21. Dezember 2024
Nachruf auf Ernst Buschor - eine Ergänzung

Ein Visionär, aber kein Praktiker

Eigentlich wollte Condorcet-Autor Hanspeter Amstutz auf den Nachruf von Alain Pichard mit einem Kommentar antworten. Dann wurde es ein ganzer Beitrag. Mit Recht, denn Hanspeter Amstutz hat als Mitglied der Bildungskommission acht Jahre lang mit Ernst Buschor zusammengearbeitet und mit ihm in dessen Wirkungsjahren ab und zu heftig gestritten. Die Anerkennung und der Respekt gegenüber diesem grossen Gestalter strömt allerdings trotz aller Kritik aus jeder seiner Zeilen.

Was für ein Nachruf auf einen bildungspolitisch sehr umstrittenen, aber im persönlichen Umgang hochanständigen Menschen! Ich bin Alain Pichard dankbar, dass er Ernst Buschors Lebenswerk etwas anders interpretiert, als seine zahlreichen Gegner dies wohl tun würden.

Gastautor Hanspeter Amstutz, Starke Schule Zürich: Ernst Buschor war ein Visionär, aber kein Praktiker.

Acht Jahre lange habe ich eng mit Ernst Buschor zusammengearbeitet. Es ging damals in der Bildungskommission des Zürcher Kantonsrats um das schwergewichtige Volksschulgesetz und die Schaffung der Zürcher Fachhochschulen. Buschor war überzeugt, dass vieles radikal geändert werden müsse, um unser Bildungswesen wettbewerbsfähiger zu machen. Mit seinen Modellvorstellungen aus dem new public management, die er auf die Schule übertragen wollte, beeindruckte und alarmierte er die Lehrerschaft schlagartig. Das Zauberwort von den teilautonomen Schulen löste heftige Diskussionen aus. Die Vorstellung einer Schule mit eigenem Profil und gemeinsamer Schulkultur beflügelte viele, die von einem pädagogischen Feuer beseelt waren.

Leider war der ganze Ansatz der Reformen viel zu technokratisch und allzu strukturgläubig. Pädagogisch fehlte ein durchdachtes Bildungskonzept, da es Bildungspolitik und Erziehungswissenschaften versäumten, sich mit den konkreten Auswirkungen der Reformen im Schulalltag vertieft auseinanderzusetzen. Ja, es brach eine eigentliche Euphorie zugunsten eines völligen Umbaus unserer Volksschule aus. Man kommt nicht darum herum, der damaligen vorherrschenden Politik den Vorwurf zu machen, sich bezüglich der realen Möglichkeiten unserer Schulen völlig verschätzt zu haben. Soziologische und didaktische Schlagwörter beherrschten die Schuldiskussionen. Die kritischen Geister in der Lehrerschaft hatten es in dieser überoptimistischen Aufbruchstimmung schwer, mit sachlichen Einwänden Gehör zu finden. Und in den neu gegründeten Pädagogischen Hochschulen wollten die fortschrittlichen Dozenten beweisen, dass jetzt neue Massstäbe in der Didaktik gelten sollten.

Um das Frühenglisch zu retten, setzte sich Buschor für ein Mehrsprachenkonzept für die Primarschule ein. Dass ihm dieser für die Schule verhängnisvolle Schritt gelang, war weniger Buschors Vorgehen als der Unentschlossenheit der Zürcher Lehrerschaft geschuldet.

Ein anschauliches Beispiel im Rahmen dieser Entwicklung war die Einführung der Mehrsprachendidaktik in der Primarschule. Ernst Buschor wollte ursprünglich Englisch anstelle von Französisch in der Primarschule einführen. Er wusste, dass er damit im Wirtschaftskanton Zürich auf eine breite Zustimmung zählen konnte. Doch er rechnete nicht mit der heftigen Opposition, die ihm aus der Romandie entgegenschlug. Um das Frühenglisch zu retten, setzte sich Buschor für ein Mehrsprachenkonzept für die Primarschule ein. Dass ihm dieser für die Schule verhängnisvolle Schritt gelang, war weniger Buschors Vorgehen als der Unentschlossenheit der Zürcher Lehrerschaft geschuldet. Diese hatte bereits sehr viel ins Frühenglisch investiert. Nach der Drohung des Bundesrats, man werde beim Beharren auf einer Fremdsprache nur das Frühfranzösisch zulassen, befürchteten die meisten Lehrpersonen, auf ein attraktives Fach verzichten zu müssen. Ohne diese entschlossene Gegenwehr war es für die Bildungsdirektion und die Pädagogischen Hochschulen leichter, das unselige Dreisprachenkonzept in der Primarschule durchzusetzen.

