20. April 2024

An die Condorcet-Betreiber: Mehr konkrete Opposition, bitte!

Hans-Peter Köhli ist unzufrieden mit unserem Blog. Viele Artikel hält er für belangloses Geplauder. Er wünscht sich von den Condorcet-Autorinnen und -Autoren mehr konkrete Opposition und klare Stellungnahmen. Sein Vorbild ist dabei das bildungskritische Magazin “Einspruch”.

Gründungsversammlung am 19. Mai 2019. Wir betrachten unsere Heteregonität als Markenzeichen.

Was hier folgt, ist eine Wiederholung. Ich weiss, Wiederholungen sind langweilig. Aber sie kommen beim Condorcet-Blog ohnehin vor. Deshalb bleiben meine Gewissensbisse im Rahmen, wenn ich etwas aufgreife, was schon einmal in ähnlicher Art aus meinem Compi hier zu lesen war. Anstoss dazu bildete die erfreuliche Meldung, dass im Kt. Basel-Stadt eine Initiative lanciert wurde, welche die erweiterte Wiedereinführung der Kleinklassen verlangt.

Begeistert machten viele mit und erhofften sich, die als “Einspruch” bezeichnete Opposition gegenüber der Obrigkeit und einer bestimmten Kaste progressiver, aber weltfremder Schulreformer bringe konkrete Resultate.

Der Condorcet-Blog wurde primär zum Zwecke geschaffen, den Lehrplan 21 zurückzuweisen. Jenen Lehrplan also, welcher von vielen Seiten angefeindet und als in der Praxis unzweckmässig und unbrauchbar bezeichnet wird. Begeistert machten viele mit und erhofften sich, die als “Einspruch” bezeichnete Opposition gegenüber der Obrigkeit und einer bestimmten Kaste progressiver, aber weltfremder Schulreformer bringe konkrete Resultate. Auf die Gefahr hin, als Brunnenvergifter und frecher Kerl bezeichnet zu werden, behaupte ich nach wie vor, der Blog werde seinem ursprünglich gesteckten Ziel nicht gerecht. Die veröffentlichten Beiträge erscheinen zwar in relativ rascher Folge, die meisten sind von hoher Qualität, Autorinnen und Autoren verfügen über Erfahrung und Wissen, und es beeindruckt, dass hier ehrenamtlich und selbstlos gearbeitet wird. Nur eben: die wenigsten Texte haben einen direkten Bezug zum Lehrplan 21 oder dann höchstens in sehr erweitertem Sinne. Das Schulsystem von San Salvador, der Lebenslauf des Reformpädagogen Hanno Forber und die Krise an den Landschulen von 1890 gehören jedenfalls kaum dazu.

Wir lassen auch den Widerspruch zu!

Manchmal muss ich schmunzeln: hier sind doch zahlreiche Profis am Werk, und auch die meisten Leserinnen und Leser kann man im pädagogischen Umfeld wohl auch nicht als unbedarft bezeichnen, weshalb vieles, was man liest, bereits bekannt sein dürfte. Das gleiche banale Thema taucht oft in mehr oder weniger andern Worten später wieder auf oder gehört sowieso zum Grundwissen durchschnittlicher Pädagogen, sodass der Gewinn durch die Lektüre sehr bescheiden bleibt oder ganz fehlt.

Erfreuliche Meldung aus Basel

Deshalb freute mich die Meldung aus Basel ausserordentlich; es war ein richtiges Aufatmen. Dort wird der “Einspruch” von Kollege Pichard endlich konkret. Was Leute an der Basis interessiert, sind weniger theoretische Abhandlungen und wissenschaftliche Betrachtungen, sondern praktische Hilfen für den Umgang mit dem LP 21und den damit verbundenen Reformen. Wie soll sich die Lehrerin verhalten, weil ihr vorgeworfen wird, der Frontalunterricht habe immer noch einen zu grossen Stellenwert? Wie könnte man sich wehren, wenn mit dem LP 21 die Zahl der unergiebigen und langatmigen Teamsitzungen in unerträglichem Masse zunimmt? Was tun, wenn zwei integrierte, verhaltensauffällige Kinder den Unterricht jeden Tag derart stören, dass sich die Lehrperson nur noch mit einer Krankmeldung via Psychiater etwas Luft verschaffen kann? Soll man einfach zusehen, wie an vielen Orten die Schulen mit unqualifizierten Schulassistentinnen regelrecht geflutet werden, weil sich  Bildungsdirektionen im Kleinklassenfiasko nicht mehr anders als mit dieser faulen Notlösung retten können? Sind die Fachstellen für Schulbeurteilung Fluch oder Segen, dringen sie auf strikte Befolgung aller Neuerungen oder lassen sie im pragmatischen Sinne Fünfe gerade sein? Und so weiter.

