In der Schule hörte ich letzthin einer spannenden Diskussion zu. Es ging darum, wo und wie man die Auswertungswoche der Praktikumsbesuche in der 9. Klasse durchführen wolle. Die Schulleitung und eine Mehrheit der Lehrkräfte befürwortete eine auswärtige Lösung, sprich eine Schulverlegung. Die jungen Familienväter und -mütter argumentierten, dass damit bereits drei auswärtige Wochen auf die Lehrkräfte zukämen, Skilager, Abschlussreise und eben diese Auswertungswoche.
Bereits in der 7. und 8. Klasse gebe es jeweils zwei Schulverlegungen (zwei Skilager, ein Sportlager in Tenero und eine Kennenlernwoche). Niemand bezweifelte den Sinn einer Schulverlegung. In Schulverlegungen liessen sich viele pädagogische Ziele des sozialen Lernens sehr wirkungsvoll umsetzen. Gerade in einer Brennpunktschule sei es eminent wichtig, den Schülerinnen und Schülern eine Art Gegenwelt zu bieten. Zusammenleben mit Pflichten trainieren, alternative Lebensformen üben, Freundschaften aufbauen, Mitbestimmung üben oder eben ausserschulische Lernwelten erschliessen.
Aber eine Schulverlegung bedeutet in der Regel einen 24-Stunden-Betrieb, die Ausweitung der Verantwortungspflicht der Lehrkräfte in Zeit und Raum. Eine verantwortliche Lehrkraft – meistens sind es ja die Klassenehrkräfte – ist vor und nachher Reiseleiter, Budgetplaner, Putzfachkraft, Sozialarbeiter, Mediator, Kontrolleure, Planer, Krisenbewältiger u.v.a. mehr.
Der Lohn ist oft – nicht immer – die Freude der Schülerinnen und Schüler, der Lerneffekt und die Dankbarkeit der Eltern.
Die Ernährung der Lagerteilnehmer ist ein wichtiger Bestandteil der Vorbereitungen. Ein gutes schmackhaftes Essen ist oft die halbe Miete. Natürlich muss sich auch eine Lagerverpflegung den Ernährungsgewohnheiten der Gesellschaft anpassen. Vegetarisches Essen ist gefragt, Bioproddukte ebenso, muslimische Kinder essen kein Schweinefleisch, Allergien aller Art müssen bedacht werden.
Mit Verve diskutierte das Zürcher Stadtparlament letzthin den Menueplan eines Jugendlagers (Sportlager in Fiesch).
Dazu gesellt sich noch eine staatliche Regulierungswut, die auch nicht vor unserem Unterricht haltmacht. Mit Verve diskutierte das Zürcher Stadtparlament letzthin den Menueplan eines Jugendlagers (Sportlager in Fiesch). Die Grünen fanden, dass es zu viel Fleisch gebe.
Aber eine Schulverlegung bedeutet in der Regel einen 24-Stunden-Betrieb, die Ausweitung der Verantwortungspflicht der Lehrkräfte in Zeit und Raum. Eine verantwortliche Lehrkraft – meistens sind es ja die Klassenehrkräfte – ist vor und nachher Reiseleiter, Budgetplaner, Putzfachkraft, Sozialarbeiter, Mediator, Kontrolleur, Planer, Krisenbewältiger u.v.a. mehr.
Wenn heute ein Lehrer mit seiner Klasse nach einer dreistündigen Wanderung an einen Bergsee gelangt, müsste er eigentlich, wenn er über kein Lebensretterdiplom verfügt (das alle 5 Jahre erneuert werden muss), die nach Abkühlung lechzende Klasse stoppen. Und wenn er selbst im Besitz eines solchen Zertifikats ist, dann darf er nicht mehr als 10 SchülerInnen in seiner Gruppe das Baden erlauben, weil es sonst nämlich noch eine zweite ausgebildete Fachperson braucht.
Auch im Schulalltag selber erschweren immer mehr Bevormundungen unsere Arbeit als Pädagogen.
Als ich während einer mehrtägigen Velotour mit meiner Klasse eine Badeanstalt besuchte, wurde mir als verantwortlichem Klassenlehrer eine Art Vertrag vorgelegt (zwei komplette Seiten in der Badi Zurzach), welche sämtliche Eventualitäten regelt. Ohne Unterschrift keinen Eintritt. Zeitgleich liegt ein zweiseitiger Katalog von Bestimmungen in meinem Fach, der das Skifahren im Skilager regeln soll.
7-seitige Outdoorkonzepte an den Schulen regeln unter anderem das Velofahren, die Zahl der Begleiter und die Ausrüstung.
Auch im Schulalltag selbst erschweren immer mehr Bevormundungen unsere Arbeit als Pädagogen. Dem langjährigen Bäcker, der an unserer Schule Gipfeli, Sandwichs und auch Schokodrinks verkauft hatte, wurde der Auftrag entzogen. Grund: Die Ernährungsvorschriften der Stadt lassen so etwas nicht mehr zu. Gewünscht sind Vollkornbrötchen, Äpfel, Gemüseschnitten und Darwida. Folge: Unsere Schüler decken sich in der nahegelegenen Migros mit Süßigkeiten ein.
