7. November 2024

Fernunterricht bleibt für mich eine Option

Annemarie Aeschbacher, Lehrerin für textiles und bildnerisches Gestalten, ist eine Kollegin von Condorcet-Autor Alain Pichard am OSZ-Orpund und fleissige Leserin des Condorcet-Blogs. Die beiden schätzen sich, sind aber nicht immer einer Meinung. Das zeigt sich unter anderem auch beim Thema “Fernunterricht”. Mit den Schlussfolgerungen der niederländischen Studie zeigte sich Annemarie Aeschbacher nicht einverstanden und erhebt Einspruch.

Der Artikel über die niederländische Studie “Kinder haben wenig oder nichts gelernt” (25.1.21) motiviert mich hier eine Gegenposition einzunehmen. Gerne mag ich deutlich machen, dass ein Vergleich 1:1 von Präsenz- zu Fernunterricht hinkt und aus meiner Sicht einer weiterreichenden Betrachtung bedarf.

Das Thema ist ermüdend

Zu vieles kann nicht mehr stattfinden.

Aussagen, dass die SuS während des Fernunterrichts bei uns (6 Wochen) oder in den Niederlanden (8 Wochen) so wenig gelernt haben, ermüden mich zunehmend. Der Umgang in den Medien mit diesem Thema ermüden mich grösstenteils ebenfalls sehr.  Und ich stimme dem nicht zu.
Gerne will ich das begründen:
Zum einen gibt es die SuS, die in den Präsenzlektionen wenig bis keine Aktivität zeigen und immer wieder angeregt werden müssen, um sich auf den Unterricht zu fokussieren. Im Fernunterricht einer engagierten Lehrperson haben die SuS das mindestens auch geschafft. In der Regel fand aber auch eine viel individuellere Aktivierung statt, weil wir SuS besucht haben, sie mit Materialien versorgt haben, bei Bedarf mit ihnen telefoniert, gechattet oder auf anderen Wegen in Kommunikation gegangen sind. Also deutlich aktiver als zuvor überhaupt möglich. Das bedarf natürlich eines anderen Engagements und auch eines höheren Zeitaufwandes.

Politisiert
Ich werde den Eindruck nicht los, dass mit dem Thema “Fernunterricht Ja oder Nein” Politik gemacht wird. Und wenn man ins Nachbarland Deutschland schaut, wird z.B. in Baden-Württemberg auch der Wahlkampf damit angereichert. Und wenn der politische Nutzen verpufft ist, ist das Thema auch wieder vergessen.

So viele SuS haben ganz andere Dinge erfahren und erlebt, die mit Sicherheit eine positive Wirkung auf ihre Entwicklung haben.

Es gibt den anderen Punkt, den ich auch kaum noch hören mag. Lehrplankritiker, die Kompetenzorientierung in Frage stellen, unterstützen ja geradezu unser Bildungssystem, indem sie den Fernunterricht als “bildungsschwächend” degradieren.
Diese Betrachtung ist mir zu eng. So viele SuS haben ganz andere Dinge erfahren und erlebt, die mit Sicherheit eine positive Wirkung auf ihre Entwicklung haben. Gehen wir mal davon aus, dass die Betriebe aus der Pandemie auch Handlungen umstellen, digitaler werden, mobiles Arbeiten aktivieren, höhere Flexibilität fordern etc., dann kommt das jetzt auch gerade den SuS zugute, die in diesem oder nächstem Jahr eine Lehre beginnen.
Ich empfinde “Lernen” durchaus nicht einfach nur als etwas, was in der Schule stattfindet.

Wenn ich den Ansatz von Montessori nehme: “Hilf mir, damit ich es selbst tun kann”, ist das für mich auch dann möglich, wenn der Präsenzunterricht für eine Weile zum Fernunterricht wird.

Und ich bleibe Befürworterin für Fernunterricht, wenn die Situation es wieder erfordert und halte nichts von einem zwanghaftem Offenalten der Schule.

Die niederländische Studie, übrigens nur Grundschulen betreffend, bezieht sich auf die “messbaren” Lernerfolge (Und könnte in einer anderen Studie eventuell genau gegenteilig aussehen).  Was wirklich fehlt im Fernunterricht ist das Gemeinschaftliche. