21. Dezember 2024

Der Schrauber ist wieder da

Es gibt in unserem Land eine Schicht, über die, oder besser über deren zunehmendes Fehlen, viel geschrieben wird: Die sogenannten Fachkräfte, Techniker, der gut ausgebildete Teil der produktiven Arbeiterschaft, hier kurz „Schrauber“ genannt. Hubert Geissler beschreibt in seinem Beitrag das Arbeitsleben seines Bruders im Zeitalter des “Fachkräftemangels”

Er ist wieder da… der Schrauber.

Manche Condorcet-Leser und Leserinnen erinnern sich vielleicht. Es ist zwar schon Jahre her, dass meine Berichte über das Schrauberleben meines Bruders, seine Beobachtungen aus dem alltäglichen Wahnsinn des deutschen Arbeitsalltags und seinen Erlebnissen als Monteur in diversen Ländern durchaus freundliches Interesse fanden: War doch der „Schrauber“ so etwas wie das unbekannte Wesen, unverzichtbar, aber in der Regel nicht beachtet, fristete er sein Dasein in Öl und Schmierfett.

Das hat sich seither gründlich geändert. Wie damals beschrieben, tendierte die Zahl der Schrauberpopulation nach unten, und sobald das offensichtlich wurde, beklagte eine konsternierte Gesellschaft den „Fachkräftemangel“, der zunehmend Wohlstand und Produktion bedrohe. Gleichzeitig schaffte es die Bildungskrise ins öffentliche Bewusstsein (Teile der Kinder scheinen ins Analphabetentum abzugleiten, MINT-Fächer werden nicht studiert, von den Adepten von Genderstudies und Völkerrecht ist kein korrektes Bedienen eines Schraubenschlüssels zu erwarten), Corona störte den gewohnten Gang der Geldvermehrung erheblich, und am Ende rissen auch noch die Lieferketten.

Wie ging es mit meinem Bruder weiter? Schon lange klagte er über gesundheitliche Probleme wegen Überlastung: Ständige Montageaufträge im Ausland mit langen Anfahrtswegen, Überstunden und eine seiner Meinung nach nicht adäquate Bezahlung bewogen ihn zu kündigen. Mit ihm verließen weitere kompetente Kräfte die Firma, die im Übrigen jetzt vor der Liquidation steht. Ob ein Verkauf gelingt und die Arbeitsplätze zu retten sind, steht in den Sternen. Energiekosten, das allgemeine wirtschaftliche Umfeld und besonders die Unmöglichkeit, zeitnah wichtige Bauteile zu organisieren, lassen Befürchtungen aufkommen.

Einige der „Dissidenten“ gründeten nach ihrem Weggang eine kleine, aber feine Firma.

Einige der „Dissidenten“ gründeten nach ihrem Weggang eine kleine, aber feine Firma, die sich mit der Auftragskonstruktion spezieller Maschinen beschäftigt, aber im Grunde auch jeden Schrauberauftrag annimmt, was aufgrund der Tendenz großer Firmen, Aufgaben outzusourcen, nicht schwierig erscheint. Die „Buben“, wie sie mein Bruder nennt, fragten bei ihm an, ob er Lust hätte, bei ihnen zu schrauben. Mein Bruder nahm eine halbe Stelle, damit kommt er finanziell bestens über die Runden. Und die „Buben“ scheinen auf dem richtigen Weg zu sein. Für die Verwaltung reicht eine einzige Person, die Frau des Programmierers. Das Klima ist familiär, Entscheidungsprozesse kollegial mit minimalem Organisationsaufwand.

Das Ganze könnte fast ein Modell sein, wie sich die Interessen von Alt und Jung vereinbaren ließen: Flache Hierarchien, eingespielte Teams, wenig unnötiges Papier.

Geradezu witzig ist dabei, dass nunmehr schon zwei ältere Kollegen meines Bruders Teilzeit dort arbeiten, die „Rentnergang“. Man kennt und mag sich, man hat gemeinsame Erinnerungen und man vertraut der Kompetenz des Anderen. Einer, ein Siebenbürger, arbeitete in Atomkraftwerken in Rumänien. Nach seiner Übersiedlung nach Deutschland werkelte er als einfacher Schrauber. Den anderen kennt mein Bruder schon aus seiner Lehrzeit: Alles beste Voraussetzungen, dass die Arbeit nicht nur „flutscht“, sondern geradezu Spaß macht, was überhaupt ein Teil der Motivation der „Rentnergang“ zu sein scheint. Das Ganze könnte fast ein Modell sein, wie sich die Interessen von Alt und Jung vereinbaren ließen: Flache Hierarchien, eingespielte Teams, wenig unnötiges Papier.

Diese Art von Republikfluchtgedanken

Interessant vielleicht noch eine Aussage des Gründers der kleinen Firma: Er hoffe, dass ihr Betrieb Erfolg habe, aber wenn nicht, würde er ohne Bedenken auswandern, am liebsten in die USA; bestimmt ein Typ, der überall mit Handkuss genommen wird. Diese Art von Republikfluchtgedanken habe ich auch selbst erstaunlich oft von gerade jüngeren, gut ausgebildeten Leuten gehört, was einen schon bedenklich stimmen kann. Das früher scherzhafte „Wer zahlt unsere Rente“ könnte in Bälde eine unangenehme Bedeutung bekommen. Von Entlassungen hört man bisher wenig. Noch wird technisches Personal gesucht.

Angesichts der Tatsache, dass auch sonst allenthalben Arbeitskräfte fehlen, beklagt sich die Schrauberschaft, soweit sie mir bekannt ist, über die Alimentierung der Schutzsuchenden, ohne diese zu beschäftigen und sieht darin ein Gerechtigkeitsproblem. Dazu kommt noch, dass das Bürgergeld nicht unbedingt als beschäftigungsfördernd gesehen wird. Mein Bruder meint, die Sache wäre einfach zu lösen: Bis 3000 Euro müsste ein Gehalt einfach steuerfrei sein, um zur Arbeitsaufnahme zu motivieren. Früher, in den 60-ern hätten Arbeiter kaum Lohnsteuer bezahlt. Im Grunde ist sogar mein Bruder ein Beispiel für diese mangelnde Motivation. Er meint, er wolle nicht voll arbeiten, ihm würde sowieso zu viel wieder abgezogen und sinnlos von unserer Regierung in der ganzen Welt verteilt. Auch seine Gang-Kollegen könnten mehr tun, wollen aber nicht, weil es sich nicht „rentiert“.

Inflation ist ein Thema, die offiziellen Zahlen werden als zu niedrig eingeschätzt. Energie im Privaten beschäftigt weniger. Viele Schrauber haben ihre Eigenheime wie Wagenburgen mit Holz umgeben: „Das reicht mindestens drei Jahre.“ Überhaupt, der Satz „Für uns wird es noch reichen, aber dann?“ fällt erstaunlich oft. Interessanterweise habe ich den auch in einem ganz anderen Zusammenhang von jüngeren Leuten gehört, die meinen, die Klimakatastrophe werde erst die Generation nach ihnen treffen, nicht sie selber.

 Hubert Geißler stammt aus Bayern war Lehrer für Kunst/Deutsch/Geschichte. Die beschriebenen Situationen sind realistisch und gehen auf Gespräche mit seinem Bruder, einem Machinenbautechniker, zurück.

image_pdfAls PDF herunterladen

Verwandte Artikel

Wer pädagogisch führt, muss wirken wollen

„Ich unterrichte so gerne!“ Das sagen viele Dozierende. Der schöne Satz betrifft die Aufgabe, vielleicht weniger die Wirkung, die Lehrende erzielen sollen. Seinen Einfluss kennen und wir-ken, darauf kommt es an. Ein komplementärer Zwischenruf von Condorcet-Autor Carl Bossard.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert