19. Oktober 2024
Bildungsprioritäten

Mathematik ist substanzieller als neue schicke Turnhallen

Das schwache Bildungssystem gefährdet den Wohlstand Deutschlands. Wir brauchen mehr Tests, mehr Mathe und neue Zertifikate, meint Ludger Wößmann. Der Artikel ist zuerst im Handelsblatt erschienen.

Deutschland verfällt immer wieder ins gleiche Verhaltensmuster. Erst kommen die Pisa-Tests, dann die Ergebnisse, dann der Schock, dann die Empörung – und dann gerät all das schnell wieder in Vergessenheit. Das läuft seit vielen Jahren so. Deutschland fällt bei der Bildung seit Jahren zurück. Alle wissen, dass das ein großes Problem ist. Aber keiner tut so richtig etwas dagegen.

Gastautor Ludger Wößmann, Professor für Wirtschaftswissenschaften

Im Jahr 2000 war es zum ersten Pisa-Schock in Deutschland gekommen. Damals hatte das durchaus den Charakter eines Weckrufs, Gegenmaßnahmen wurden ergriffen. Doch nach wenigen Jahren war damit wieder Schluss. Seither rutscht Deutschland in den Pisa-Tests immer weiter ab. In der Coronazeit sind die Ergebnisse noch mal deutlich schlechter geworden.

Aber nicht nur das Niveau sinkt immer weiter, auch die Ungleichheit der Bildungschancen ist enorm. Von den Kindern von Alleinerziehenden ohne Abitur, mit Migrationshintergrund und aus dem unteren Einkommensbereich schafft es nur jedes fünfte auf ein Gymnasium. Haben beide Elternteile Abitur, hohes Einkommen und keinen Migrationshintergrund, gehen vier von fünf Kindern aufs Gymnasium. In Deutschland sind die Bildungschancen besonders ungleich. Deshalb ist gerade an diesen Stellen das Potenzial besonders groß.

Bildungserfolg braucht mehr Transparenz

Bildung ist der zentrale Faktor für Deutschlands langfristigen Wohlstand. Unterschiedliche langfristige Wachstumsraten lassen sich zu drei Vierteln mit dem Bildungshintergrund erklären. Entscheidend ist dabei nicht, wie lange jemand zur Schule geht, sondern, was er dort lernt.

Großangelegte Bildungsreformen wurden schon oft gefordert und ähnlich oft mit dem Argument abgelehnt, das sei halt alles Ländersache. Aber es gibt andere Wege, auf denen Deutschland viel bewegen könnte.

Statt immer drei Jahre auf den neuesten Pisa-Schock zu warten sollte Deutschland regelmäßige, einheitliche Bildungsniveautests einführen.

 

Statt immer drei Jahre auf den neuesten Pisa-Schock zu warten und das Thema in der Zwischenzeit der öffentlichen Aufmerksamkeit zu entziehen, sollte Deutschland regelmäßige, einheitliche Bildungsniveautests einführen. Zwar gibt es zentrale Abschlussprüfungen, aber immer nur bundeslandweit.

Bei der Pisa-Auswertung ist der Bundesländer-Vergleich vor vielen Jahren abgeschafft worden, was ein Skandal ist. Vergleiche gibt es nur in großen Abständen. Stattdessen benötigen wir durchgehende Transparenz.

Die Kultusministerkonferenz sollte deshalb ein einheitliches Testsystem etablieren, das auch nach soziökonomischen Faktoren ausgewertet wird. Dann wird Bildung zwangsläufig auch ein entscheidendes Thema auf nationaler Ebene. Hamburg hat vor einigen Jahren eine konstante Messung schulischer Leistungen eingeführt. Das hat das Bildungsniveau dort deutlich verbessert.

Deutschkurse vor der Einschulung

Die deutsche Bildungsmisere zeigt sich ausgeprägt in den Basiskompetenzen: Lesen, Schreiben, Mathematik und Naturwissenschaften. Allein in der Coronazeit haben die deutschen Schülerinnen und Schüler in Mathematik ein Jahr verloren. Deswegen sollte in den Schulen ein klarer Fokus vor allem in diesen Bereichen gelegt werden – im Unterricht, bei Personal, Finanzierung, Messung und Förderung. Kinder sollten vor der Einschulung auf Deutschkenntnisse getestet werden und, sollten diese nicht ausreichend sein, einen verpflichtenden Deutschkurs vor der Einschulung machen müssen.

Ludger Wößmann: Gute Turnhallen und Betreuungsangebote sind natürlich auch wichtig. Aber zu oft werden die Basiskompetenzen dadurch vernachlässigt.

Es gibt einen Anreiz, stattdessen Geld für schöne neue Turnhallen und Betreuungsangebote am Nachmittag auszugeben. Das sind Dinge, die die Schulen vorzeigen können, die direkt sichtbar sind, die Eltern bei der Wahl der Schule für ihre Kinder überzeugen können. Gute Turnhallen und Betreuungsangebote sind natürlich auch wichtig. Aber zu oft werden die Basiskompetenzen dadurch vernachlässigt.

Neben der schulischen Bildung wird Weiterbildung immer wichtiger. Deutschland steht vor einem beispiellosen Strukturwandel. Digitalisierung und grüne Transformation machen es notwendig, dass sich viele Beschäftigte umorientieren und neue Qualifikationen erwerben.

Deutschland muss ein System für lebenslanges Lernen aufbauen.

 

Oft gibt es aber keine betriebsinternen Weiterbildungen, besonders in schrumpfenden Branchen. Schließlich würden die Unternehmen auf ihre Kosten weiterbilden, wovon dann andere Firmen profitieren, wenn die Beschäftigten dorthin abwandern.

Deswegen muss Deutschland ein System für lebenslanges Lernen aufbauen. Wir haben ein international beispielloses Ausbildungssystem etabliert. Das muss Vorbild für Weiterbildungen sein. Erforderlich sind einheitliche Zertifikate und Lerninhalte. Möglich machen kann das nur eine konzertierte Aktion, bei der Gewerkschaften, Arbeitgeberkammern, der Staat und private Anbieter gemeinsam vorgehen.

Die konkreten Handlungsempfehlungen:

  1. In Deutschland müssen bundesweite, einheitliche Tests für das Bildungsniveau eingeführt werden, die jedes Jahr stattfinden.
  2. Klarer Fokus auf die Kernkompetenzen Lesen, Schreiben, Mathe und Naturwissenschaften.
  3. Eine konzertierte Aktion muss einberufen werden, um ein einheitliches System für lebenslanges Lernen zu schaffen, analog zum dualen Ausbildungssystem.
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