Schliesslich muss die Sprache kommen, die alle Politiker verstehen. Wenn jegliche Einwände aus der Basis überhört werden, wenn sämtliche Anregungen in obigen Punkten zurückgewiesen werden und nur noch die Sackgasse droht, dann führt der Weg zum Ziel über die Volksinitiative. Den Baslern ist zu gratulieren; sie hatten offensichtlich genug vom endlosen “man müsste”. Sie gingen ans Werk. Wer von der Blog-Leserschaft im Stadtkanton wohnt oder dort Leute kennt, hilft deshalb selbstverständlich tatkräftig mit bei der Unterschriftensammlung und nachher vor der Abstimmung. Es wäre sehr zu begrüssen, wenn die bisherigen Autorinnen und Autoren von Blog-Beiträgen das Ihre dazu beitragen würden, damit analog dem Geschehen in Basel jetzt auch andernorts der konkrete Bereich in Angriff genommen wird. Manchmal habe ich leider sogar den Eindruck, mit Rücksicht auf ihr Beziehungsnetz scheuen sich gewisse hochkarätige Autoren fast ein wenig, klipp und klar Fehlentscheide der Behörden anzuprangern. Man will nicht entschiedenen Lehrplangegnern “heisse” Zitate liefern.

“Einspruch” verpflichtet und müsste Texte umfassen, welche uns weiterbringen und nicht nur belangloses Geplauder offerieren.

Einspruch: Das war noch eine klare Ansage!

Gefragt sind somit Blog-Beiträge, welche die Lage mit Missständen an der Front zeigen, welche rapportieren, wo und wie andernorts Pläne in Richtung “Einspruch” geschmiedet werden, welche Aufrufe zu entsprechenden Aktionen beinhalten, welche Ratschläge an Initianten erteilen oder welche sonst in irgendeiner Art darauf hinwirken, möglichst in allen Kantonen Initiativen einreichen zu können. Am dringendsten, das sieht man am Rheinknie richtig, ist die Wiedereinführung von Kleinklassen. Die Redaktion des Blogs dürfte meines Erachtens vielleicht mit einer Art Filter auch etwas mithelfen, diese konkret-kämpferische Stossrichtung zu erreichen. Beiträge mit an den Haaren herbeigezogenen Themen oder offensichtlichen Gemeinplätzen sollten freundlich zurückgewiesen werden mit  Hinweis auf den Zweck des Blogs. “Einspruch” verpflichtet und müsste Texte umfassen, welche uns weiterbringen und nicht nur belangloses Geplauder offerieren. Nochmals: ich habe im Blog schon zahlreiche interessante Dinge gelesen, danke! Aber wenn es so theoretisch weiter gehen sollte wie bisher, dann habe ich etwas falsch verstanden.

Hans-Peter Köhli

 

 

Verwandte Artikel

Das befreite Klassenzimmer: Was es braucht, damit der Lehrerberuf wieder attraktiver wird

Die Debatte um den Lehrermangel hat einige Schwachstellen im heutigen Bildungswesen offengelegt. Nun gilt es, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Dafür muss ein Tabu fallen, findet der NZZ-Journalist Daniel Fritzsche. Das ist bemerkenswert, hat doch diese Zeitung in der Vergangenheit viele Reformen, welche die Lehrkräfte heute belasten, unterstützt.

Dieser Beitrag ist zuerst in der NZZ erschienen: https://www.nzz.ch/meinung/lehrer-in-der-schweiz-wie-der-beruf-wieder-attraktiver-wird-ld.1700669

Drama Mathematik in Deutschland

Unser nördliches Nachbarland verfährt im Mathematikunterricht nach dem System Jekyll and Hyde. Immer bessere Abiturnoten stehen immer desaströseren Durchfallquoten an den Unis gegenüber. Unsere Freunde der GBW, Lemmermeyer, Kraus, Baumann oder Klein schickten uns ein Potpourri des Grauens. Darunter einen Artikel von Jürgen Stockhardt, Mitglied der GEW, den wir hier leicht gekürzt wiedergeben.

2 Kommentare

  1. Der Hinweis auf die Not im Schulalltag, verursacht durch unausgegorene Reformen wie der LP 21, die Integration, die neue Fremdsprachendidaktik, etc. ist berechtigt. Die Auswirkungen schulreformerischer Projekte im Alltag sollten immer wieder benannt werden. Allerdings stehen die Reformideen in einem kausalen Zusammenhang mit pädagogischen Theorien und politischen Absichten: Verbesserung der Schulqualität durch Kompetenzorientierung, Vermeidung von Diskriminierung durch Integration, erhöhte Sprachkompetenz durch Mehrsprachigkeit . Die Autoren des Condorcet-Blogs versuchen, die Hintergründe und Argumentationslinien der Reformen offen zu legen und nicht nur auf die praktischen Auswirkungen, sondern auch auf die theoretischen Schwachstellen hinzuweisen, im Sinne von: Warum funktioniert es nicht? Condorcet möchte mehr bieten als Polemik und Fundamentalopposition.

  2. Ich lese:”Allerdings stehen die Reformideen in einem kausalen Zusammenhang mit pädagogischen Theorien und politischen Absichten: Verbesserung der Schulqualität durch Kompetenzorientierung, Vermeidung von Diskriminierung durch Integration, erhöhte Sprachkompetenz durch Mehrsprachigkeit”. Was haben diese hochtrabenden Zielsetzungen mit Unterrichten gemein? Einen Pfifferling. Auch hier wäre es wichtig, sich als erstes damit zu befassen, was es mit dem Alphabet auf sich hat.

Schreibe einen Kommentar zu Barbara Müller Gächter Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert