Der Tagesanzeiger titelte am 19. Januar 2023: “Wählerschaft wünscht sich Kleinklassen zurück.” Seit einigen Jahren ist es ein immer wiederkehrendes Thema in Presse und Öffentlichkeit: Die integrative Schule überfordere Lehrpersonen und Kinder; sie scheitere an der zu grossen Heterogenität der Klassen und den vielen Schüler:innen mit Verhaltensproblemen. Die Gesellschaft habe sich gewandelt – Individualisierung und Selbstbezogenheit, das erzieherische Versagen der Familie, Fremdsprachigkeit und Migration werden als Ursachen schulischer Verhaltens- und Motivationsprobleme genannt. Berichtet wird auch von fehlender Motivation und verbreitetem Burnout bei den Lehrpersonen.
Eine Gruppe von Basler Lehrer:innen hat deshalb im vergangenen Jahr eine Volksinitiative lanciert. Verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche sollen niederschwellig in speziellen “Förderklassen” unterrichtet werden. In homogenen kleinen Lerngruppen könnten schwierige Schüler:innen besser gefördert werden und die Lehrpersonen würden durch das separative Angebot entlastet. Die Initiant:innen sammelten in kurzer Zeit die notwendigen Unterschriften. Die Stimmberechtigten werden voraussichtlich 2024 an der Urne darüber befinden.
In meinem Beitrag bestreite ich erstens, dass wir, um beim Beispiel Basel-Stadt zu bleiben, eine wirklich integrative Schule haben. Darum ist die Annahme, dass die integrative Schule am Ende sei, nicht richtig. Ich behaupte zweitens, dass die Schule durch frühe Selektion und die entsprechende Segregation sowie das den Schulalltag durchdringende Konkurrenzdenken zu den Problemen beiträgt, unter denen sie leidet. Ich zeige drittens auf, warum ich die Rückkehr zum System der Sonder- und Kleinklassen für einen Irrweg halte. Und ich begründe viertens, warum wir den integrativen Gedanken nicht nur beibehalten, sondern weiterentwickeln sollten – und welches die bildungspolitischen Schlussfolgerungen sind.
Warum ist die Behauptung, die integrative Schule sei am Ende sei, nicht richtig?
Die Entwicklung hin zu einer inklusiven Schule wurde durch die UNESCO-Konferenz von Salamanca (1994) angestossen, in deren Schlusserklärung eine “Schule für alle”, auch für die Kinder mit “besonderen Bedürfnissen”, gefordert wurde. Das Übereinkommen der UNO über die Rechte von Menschen mit Behinderungen bildete eine zweite Wegmarke auf dem Weg zur inklusiven Schule. 2006 wurde in New York die Behindertenrechtskonvention verabschiedet. Inklusive Bildung wurde als Menschenrecht deklariert. 2014 wurde die Konvention durch die Schweiz ratifiziert. Die Schweiz übersetzte den englischen Begriff “inclusive” dabei mit “integrativ”. Schule soll so weit wie möglich inklusiv sein. Separate Unterrichtsformen sollen wenn nötig – als Ausnahme – weiterhin ihren Platz haben.
Was aber kennzeichnet eine integrative Schule? Im allgemeinen Verständnis ist es eine Schule, in der Kinder “mit besonderem Bildungsbedarf” zusammen mit nicht-behinderten Kindern gemeinsam unterrichtet werden. Ein gemeinsamer Unterricht allein macht jedoch keine integrative Schule aus. Der Idee der inklusiven Schule liegt der Gedanke der Freiheit, der Selbstwirksamkeit und der Würde aller Menschen zugrunde. Jedes Kind soll individuell gefördert werden, es soll sein individuelles Potenzial bestmöglich ausschöpfen können und es soll darum an seinen eigenen Möglichkeiten gemessen werden – nicht an einer Norm, nicht primär im Vergleich mit anderen. Die integrative Schule ist ein partizipatives Projekt: Lernen wird als Lernen in Gemeinschaft und für die Gemeinschaft mit anderen verstanden. Entscheidend ist: Kein Kind soll ausgeschlossen und damit beschämt werden.
Die integrative Schule ist ein partizipatives Projekt: Lernen wird als Lernen in Gemeinschaft und für die Gemeinschaft mit anderen verstanden.
