7. November 2024
Akademische Betrachtungen zur «integrativen Schule»

Immer noch mehr vom Gleichen

Beatrix Eugster ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen und plädiert in der neusten Ausgabe der Seco-Zeitschrift «Die Volkswirtschaft» für mehr «schulische Inklusion» und für weniger Separation lernschwacher und geistig oder körperlich beeinträchtigter Kinder. Eloquent spricht sie von «Peer-Effekten» und «Special Needs»; ob sie den Schulalltag aber auch jenseits akademischer Betrachtungen kennt, bleibt – zumindest – fraglich.

Beatrix Eugster, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen, ist keine Unbekannte im bildungspolitischen Debattenzirkel. Im Jahr 2021 erhielt sie zusammen mit zwei Fachkollegen und im Beisein hochrangiger Honoratioren den Preis für Bildungsforschung. Mit diesem Preis zeichnen die zuständigen Behörden von Bund und Kantonen Forschung aus, die «einen relevanten Beitrag zur Steuerung des Bildungssystems leistet.» Die preisgekrönte Forschungsarbeit von Beatrix Eugster et al. befasste sich – wenig verwunderlich – mit dem Thema «inklusive Schule»; ein Thema ganz nach dem Gusto derjenigen, die das Bildungssystem gerne nach internationalistischen Gerechtigkeitsidealen steuern wollen.

Claudia Wirz, Journalistin, neu für den Condorcet-Blog arbeitend: Viele Widersprüchlichkeiten.

Wie man zum Musterknaben wird

Zum Thema «schulische Inklusion» lässt sich Beatrix Eugster nun auch in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift «Die Volkswirtschaft» verlauten. Diese Zeitschrift wird vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) herausgegeben. Einen Preis für besondere Originalität oder besonders unkonventionelle Ideen dürfte die Professorin mit ihrem Interview allerdings kaum gewinnen. Denn sie fordert ganz im Sinne der Bildungsreformer einfach mehr vom Gleichen, also mehr Inklusion und weniger Separation in der Schule.

Die Schweiz, sagt sie, sei kein Musterknabe, was die schulische Inklusion angehe. Aus der Sicht der Ökonomin, die sich nach eigenen Angaben besonders für bildungs-, arbeits- und gesundheitsökonomische Fragen interessiert, kann die Schweiz noch zulegen, denn noch immer würden Kinder mit grösseren geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen häufig separiert unterrichtet.

Segregation: Auf keinen Fall!

Interessant sind die Widersprüchlichkeiten in Eugsters Argumentation und ihre Schlussfolgerung

Beatrix Eugster, Professorin der Uni St. Gallen: Schweiz ist kein Musterknabe.

daraus. Einerseits räumt sie ein, dass bereits heute rund ein Viertel der Schulkinder in Regelklassen «Special Needs» hätten. So nennt man besonderen Unterstützungsbedarf im akademischen Jargon. Gleichzeitig gibt sie zu, dass es in einer Schulklasse zu «negativen Peer-Effekten» komme, wenn mehr als 15 bis 20 Prozent der Klasse besonderen Unterstützungsbedarf haben. Insbesondere die schwächeren unter den «normalen» Schülern würden darunter leiden. Daraus aber folgert sie nicht etwa weniger Inklusion, sondern mehr. «Kinder sollten auf keinen Fall segregiert werden. Denn dies würde zu Klassen führen, wo hauptsächlich Kinder mit Special Needs und schwachen Schulleistungen unter sich sind. Genau das Szenario also, welches zu starken negativen Peer-Effekten führt», sagt sie.

Ob sie den Schulalltag jenseits akademischer Betrachtungen und zentralistischer Planspiele kennt, ist deshalb zumindest fraglich.

Eine solche Segregation will Professorin Eugster also nicht. Lieber nimmt sie in Kauf, dass das Bildungsniveau der Volksschule insgesamt im Dienste der Inklusion absinkt. Das Bildungsniveau und die Bildungsleistung der Schweizer Schulkinder sowie die Pädagogik scheint die Professorin ohnehin weniger bis gar nicht zu interessieren. Ob sie den Schulalltag jenseits akademischer Betrachtungen und zentralistischer Planspiele kennt, ist deshalb zumindest fraglich.

Die von ihr selber empirisch festgestellten «negativen Peer-Effekte» in den Regelklassen aufgrund des inklusiven Konzepts sind ihr in dem Interview nur gerade einen Satz wert. Auch die Sorgen der Eltern erwähnt sie nur am Rande. Auf das offenkundige Scheitern real existierender inklusiver Schulmodelle geht sie gar nicht ein. Immerhin aber räumt sie ein, dass es noch viel mehr Forschung brauche, um herauszufinden, ob schulische Inklusion später überhaupt die Arbeitsmarktchancen der Betroffenen erhöht. Aber Hauptsache, der «klassenlosen Gesellschaft» in der Schule ist erst einmal Genüge getan, egal, was es bringt – und was nicht.

https://dievolkswirtschaft.ch/de/2024/07/schulische-inklusion-ja-oder-nein/

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Ein Kommentar

  1. Es ist vor allem bemühend, feststellen zu müssen, dass die bildungsakademische Bubble höher und höher steigt, sich also quasi versteigt und den Blick auf die Realität komplett verliert.
    Irgendwann wird die Bubble platzen…

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