Wir sehen in der heutigen Gesellschaft, dass sich die Menschen wirtschaftlich, kulturell und politisch immer stärker polarisieren und voneinander unterscheiden. Um eine gemeinsame Grundlage für mehr Gerechtigkeit und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schaffen, gibt es nur eine Lösung: gute Bildung. Wir haben viele Instrumente, um Ressourcen umzuverteilen, aber an den Ursachen von Ungleichheit können wir nur durch bessere Bildung arbeiten und deswegen ist dieses Thema so wichtig.
Die meisten Schülerinnen und Schüler sind heute Konsumenten vorgefertigter Lerninhalte, Lehrkräfte sind zu Dienstleistern, Kinder und Eltern zu Kunden geworden. Das Herz der Bildungsidee ist verloren gegangen. In vielen anderen Ländern werden gleichzeitig alte, verkrustete Lernsysteme radikal verändert.
Lernen aus dem Lockdown: Unsere Schulen sind nicht mehr zeitgemäß! Doch an der Schule der Zukunft wird bereits gearbeitet. Lesch Kosmos zeigt neue Studien zum Lernverhalten und was neue Lernsysteme wirklich brauchen.
Wenn Schüler mitbestimmen, entstehen neue Dynamiken
Ein spannendes Beispiel: Portugals Schulsystem war sehr vertikal ausgerichtet und überaus bürokratisch. Dann hat man beschlossen: Wir machen einen Versuch und geben Schulen einen Euro pro Schüler extra und dieser Euro wird von den Schülern ausgegeben, sie konnten selbst entscheiden, wie sie diese Ressourcen einsetzen.
Mit finanziellen Anreizen gewinnt man in Schweden die engagiertesten und erfolgreichsten Lehrkräfte für besonders problembelastete Schulen.
Das hat zu einem grundlegenden Mentalitätswandel geführt. Plötzlich waren die Schüler Akteure, nicht mehr Konsumenten, und sie haben dann zum Beispiel auch bei der Schulleitung nachgefragt: Warum leckt hier das Dach? Warum haben einzelne Schüler nicht die Mittel für eine Teilhabe an schulischen Aktivitäten? So kann man Dinge verändern, es ist tatsächlich gar nicht so schwer.
Gute Bildung beginnt mit Ausbildung guter Lehrer
Der Blick nach Finnland zeigt: Alle jungen Menschen, die Lehramt studieren wollen, machen dort einen Zulassungstest. Die Auswahl aber findet erst im zweiten Studienjahr statt, wo die Studierenden sich in der Praxis bewähren und unter Beweis stellen müssen, dass sie erfolgreich mit Kindern und Jugendlichen und mit dem Kollegium zusammenarbeiten können. Von zehn Bewerbungen wird im Schnitt nur eine ausgewählt.
Um dem Lehrermangel entgegenzuwirken soll eine neue Plattform Quereinsteigern den Einstieg in den Schuldienst ermöglichen und erleichtern.
Schweden bezahlt Lehrer individuell
Was wäre, wenn wir Schulen finanzielle Ressourcen zur Verfügung stellen, die sich vorrangig daran bemessen, vor welchen Herausforderungen sie im Einzelnen stehen? Plötzlich würde es interessant, sich in diesen Schulen um die schwierigsten Kinder und Jugendlichen zu kümmern.
Schweden hat das genauso gemacht und dort werden sogar die Lehrkräfte individuell bezahlt. Mit finanziellen Anreizen gewinnt man die engagiertesten und erfolgreichsten Lehrkräfte für besonders problembelastete Schulen.
Schulen brauchen mehr Entscheidungsfreiheit
An deutschen Schulen herrscht oft noch ein falsch verstandener Konformismus, nicht zuletzt durch eine erdrückende Bürokratie, die über das Schulsystem entscheidet. Nur 17 Prozent der Entscheidungen darüber werden in Deutschland in den Schulen selbst getroffen. Daher braucht es mehr Entscheidungsfreiheit. Im Nachbarland Niederlande sind es neun von zehn Entscheidungen, um genau zu sein 93 Prozent.
Ich glaube, wir können vor Ort viel mehr Dinge verändern, als uns das oft bewusst ist. Dieser Glaube an die Bürokratie ist eigentlich schlimmer als die Bürokratie selber.
Die meisten Schülerinnen und Schüler sind heute Konsumenten vorgefertigter Lerninhalte, Lehrkräfte sind zu Dienstleistern, Kinder und Eltern zu Kunden geworden. Das Herz der Bildungsidee ist verloren gegangen.
Zu wenig Lehrer*innen, zu viele Hausaufgaben, überfordernde Lehrpläne und unmotivierte Schüler*innen – Kritik am Schulsystem gibt’s in Deutschland nicht zu wenig.