Wenn wir den Blick auf Basel-Stadt richten, dann sehen wir ein leistungs- und konkurrenzorientiertes Schulsystem mit einer frühen Selektion. Bereits im sechsten Primarschuljahr wird festgelegt, welches Kind in welchen der drei Leistungszüge der Sekundarschule kommt, was wiederum den weiteren Weg in Richtung Gymnasium oder Berufslehre vorspurt. Konkurrenzdruck und Versagensängste vieler Eltern und Kinder prägen den Unterricht also bereits auf der frühen Primarschulstufe. Die Angst der Angehörigen, dass ihr Kind in den mittleren oder gar den tiefsten Leistungszug eingeteilt werden könnte, ist verständlich, da mit der Zuteilung zugleich Lebenschancen vergeben werden.
Entscheidend ist nicht, wie viele Kinder “mit besonderem Bildungsbedarf” integrativ unterrichtet werden. Die Frage ist vielmehr, wie inklusiv die Schule als Ganzes ist. Die schweizerische Volksschule versteht sich offiziell als integrative Schule. Eine früh selektionierende, segregierende und konkurrenzorientierte Schule und die Idee der integrativen Schule sind jedoch ein unauflösbarer Widerspruch.
Die Schule ist für die Verhaltens- und Motivationsprobleme mitverantwortlich
Der systemische Aspekt wird in der aktuellen Diskussion tendenziell ausgeblendet. Das Problem, heisst es, seien primär die verhaltensauffälligen Kinder – bzw. der familiäre Kontext und die kulturelle Herkunft. Die Schule als gesellschaftlich bedeutsame Institution jedoch wird zu wenig selbst zum Objekt der Analyse gemacht. Die im Vergleich zu anderen Ländern frühe Selektion und die damit verbundene Segregation sowie die allgegenwärtige Tendenz, sämtliche Leistungen in sämtlichen Fächern zu messen und zu bewerten, trägt wesentlich zu den Verhaltens-, Lern- und Motivationsproblemen bei, unter denen die Schule leidet. Das vom Wettbewerbs- und Konkurrenzgedanken durchdrungene Schulsystem kennt Gewinner:innen und es kennt deshalb immer auch Verlierer:innen: Kinder also, die Probleme haben und Kinder, die Probleme machen. Es gibt ein hohes Ausmass an strukturell bedingter Exklusion – ein Nährboden für Neid, Scham, Resignation und nicht zuletzt Aggression.(1)
Die Rückkehr zum System der Kleinklassen ist ein Irrweg
Welches wären die Konsequenzen, wenn die Forderungen der Basler Volksinitiative umgesetzt würden? Wir hätten auf der Stufe Sekundarschule insgesamt fünf Leistungsstufen: einen progymnasialen Zug mit den leistungsstärksten Schüler:innen; einen mittleren Zug für Schüler:innen, die auf eine anspruchsvolle Berufslehre oder eine Fachmittelschule vorbereitet werden; einen Zug für leistungsschwächere Kinder und Jugendliche, für die der Aufstieg in den mittleren oder gar den leistungsstärksten Zug schwierig oder fast unmöglich ist; wir hätten neu die niederschwellig konzipierten Förderklassen mit einer Konzentration von Kindern mit Verhaltensproblemen, die meisten mit Migrationshintergrund; und wir hätten die jetzt schon bestehenden “Spezialangebote” für die Gruppe der schwierigsten Kinder.
Eine früh selektionierende, segregierende und konkurrenzorientierte Schule und die Idee der integrativen Schule sind jedoch ein unauflösbarer Widerspruch.
Bei drei von fünf Stufen würde der Aspekt der Aussonderung und Stigmatisierung im Vordergrund stehen. Noch mehr Schüler:innen als heute würden in nur scheinbar homogenen(2) kleinen Lerngruppen unterrichtet. Die Gefahr besteht, dass viele dieser Klassen der Konzentration schwieriger Kinder wegen nicht führbar sein werden. Es könnten vor allem jüngere und unerfahrene Lehrpersonen sein, die den ungeliebten Unterricht in diesen Klassen übernehmen müssten – mit der Folge, dass viele Lehrpersonen scheitern, krank werden oder den Beruf wechseln.