Mein Großkind durfte in Zürich an seiner Schule zu seinem Geburtstag nicht mehr einen zu Hause gebackenen Schokoladenkuchen für seine Klasse mitbringen. Die Ernährungsvorschriften lassen diesen Zuckerkonsum nicht mehr zu. Ich erhielt von der Lehrerin meines Sohnes einen mahnenden Brief, das Pausen-Sandwich nicht mehr in Alufolie einzupacken (was mir zu meiner Schande wirklich passiert ist, weil mir die Plastikfolie ausgegangen war).
Das alljährliche Schulhausfest, ein beliebter Anlass, der meistens bis spät nach Mitternacht ein gemütliches Zusammensein von Lehrkräften, Eltern, Behördenmitgliedern und Ex-Schülerinnen zulässt, soll künftig ohne Alkoholausschank auch für die Erwachsenen stattfinden. In unserer Nachbargemeinde, wo die Richtlinie umgesetzt wurde, werden nur noch Süßmost, Mineralwasser und Tee in Plastikbechern ausgeschenkt. Coca-Cola scheitert an den Zuckerbestimmungen. Die Folge: Nach der Theatervorführung verziehen sich die Eltern in die Restaurants oder nach Hause, der Pausenplatz darf nach 20.00 Uhr bereits aufgeräumt werden.
An unserem Schülerband-Festival im Freien kamen kürzlich zwei Spezialisten des Bundesamtes für Gesundheit und maßen die Dezibel. Aufatmen: Wir erfüllten die Auflagen, wenn auch knapp.
Schule muss stattfinden, Schullager müssen es nicht unbedingt. So erstaunt es kaum, dass die Bereitschaft der Lehrkräfte, eine Schulverlegung zu organisieren, nachlässt. Denn zu all den Auflagen und Bevormundungen kommt noch die Gefahr einer Verantwortungsklage, wenn in einem Schullager irgendetwas passiert.
So droht uns eine geistige Verödung und Banalisierung des Schullebens, ganz nach dem Motto: Operation gelungen, Patient gestorben. Denn wenn mal eine aufwändige Institution, wie es zum Beispiel ein Schullager ist, abgeschafft wird, ist deren Wiedereinführung eine langwierige, wenn nicht gar unmögliche Angelegenheit.
Der Stand-up Comedian Claudio Zuccolini persifliert das Dilemma der Schullagervorbereitung in einem köstlichen Sketch. Lassen wir diesen Artikel also mit einer sarkastischen Note ausklingen:
Hirnrissig, diese Regulierungswut. Passt aber zur Narzissmus-Epidemie unserer Gesellschaft.
Ich hatte eine gute Zeit mit meinen Schülerinnen und Schülern:
– Tolle Winter- und Sommerlager
– Schwimmen im Rhein mit Begleitung von 4 – Sportlehrkräften
– Brückenspringen
– Kletterlager
– Alpine Hochtour zum Piz Morteratsch
– Anspruchsvolle Tour auf den Piz Languard
– Zeltlager
– Riverrafting auf dem Inn und auf der Reuss (geführt)
– Schlauchbootfahrten auf der Aare (geführt)
– Bodyflying in Zürich
– Durch mich durchgeführte (pilotierte) Passagierflüge im Segelflugdoppelsitzer im Rahmen des von mir angebotenen Freifachkurses “Faszination Fliegen”
U. v. A. m.
Doch nun wende ich mich ab von dem, was nur noch ein Schatten lebendiger Schule ist.
Als ehemaliger Sekundarlehrer
Kaum kann man sich heute noch vorstellen, dass in den Jahren zwischen 1950 und 1990 im Sommer meist mehrwöchige Schulkolonien durchgeführt wurden, was sich unter heutigen Bedingungen niemand mehr zumuten möchte. Heute starten die Lager mit der Abreise am Montag Morgen und enden mit der Heimreise am Freitag Abend, die Lehrkräfte ausgelaugt und ferienreif. Allerdings waren es zu früheren Zeiten die Lehrpersonen, welche die Regeln vorgaben, und nicht die Nomenklatura des ED, die Schüler(innen) oder deren Eltern.
Ich teile die Meinung von Alain. Die Regulierungswut der Behörden, die
Angst vor möglichen Rechtsfällen, die bestehenden Regelungen der
Schulen, das Einfordern von speziellen Rücksichtnahmen durch Eltern,
aber auch die teilweise (und oft aus verständlichen Gründen) erloschene
Leidenschaft und Begeisterung von Lehpersonen für spezielle Events wie
Landschulwochen, Skilager usw. sind ein um sich greifendes Übel.
Die Verödung der erlebnisorientierten Pädagogik hin zu einer
„Alles-unter-Kontrolle-Pädagogik“ macht Schule mehr und mehr wieder zu
einer Institution hinter Mauern, fern vom Leben „draussen“.