Man muss aber auch ehrlich sein, ganz einfach ist ein solcher Wandel nicht. Teilweise sind auch wir als Eltern Teil des Problems. Wir werden sehr schnell nervös, wenn unsere Kinder nicht mehr das lernen, was früher einmal wichtig für uns war oder wenn sie Dinge lernen, die wir nicht verstehen. Und als Politiker gewinnt man meist auch keine Wahlen mit Bildungsreformen, weil es mitunter sehr lange dauern kann, gute Ideen umzusetzen.
Ideen müssen umgesetzt werden – und alle müssen mitmachen
Aber wir haben keine andere Wahl. In der Vergangenheit konnte man sagen: Wir nehmen das Geld der Reichen, geben es den Armen und leben einfach mit den Konsequenzen einer solchen Umverteilung. Das funktioniert heute nicht mehr.
Soziale Beteiligung ist das große Thema unserer Zeit und tatsächlich sind die spannendsten Ergebnisse der aktuellen Pisa-Studie für mich, dass wir das erreichen können, dass wir das Potenzial aller jungen Menschen wirklich einbringen können in dieser Gesellschaft. Was man dafür braucht, ist wirkliches “Leadership”, Menschen, die bereit sind, das Richtige zu tun und sich einzusetzen, auf jeder Ebene des Systems.
Andreas Schleicher ist Bildungsforscher und Direktor für Bildung und Kompetenzen bei der OECD und Erfinder der Pisa-Studien. Die neuesten Ergebnisse der Erhebungen werden im Dezember 2023 veröffentlicht.
Andreas Schleicher wurde 1964 in Hamburg geboren. Obwohl er als ungeeignet für das Gymnasium eingestuft wurde, absolvierte er später das Abitur an der Waldorfschule mit einem Notendurchschnitt von 1,0. Anschließend studierte er in Hamburg Physik. Dort hörte er auch Vorlesungen des englischen Erziehungswissenschaftlers Neville Postlethwaite und machte den Master of Science für Mathematik an der Deakin University in Melbourne. Schleicher erhielt neben anderen Auszeichnungen 2003 den Theodor-Heuss-Preis für sein beispielhaftes demokratisches Engagement.
Die Vorschläge, die Andreas Schleicher aufführt, bleiben einerseits im Allgemeinen stecken (“Wir brauchen Leadership”), sind anderseits rein anekdotisch (“Wir geben Schulen einen Euro extra pro Schüler”). Er ergeht sich letztlich in diffusen Utopien, spricht von einem notwendigen Wandel, ohne diesen kohärent darlegen zu können. Bildungsvermesser fischen oft im Trüben, wenn es darum geht, Ursache und Wirkung von schulischen Massnahmen aufgrund von klarer Evidenz zu bestimmen. Sie haben ihre Messwerte und bilden Hypothesen, die sich nicht überprüfen lassen.
Genau das zeichnet auch das Interview mit Precht aus: Precht ist da noch konkreter als Schleicher, der mit wolkigen Phrasen sowie Anekdoten argumentiert (“ich war in Shanghai, da hat man mir gesagt, dass …”).
Am Schluss fragt Precht seinen Gast, was er denn als erstes tun würde, wenn er Schulminister würde. Schleicher antwortet, er würde erstmal allen Vertrauen schenken. Precht hakt nach, was denn mit der ganzen Ministerialbürokratie sei, die seine Vorstellungen vielleicht nicht unterstützen würde. Schleicher antwortet, ach, die würde dann nach einer gewissen Zeit verschwinden. Keine Spur von irgendwelchen Argumenten, die aus einer Bildungswissenschaft stammen könnten, die diese Bezeichnung verdient. Und von PISA war überhaupt nicht die Rede.
Sogenannte Bildungsexperten sind m. E. direkt verantwortlich für den Niedergang der Schule. Dass sich Herr Schleicher nach der PISA-Katastrophe nun von hinten als Wolf im Schafspelz wieder heranschleicht, macht die Sache nicht besser, sondern schlechter.
Dass er mit vorgefertigten Rezepten (“Lesch Kosmos zeigt… was neue Lernsysteme wirklich brauchen.”) hausiert, lässt bei mir lediglich die Frage hochkommen, ob es sich da bereits um (bezahlte) Schleichwerbung handelt.
Lehrpersonen vor allem monetär pädagogisch zu motivieren, grenzt m. E. an den Verrat an der Sache, wobei in Kauf genommene Zusatzaufwendungen durchaus entschädigungsberechtigt sind. Die Ein-Euro-Mitbestimmung der Schülerinnen und Schüler macht das Ganze dann definitiv zum Kabaret…
Build Back Better! Zurück zu den Wurzeln!