Schlussfolgerungen
Die Schule von heute muss sich mit der Heterogenität der Gesellschaft auseinandersetzen. Heterogenität ist eine gesellschaftliche Wirklichkeit und wird es auch in Zukunft sein. Der Wunsch der Lehrpersonen nach einem Unterricht in homogeneren Gruppen ist nachvollziehbar. Leistungshomogene Klassen sind jedoch eine Illusion. Die Förderklassen-Initiative stützt diese Illusion.
Für die Weiterentwicklung der integrativen Schule sprechen nationale und internationale Forschungsergebnisse, die zeigen, dass der integrative dem separativen Unterricht in der Regel vorzuziehen ist. Kinder, die leistungsschwächer sind, lernen durch das Vorbild leistungsstarker Kinder. Sie fühlen sich weniger ausgeschlossen, sie sind eher motiviert zu lernen und Regeln des Miteinander anzunehmen, sie haben, nicht zuletzt, bessere berufliche Chancen. Kinder mit „herausforderndem Verhalten“ brauchen den Kontakt mit und die Vorbildwirkung von sozial integrierten Kindern. Auch leistungsstarke Schüler:innen profitieren von heterogen zusammengesetzten Klassen. (3)
Es braucht tatsächlich kleinere Klassen, z.B. mit konsequentem Team-Teaching durch zwei Lehrpersonen.
Mit diesem Hinweis auf die Wissenschaft ist einer Lehrperson, die ein Gefühl der Überforderung und Ohnmacht empfindet, allerdings nicht gedient. Sie braucht konkrete Hilfe. Benötigt sie mehr Ressourcen? Mehr Geld, mehr Assistenzpersonen? Was die Ressourcen betrifft: Es braucht tatsächlich kleinere Klassen, z.B. mit konsequentem Team-Teaching durch zwei Lehrpersonen. Was es aber vor allem braucht, sind strukturelle Veränderungen: Basel-Stadt sollte sich, und das gilt für die schweizerische Volksschule generell, für ein integriertes Sekundarschul-Modell entscheiden, wie es z.B. einige Kantone der französischen Schweiz kennen. Damit würde der Selektionsentscheid erst nach neun statt nach bereits sechs Jahren gefällt.(4) Damit würde auch die Primarschule entlastet. Es wäre ein machbarer Schritt hin zu einer integrativeren und sozial gerechteren Schule.
Wettbewerb unter den Kindern hat durchaus seinen Platz
In einer integrativen Schule hat der Wettbewerb unter den Kindern durchaus seinen Platz. Fragwürdig ist das alles durchdringende Konkurrenzsystem, fragwürdig sind die allgegenwärtigen vergleichenden Leistungsmessungen(5), die stark reduziert werden müssten. Im idealen Fall würde man auf sie verzichten.
Aber auch mit strukturellen Massnahmen würde keine ideale Schulwelt geschaffen. Schwierige Unterrichtssituationen und Kinder, die den Rahmen eines integrativen Unterrichts sprengen, wird es immer geben. Vielleicht braucht es tatsächlich mehr separativen Unterricht. Der Inklusionsgedanke schliesst separative Angebote wie Schulinseln und andere schulhausinterne Möglichkeiten zur temporären Separation sowie vereinzelte Sonderschulklassen nicht aus. Es ist aber ein entscheidender Unterschied, ob separativer Unterricht Teil eines Schulsystems ist, das auf Aussonderung hin angelegt ist oder ob es sich um eine integrative Schule handelt, die sich der Grenzen des inklusiven Unterrichts bewusst ist, ohne die Grundidee der Inklusion aufzugeben.
Politische Bestrebungen wie die Förderklassen-Initiative verstärken die Tendenz der Exklusion.
Ich interpretiere die heute verbreitete Forderung nach einer Rückkehr zum System der Kleinklassen als Anzeichen einer allgemeinen Resignation im Angesicht einer Welt, in welcher Krisenmodus und Zukunftsangst dominieren. Die moderne Soziologie beschreibt die zunehmende globale Ungleichheit, die Rückkehr zu einer Klassengesellschaft, die Angst vor dem sozialen Abstieg.(6) Viele Menschen verfügen über schlechtere oder keine Bildungsabschlüsse, sie gehen schlecht bezahlten Tätigkeiten nach, ohne sozial abgesichert zu sein. Ihre Lebensperspektive ist eingeschränkt. Es sind die Ausgegrenzten, tendenziell die Überflüssigen der Moderne.(6) Dieser Entwicklung muss die Bildungspolitik ihren inklusiven Ansatz entgegensetzen. Politische Bestrebungen wie die Förderklassen-Initiative verstärken die Tendenz der Exklusion.
