Mehr Koordination als Schule
Jene, die auf diese gutgemeinte Idee gekommen sind, verbinden damit zwei Zwecke. Erstens verstehen sie diese Umbenennung als eine Art Beförderung durch Sprache. Das gelingt allerdings nur bedingt. Denn im Umkehrschluss wird damit das Klischee bestätigt, dem man eigentlich entgegenwirken will. “Nur” Lehrerin zu sein, ist nach dieser Lesart offenbar unzureichend. Der neudeutsche Businessbegriff Manager bzw. Managerin soll diesem Beruf neuen Glanz verleihen und überdies eine Laufbahnentwicklung und Spezialisierungsperspektiven in Aussicht stellen. Das Schulzimmer soll keine berufliche Sackgasse sein.
Und damit spricht man – zweitens – die Männer an, die man wieder vermehrt für den Lehrberuf gewinnen will, zumal der Frauenanteil am Lehrkörper der Primarschule rund 86 Prozent beträgt. Welcher Mann will nicht gerne Manager sein, mögen sich die Väter und Mütter dieses sprachpsychologischen Kniffs gedacht haben.

Der Begriff Manager sei angesichts der Herausforderungen, welche die inklusive Schule mit sich bringe, gerechtfertigt, lässt die ehemalige SP-Politikerin und Lehrerin Sandra Locher-Benguerel in der “Tagesschau” des Schweizer Fernsehens verlauten (1). Schliesslich, lernen wir in dem Beitrag, gebe es in der inklusiven Schule viel zu koordinieren zwischen Therapeuten, Heilpädagoginnen und natürlich – zu guter Letzt – den Eltern. Und koordinieren heisst managen. Vom Lehrauftrag, den eine pädagogische Fachkraft eigentlich in allererster Linie hat, ist in dem kurzen Beitrag nicht die Rede.
Town Halls und Strategy Sessions
Sollen unsere Schulklassen also künftig nur noch gemanaged und nicht mehr unterrichtet werden? Und – wenn man den Gedanken weiterspinnt – könnte diese Tätigkeit am Ende gar bald von künstlicher Intelligenz erledigt werden? Damit wäre zumindest die Geschlechterfrage hinfällig. Aber es stellen sich noch mehr Fragen.
Wollen wir wirklich Manager im Schulzimmer? Wollen wir in der Schule Betriebswirtschafterlis spielen, statt wichtige Dinge fürs Leben zu lernen bzw. zu vermitteln?
Wird es, wenn die Lehrerin zur Managerin und der Manager zum Lehrer mutiert, in der Schule alsbald Town Halls und Wrap-up-Meetings geben, in denen man Milestones benennt, das Dotted-Line-Reporting im Schulbetrieb anspricht oder die Awareness fördert? Und wie changeanfällig ist dann überhaupt das Outcome? Und wird man sich – um bei der Sprache zu bleiben – in diesen Strategy Sessions überlegen, wie man die Beschlüsse überhaupt languagen kann? Und wird künftig aufgeskillt, wer Nachhilfe oder eine Weiterbildung braucht? Oder sollte man dieses Vorhaben nicht doch lieber ganz und gar sunsetten? Denn: Wollen wir wirklich Manager im Schulzimmer? Wollen wir in der Schule Betriebswirtschafterlis spielen, statt wichtige Dinge fürs Leben zu lernen bzw. zu vermitteln? Und noch eine Frage stellt sich in diesem Zusammenhang: Wenn Lehrkräfte plötzlich Manager sind, bekommen sie dann zum Ende des Jahres auch Boni, wie es sich für Manager gehört?
Wie auch immer die Antworten auf diese Fragen seien: Die Lehrerin steht mit der gutgemeinten Beförderung zur Managerin nicht alleine da. Schon vor vielen Jahren erfanden einschlägige Kreise den wohlwollenden Begriff Familienmanagerin, um den vermeintlich rückständigen Begriff der Hausfrau zu ersetzen. Auch sie koordiniert und managed schliesslich so einiges, namentlich das eigene Familienleben. Was dieses sprachliche Wohfühlprogramm tatsächlich gebracht hat, wird man erst noch herausfinden müssen. Immerhin ist aus der familienexternen Familienmanagerin – vormals vielleicht Haushalthilfe oder Nanny genannt – ein kommerziell verwertbares Berufsbild geworden. Das wiederum braucht die Lehrerin nicht, denn sie hat ja schon einen Beruf.