Visionäre können Erstarrtes auflösen, aber sie entfalten nur eine positive Wirkung, wenn sie auf den Widerstand reformwilliger Realisten treffen und ihre Ideen mit der Praxis in Übereinstimmung bringen müssen.

Ernst Buschor war ein Visionär, aber kein Praktiker. Er traf auf einen Zeitgeist, der auch in der Pädagogik stark vom internationalen Wettbewerb beeinflusst war und unsere Volksschule vor grosse Herausforderungen stellte. Visionäre können Erstarrtes auflösen, aber sie entfalten nur eine positive Wirkung, wenn sie auf den Widerstand reformwilliger Realisten treffen und ihre Ideen mit der Praxis in Übereinstimmung bringen müssen.

Ernst Buschor setzte sich für Leistungstests ein

Ernst Buschor war überzeugt, dass ihm die pädagogischen Wissenschaften wegweisende Antworten für die Umsetzung seiner Reformpläne geben würden. Er war durch und durch Professor, der sich im Wissenschaftsbetrieb auskannte, aber weniger mit der Tagespolitik und den realen Verhältnissen in der Volksschule vertraut war. Doch ausgerechnet die Erziehungswissenschaften neigten in jenen Jahren zu utopischen Vorstellungen wie dem immersiven Fremdsprachenlernen oder der radikalen Abkehr von der direkten Instruktion im Klassenunterricht. Buschors Ideen mussten nicht durch das Fegefeuer eines harten wissenschaftlichen Diskurses, sie wurden vielmehr freudig begrüsst und mit Pauken und Trompeten ungeprüft in der Praxis eingeführt.

Ernst Buschors freundliches Wesen machte es ihm möglich, Kritik an seinen Reformvorhaben auf sanfte Weise zu parieren. Oft hatte man allerdings den Eindruck, dass der Dialog mit ihm doch recht einseitig war. Im Nachhinein könnte man sagen, dass der Mangel an echter Auseinandersetzung mit pädagogischen Grundfragen und der fehlende politische Widerstand sich letztlich ungünstig auf die allgemeine Schulentwicklung auswirkte. Was jedoch von Ernst Buschors grosser Schaffenskraft bleibt, ist die Realisierung eines durchlässigen Bildungssystems mit Berufsmatur und Fachhochschulen. Es ist das Vermächtnis eines Menschen, dessen Gerechtigkeitssinn über alle Zweifel erhaben war.

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2 Kommentare

  1. Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen, hat Helmut Schmidt einmal gesagt.
    Und Respekt verdient man sich nicht damit, dass man es gut meint; in der Bildungspolitik meinen es nämlich alle gut. Oder, um es mit Henry David Thoreau zu sagen: “If I knew for a certainty that a man was coming to my house with the conscious design of doing me good, I should run for my life.”

  2. Die u. a. von Ernst Buschor angestossenen Reformen zeigen vor allem eines und das ist das verkürzte Denken angesichts einer unhinterfragten Kollektiveuphorie der selbsternannten Polit-Eliten.
    Diese Euphorie findet ihre Fortsetzung z. B. im Gender-Wahnsinn und im Vermitteln der Klimapanik.
    Wie wäre es, wenn entscheidende Impulse von der Basis her endlich ernstgenommen würden? Das ist leider nicht das Programm der Pseudoakademien vulgo PHs.
    Das Problem der Illiteraten allerdings hat sich trotz der ganzen Reformitis nicht entschärft, sondern im Gegenteil verschärft.
    Bilanz: Fehlschlag.

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