenangebote zu erreichen. Wieder kommt die Mitteilung: “Im Moment können wir Ihren Anruf nicht entgegennehmen, versuchen Sie es später noch einmal.” Es habe am Donnerstagnachmittag unterrichtsfrei, schnappe mir einen Computercrack aus meinem Kollegium und wir versuchen es zu zweit. Wieder ein Fehlschlag. Mein Kollege meint, da müssten wir anrufen.
Ich versuche es insgesamt an diesem Tag sechsmal. Ohne Erfolg. Daraufhin schreibe ich der Behörde folgende Mail:
Sehr geehrte Damen und Herren
Mein Name ist Alain Pichard. Ich versuche seit einigen Tagen Sie telefonisch zu erreichen und werde durch den Sprachautomaten jeweils abgewiesen. Ich möchte einen Schüler und eine Schülerin bei Ihnen an die Triagestelle anmelden. Ich komme dabei immer zur Codeeingabe und dann, beim Weiter, kommt die Meldung: “Sie haben nicht alle Fragen beantwortet. Bitte ergänzen Sie Ihre Angaben (1)” Und es geht nicht weiter. Ich habe alles überprüft, aber es geht nicht weiter.
https://www.bkd.be.ch/de/start/themen/bildung-im-kanton-bern/berufsbildung/brueckenangebote/anmeldung-brueckenangebote/onlineanmeldung-brueckenangebot.html?action=createPublicForm&accessKey=fb55284a-6ea9-4224-a453-be3e03ea88d5&language=de&mandant=MBA
Der Zulassungscode ist XXXXXXXX (dem Autor bekannt)
Was soll ich machen? Auch bei meinem anderen Schüler geht es nicht.
Freundliche Grüsse
Alain Pichard
Etwas später füge ich noch eine 2. Mail hinzu:
Ist es normal, dass ich während insgesamt acht Telefonaten immer mit der Voicemail abgespeist werde, dass mein Anruf im Moment nicht entgegengenommen werden kann?
Freitag, den 26. Mai, 16.30 Uhr
Ich erhalte folgende Mail:
Guten Tag Herr Pichard
Bitte entschuldigen Sie die Unerreichbarkeit. Auf welche Nummer haben Sie angerufen? Denn wenn Sie auf die Fachstellen-Nr. (031 633 84 54) anrufen und von uns tatsächlich, aufgrund von Sitzungen, Ferien oder Teilzeitarbeit, gerad alle besetzt sind, sollten Sie grundsätzlich an den Empfang weitergeleitet werden und nicht nur an die Voicemail verwiesen werden.
Zu Ihrer Anfrage betreffend Anmeldung an die Triagestelle. Schülerinnen und Schüler aus der 9. Klasse können erst wieder ab der Woche 23 an die Triagestelle angemeldet werden. Daher kommt aktuell eine Fehlermeldung. Diese und weitere Informationen finden Sie ebenfalls auf unserer Webseite: Anmeldung über die Triagestelle Brückenangebote.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Pfingstwochenende.
Freundliche Grüsse
A. B. , Sachbearbeiterin
Frage an die Wissenschaft: Wo ist es auf der Webseite vermerkt, dass man die Schüler erst ab Woche 23. wieder anmelden darf? Und wenn ich es übersehen habe, weshalb kommt diese Meldung nicht, wenn man das Prozedere beginnt? Wenn lediglich eine Fehlermeldung gemeldet wird, glaubt man in der Regel, man habe einen Fehler begangen. Und ja, ich habe genau bei dieser Nummer angerufen – und bin nicht weitergeleitet worden.
*Namen geändert
Das Problem ist, dass Lehrpersonen gratis arbeiten! In einer Firma – mit “stempeluhr-versklavten” Mitarbeitenden würde solcherlei zu Mehraufwand führen, den irgendjemand letztlich bezahlen müsste. Sei es mit echtem Geld oder in Form von vorzeitig aufgebrauchten Arbeits- und folglich Überstunden, die kompensiert werden müssten. So oder so, die Chefetage hätte ein gewisses Interesse daran, dass diese stinkbanalen internen Abläufe keinen unnötigen Aufwand verursachen. Anders im System Schule: je hohler und unterrichtsferner eine Aktivität, desto mehr findet sie – gefühlt wie auch faktisch – unvergütet in unserer Freizeit statt. Und darin liegt die Crux: unsere Bürokratien können ungestraft Selbstoptimierung betreiben, weil wir Lehrpersonen am Ende einfach länger arbeiten. Und zwar gratis.
Lieber Herrr Pichard
Weshalb tun Sie sich das alles an?
Sie leisten unglaublich viel für Ihre Schülerinnen und Schüler. Aber auch Sie werden älter – irgendwann ist Schluss mit Arbeiten und dann MÜSSEN Jüngere übernehmen.
Und zur Bekämpfung der schier endlosen Kommunikationsinkompetenz der Ämter könnten Sie vielleicht eher auf politischem Weg etwas beitragen.
Beste Grüsse