Die Frau als Politikum
Die Lehrerin war im Schweizerischen Bundesstaat schon immer ein Politikum. Während des 19. und 20. Jahrhunderts stieg der Anteil der Frauen am Lehrkörper stetig an, was man stets kritisch beäugte. Einerseits war man – wenn Lehrermangel herrschte – auf sie angewiesen; anderseits waren die Frauen – bei Lehrerüberschuss – unerwünschte Konkurrenz. Zwischen 1910 und 1940 gab es immer wieder politische Vorstösse für die Festlegung eines Lehrerinnenzölibats; verheiratete Frauen sollten nicht als Lehrerin tätig sein dürfen (2). Viele lokale Schulbehörden folgten diesem Geist und schrieben grundsätzlich nur Stellen für männliche Bewerber aus. Einerseits wollte man in Zeiten der Krise damit dem Doppelverdienertum den Riegel schieben, anderseits erachtete man die Rolle der Mutter und Ehefrau als unvereinbar mit dem Beruf der Lehrerin. Die Lehrerin hatte Fräulein und kinderlos zu sein. Ein Schicksal, das später die Schweizer Diplomatinnen teilten; sie hatten bis in die Siebzigerjahre ein Heiratsverbot zu gewärtigen.
Zum Glück sind solche übergriffigen Vorschriften heute Schnee von vorgestern und wir können darüber lachen. Eine Frage steht aber weiterhin im Raum: Von wem will man als Schulkind wohl lieber etwas lernen: von der Lehrerin oder von der Managerin?
(1) https://www.srf.ch/news/schweiz/vom-lehrer-zum-manager-neues-leitbild-soll-mehr-maenner-fuer-den-lehrberuf-begeistern
(2) https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=frb-001%3A1921%3A0%3A%3A50#50
Eine Lehrerin als Dirigentin oder ein Lehrer als Kapitän kann ich mir als Metaphern für das pädagogische Wirken im Klassenzimmer ganz gut vorstellen. Beide Bilder unterstreichen die Führungsfunktion, aber auch die Verantwortung für das Gelingen eines wichtigen Auftrags. Wie Claudia Wirz habe ich hingegen Mühe mit dem Begriff Manager.
Die Bezeichnung Manager sollte offenbar darauf hinweisen, dass der Lehrerberuf eine spannende Sache sei. Eine hauptverantwortliche Klassenlehrkraft manage die Koordinationsarbeit der Lehrtätigkeit im Rahmen einer Klasse. Doch ist es wirklich das, was den Lehrerberuf aufwertet und attraktiv macht? Die Frage nach dem Lehrerbild stellt sich je länger je mehr mit aller Wucht.
Solange immer noch die Vorstellung herumgeistert, eine Primarlehrerin sei primär eine unauffällige Lernbegleiterin, fehlt die pädagogische Strahlkraft. Eine engagierte Dirigentin hingegen leitet ihr Klassenorchester, sie holt aus den Schülern das Beste heraus und sie ist erfüllt vom Werk, das man gemeinsam aufführen will. Die Arbeit mit der Klasse ist das Herausfordernde, nicht das notwendige Koordinieren der Lehrtätigkeit mit anderen Kolleginnen.
Die Lehrerverbände tun gut daran, anstelle fragwürdiger Wortkosmetik die Lehrerrolle mutiger zu beschreiben. Der Lehrerberuf verlangt Leidenschaft fürs Unterrichten und für das Fördern jedes einzelnen Kindes. Das ist eine anspruchsvolle Führungsaufgabe, die tatsächlich unternehmerische Qualitäten verlangt und viel gestalterische Freiheiten bietet. Vielleicht gelingt es so, wieder mehr Kapitäne für den Primarlehrerberuf zu gewinnen.