Die Abkehr vom Ideal der integrativen Schule ist ein Irrweg. Es ist ein sozialer Irrweg, da Menschen vermehrt ausgegrenzt würden. Es ist vom Gedanken der Humanität aus gesehen ein Irrweg, da viele junge Menschen ihrer Lebenschancen beraubt würden. Es ist wirtschaftlich gesehen ein Irrweg, da ein grosses Potenzial an Fähigkeiten nicht produktiv genutzt werden könnte. Nicht zuletzt kommt der Schule gerade in einem städtischen Umfeld mit grossem sozialem Gefälle eine wichtige integrative Funktion zu. Diese gesellschaftliche Chance würde bei zunehmender Aussonderung vergeben.
Fitzgerald Crain Kaufmann
Ehem. Dozent Universität Basel und Professor an der FHNW. Gruppe Bildung im Denknetz und Mitglied der SP BS
Literaturangaben
Bauman, Zygmunt (2006). Verworfenes Leben: Die Ausgegrenzten der Moderne. 2. Aufl. Hamburg: Hamburger Edition
Crain, Fitzgerald (2021). Die Ausgegrenzten des A-Zugs und das Versprechen der integrativen Schule. In: Widerspruch 76, S. 11 – 17
Reckwitz, Andreas (2020). Das Ende der Illusionen: Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne. Berlin: Suhrkamp
Sagelsdorff, Rebekka und Simons, Augustus (2021). Schule als Stigma. In: Widerspruch 76, S. 19 – 29
(1) Sagelsdorff und Simons 2022; Crain 2022
(2) Sagelsdorff und Simons ebd.
(3) Ebd.
(4) Die Folge der frühen Selektion ist, dass die soziale Mobilität tief ist und dass vor allem Kinder mit Migrationshintergrund benachteiligt sind. Siehe z.B. den Artikel im Tagesanzeiger vom 3. 8. 2021 (Soziale Mobilität nimmt ab: So schwer ist der Aufstieg in der Schweiz).
(5) Wie die «Checks» genannten standardisierten Leistungstests im Bildungsraum Nordwestschweiz.
(6) Siehe z.B. Reckwitz 2020
(7) Bauman 2006
Bemerkung:
Der Condorcet-Bildungsblog verwendet die Gendersprache nicht, belässt aber den Autoren deren Schreibweise.
Welche Sprache?
Ein Informatiker einer bekannten, erst vor kurzem übernommenen, Bank, erklärte mir neulich seine Arbeit. Er muss für alltägliche Anwendungen sogenannte “Patches” entwickeln. Das gesammte System basiert auf einer Computersprache, welche schon seit Jahren nicht mehr aktuell ist und für die kaum noch Programmierer zu finden sind. Die Führung hat vor Jahrzehnten darauf verzichtet, das System gemäss den damals bekannten Anforderungen und in einer gebräuchlichen Sprache neu aufzusetzen. Der Zeitpunkt wurde verpasst und heute ist es schlicht zu teuer.
Am Ende meiner Laufbahn als Lehrer betrachte ich die Volksschule aus einer ähnlichen Perspektive. Gewachsene Strukturen, Partialinteresse und politische Mehrheiten, verhindern ein Schulsystem welches den heutigen Anforderungen gerecht wird. Mit unzähligen Flicken wird versucht, die einst wirkungsvolle Volksschule am Leben zu erhalten.
Was sollen die Schülerinnen und Schüler am Ende der Schulzeit an –Bildung – mitgenommen haben?
Nicht bezüglich der vielen im Lehrplan 21 erwähnten Kompetenzen, sondern in einer gesellschaftlich akzeptierten Zielformulierung auf einem (1) Blatt, in einer verständlichen Sprache.
Von einem solchen Konsens aus müsste die Schule neu gedacht und das System neu “aufgesetzt”werden. Mit dysfunktionalen “Patches” und deren Folgen haben wir ja nun schon reichlich Erfahrung. Einfach mehr davon, bringt uns keine Lösung sondern neue Probleme.
