Zu einem meiner Rituale, wenn ich als Klassenlehrer eine Klasse verabschiede, gehört das Flaschenspiel. Wir sitzen am Abend im Kreis, meistens neben einem Lagerfeuer, die Flasche dreht sich. Die Person, auf die der Flaschenhals zeigt, darf jemandem in der Runde eine Frage stellen, die dieser möglichst ehrlich beantworten soll. Alles auf den Tisch, so oder ähnlich nenne ich dieses Spiel jeweils. Einmal, als der Hals auf mich zeigte, fragte ich die ganze Runde: «Mal unter uns, wie oft habt ihr bei mir gespickt oder betrogen?» Mit dieser Frage löste ich eine ganze Salve von Geständnissen aus. Obwohl ich eigentlich meine Testumgebungen so gestalte, dass sich das «Spicken» eher schwierig gestaltet, war ich natürlich nicht so naiv zu glauben, dass das bei mir nie passiert. «Einmal haben Sie den kopierten Test auf ihr Pult gelegt und mussten dann rausgehen,» erzählte Selina. «Wir sind dann schnell zu Ihrem Pult gegangen und haben mit dem Handy den Test fotografiert (Bemerkung: Es handelte sich um einen Physiktest). Da der Test erst in der 3. Lektion stattfand, konnten wir uns kurz auf die Fragen vorbereiten.»
Ralf erzählte: «In der Parallelklasse machten Sie oft den gleichen Test. Wer den Test zuerst schreiben musste, fotografierte ihn mit dem Handy und schickte ihn unseren Kameraden der anderen Klasse.»
Bei allen Theoriemodellen in den Bildungsabteilungen wird das handfest ökonomische Denken unserer Schülerinnen und Schüler völlig ausser Acht gelassen. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, dann «betrügen» die Geprüften ohne Hemmungen. Das war bei uns schliesslich nicht anders.
Wenn ich nun erfahre, dass im Kanton Baselland die vom Institut für Bildungsevaluation entwickelten Tests nicht an einem einzigen Prüfungstermin stattfinden, sträuben sich bei mir und jeder erfahrenen Lehrperson die Nackenhaare.
Als Schüler wäre ich geradezu beleidigt, wie wenig Gerissenheit man mir zutraut.
Und wenn die Bildungsdirektion auf Anfrage behauptet: «Wie bei promotionsrelevanten Prüfungen besteht auch bei den Checks die Möglichkeit, dass die Schülerinnen und Schüler tricksen. Es dürfte sich dabei aber aufgrund der nicht erfolgenden Benotung um Einzelfälle handeln”, dann fehlen einem die Worte: Wie naiv ist das denn? Als Schüler wäre ich geradezu beleidigt, wie wenig Gerissenheit man mir zutraut.
In Frankreich werden die in Paris entwickelten Maturitätsaufgaben an einem einzigen Tag in allen Regionen des Landes zur selben Zeit durchgeführt, sogar in den Kolonien. Und da soll es nicht möglich sein, in einem kleinen Halbkanton die Test all an einem Tag zur selben Zeit durchzuführen?
Zu dieser Realsatire gehört auch die bittere Analyse eines Sekundarlehrers, der die Durchführung und Korrektur dieser ominösen Checks hautnah miterlebte: «Das bunt zusammengewürfelte Korrektorenteam überfliegt die Texte, hält den nassen Finger in die Luft und ein setzt dann gehetzt ein paar Kreuzchen, das ominöse Programm berechnet daraus eine noch ominösere dreistellige Punktzahl und fertig ist die «evidenzbasierte Evaluation».
Der dritte Akt folgt unweigerlich, wenn die Resultate die Medien erreichen. Die Journalisten, mehrheitlich auf dem Level der Sportjournalistik beheimatet, interessiert an diesem evidenzbasierten Quark eh nur die Rangliste.
Höchste Zeit, dieses Potemkinschen Dorf abzuräumen. Die Qualität der Teste steht hier nicht zur Debatte. Aber so, wie sie durchgeführt und korrigiert werden, ist ihre Aussagekraft gleich Null. Sparen wir uns das Geld für einen evidenzbasierten, sprich guten Unterricht.
Bâle Campagne…
Resultat des letzten nationalen Bildungsstands-Vergleiches: Den letzten Platz belegte Baselstadt, den zweitletzten Platz ergatterte Baselland.
Ich habe keine Fragen, nur noch Antworten.