Mit 96 zu 77 Stimmen hat das kantonale Parlament der Regierung den Auftrag für die Ausarbeitung einer Vorlage für die Einführung von Förderklassen erteilt. Der Entscheid fiel klarer aus als erwartet, da FDP, SVP und GLP der Förderklassen-Initiative geschlossen zustimmten. Entscheidend für diesen Durchbruch war die Unterstützung der Initiative durch die Grünliberalen, die in Bildungsfragen in der Regel sonst mit der linken Ratshälfte stimmen.

Grosse Sorge um die Schulqualität
Die engagierte Debatte im Kantonsrat zeigte, dass es um eine grundlegende Schulfrage ging. Bei den Befürwortern stand die Sorge um die Schulqualität an erster Stelle. Das gegenwärtige System der unbedingten Integration überfordere die Klassenlehrpersonen und trage dazu bei, dass die Schulleistungen sich laufend verschlechterten. Marc Bourgeois von der FDP betonte, dass «Systemsprenger» manche Regelklassen an den Rand des Zusammenbruchs brächten. Extrem verhaltensauffällige Schüler beanspruchten zu viel pädagogische Energie der Klassenlehrpersonen, was konzentriertes Unterrichten mit der grossen Mehrheit der Lernwilligen enorm erschwere. Sie habe unzählige Briefe von Lehrpersonen erhalten, die eine hoffnungslose Überforderung durch das integrative Modell signalisierten, führte Anita Borer von der SVP aus.
Förderklassen ergänzen das integrierte Schulmodell
Für die Befürworter von Förderklassen stand fest, dass von Heilpädagoginnen geführte Förderklassen problemlos in ein System des integrierten Lernens passen. Förderklassen seien ein zweckmässiges schulisches Angebot, das in grösseren Schulen bei Bedarf künftig zum Standard gehören müsse. Man wolle verhindern, dass noch mehr Schüler mit starken Verhaltensauffälligkeiten direkt in sehr teure Sonderschulheime eingewiesen werden müssten. Die temporären Schulinseln für schulische Time-outs, wie sie von den Lehrerverbänden und im Gegenvorschlag der Regierung vorgeschlagen werden, konnten die Ratsmehrheit nicht überzeugen. Die Kurzzeit-Separation genüge in einigen Fällen nicht, um aussergewöhnliche Herausforderungen wirklich zu lösen.
Die Gegenseite malte für den Fall der Zustimmung zur Initiative die Zukunft der integrierten Schule ziemlich schwarz. Es wäre der Anfang vom Ende einer fortschrittlichen Schule. Jede längere Separation von Kindern und Jugendlichen wurde scharf verurteilt und als Rückschritt ins vergangene Jahrhundert gebrandmarkt. Auf der linken Ratsseite setzten sich mehrere Rednerinnen vehement gegen die Etikettierung von Kindern ein. Zudem befürchteten sie, dass mit dem nötigen Wechsel mancher Heilpädagoginnen von den Regel- in die neuen Kleinklassen das integrative Modell schwer beschädigt würde. Die individuelle Förderung aller Kinder in den Regelklassen könne so nicht mehr gewährleistet werden.

Für ein Nebeneinander der Fördermodelle
Auf Seite der Befürworter versuchten vor allem die Grünliberalen diesen Befürchtungen entgegenzutreten. Christa Stünzi betonte, dass man die grundsätzliche Idee einer möglichst weitgehenden Integration nicht infrage stelle. Es gehe auch nicht darum, jeder Schule Förderklassen aufzuzwingen. Lerninseln oder «erweiterte Lernräume», wie diese im Gegenvorschlag der Regierung bezeichnet werden, seien gangbare Alternativen für manche Schulen. Es gelte nun, durch ein pragmatisches Vorgehen zusammen tragfähige Lösungen zu finden. Extreme Dogmen auf beiden Seiten würden weder den Kindern noch den Lehrkräften weiterhelfen.
Die Hochschule für Heilpädagogik hat mit ihrem etwas einseitigen Konzept der individuellen Förderung in den letzten Jahren kaum noch entsprechendes Fachpersonal ausgebildet.
Deutlicher Kurswechsel in der Integration mit offenen Fragen
In der abschliessenden Stellungnahme liess Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) durchblicken, dass sie den Kurswechsel bei der Integrationsfrage eingesehen hatte. Sie hob hervor, dass man sicher keine neue Grossreform plane, sondern das Modell der Integrativen Schule mit Einbezug von Förderklassen nun umsichtig weiterentwickeln werde. Man werde versuchen, ein mehrheitsfähiges Gesamtpaket bereitzustellen. In diesem sollen auch künftig Mittel für die Finanzierung von Lerninseln und die individuelle Förderung in den Regelklassen vorhanden sein.
Die Regierung hat jetzt Zeit bis Mitte November dieses Jahres, um das versprochene Gesamtpaket bereitzustellen. Zwei Punkte werden dabei sicher viel zu reden geben. Sind die Sieger bereit, bei allfälligen zusätzlichen Kosten für ein breit aufgestelltes Integrationsmodell der linken Seite etwas entgegenzukommen? Die andere Frage ist mindestens so heikel: Es fehlen Heilpädagogen mit gründlicher Ausbildung zur Führung von Förderklassen. Die Hochschule für Heilpädagogik hat mit ihrem etwas einseitigen Konzept der individuellen Förderung in den letzten Jahren kaum noch entsprechendes Fachpersonal ausgebildet. Bei beiden Themen wird es noch grosse Diskussionen geben.
Back to the future nach Jahren der Zwängerei.