Verschiedene Wege führen zum Ziel und das einzig richtige System gibt es wahrscheinlich nicht. Der lautstarke Streit um Kleinklassen, Inklusion, Sonderklassen und Integration scheint mir in der aktuellen Situation eher ein Auswuchs eines Systems am Ende seiner Laufzeit.
Bin gespannt, was da noch kommt.
“Entscheidend ist: Kein Kind soll ausgeschlossen und damit beschämt werden.”
Der Unterschied zwischen Leuten mit Praxiserfahrung und denen aus dem Elfenbeinturm liegt allein darin, wie man diesen Satz umsetzt. Ich für meinen Teil habe von den praxisfernen Experten die Nase voll, Condorcet hin oder her.
Da melden sie sich wieder die Schwärmer und Träumer!
1. Zunächst schimmert Rousseau durch: Die Idee von der glücklichen Menschheit, die durch die Zivilisation kaputt gemacht wird. Alle Schulprobleme wären gelöst, wäre da nicht das Wettbewerbs- und Konkurrenzdenken. Abgesehen davon, dass dies eine unbewiesene Behauptung ist, leben wir nun einmal in dieser Wettbewerbs- und Konkurrenzgesellschaft: Wirtschaft, Sport, Medien, digitale Welt sind durchdrungen von Wettbewerb, Konkurrenz, Zertifikaten, Standards, Fortschritt, Erfolg, Misserfolg, sie prägen diese Welt. Wir können ihr nicht entrinnen und müssen die Kinder irgendwie darauf vorbereiten. Und dies gelingt auch nachweislich, wie die geringe Arbeitslosigkeit zeigt.
2. Zweite Behauptung: «Die im Vergleich zu anderen Ländern frühe Selektion und die damit verbundene Segregation sowie die allgegenwärtige Tendenz, sämtliche Leistungen in sämtlichen Fächern zu messen und zu bewerten, trägt wesentlich zu den Verhaltens-, Lern- und Motivationsproblemen bei, unter denen die Schule leidet.» Dafür gibt es nach wie vor keinerlei Beweise! Warum nehmen sich in Ländern (z.B. Finnland), die bis zum 9. Schuljahr nicht leistungsdifferenziert unterrichten, mehr Jugendliche als bei uns das Leben? Wieso nivellieren Gesamtschulen so sehr nach unten, dass im 9. Schuljahr Schüler(innen) mit gleichem Potenzial fast zwei Jahre hinter denjenigen liegen, die in differenzierten Klassen unterrichtet wurden?
3. Kritisiert wird die Einrichtung von Förderklassen mit der Aussage: «Die Gefahr besteht, dass viele dieser Klassen der Konzentration schwieriger Kinder wegen nicht führbar sein werden.» Auf welchem Planeten lebt der Verfasser? Genau das ist ja das Problem, nämlich dass die integrierten Klassen nicht mehr führbar sind, wenn zu viele störende Elemente den Unterricht auch denjenigen vermiesen und verunmöglichen, die lernen wollen oder zum Lernen motiviert werden könnten.
4. Kinder würden «stigmatisiert», wenn sie in speziellen Gruppen unterrichtet würden. Eine weitere falsche Behauptung. Die Stigmatisierung findet gerade in integrierten Klassen statt, wenn da einige sitzen, die es noch beim zehnten Mal nicht begriffen haben. Der Verfasser scheint nie erlebt zu haben, wie es ist, wenn sich alle genervt umdrehen: «Hesch es immer noony checkt, du Bacheli?»
5. Eine Unterstellung ist die Behauptung, Lehrpersonen wünschten sich «homogene» Klassen. Wie, wenn es das je gegeben hätte! Wo eine Gruppe nach Zufallsprinzip zusammen ist, gibt es immer Unterschiede. Aber die Natur ist ungerecht: Es gibt Schnellere und Langsamere, Brillante und schwach Begabte. Wenn ab dem 7. Schuljahr (endlich) eine Differenzierung nach kognitiven Fähigkeiten erfolgt, ist das keine Sünde, sondern eine Erlösung für alle. Zumal da die Schweiz ein Bildungssystem hat, bei dem Aufstiege und Umstiege für Spätentwickler eingeplant sind und auch fleissig genutzt werden.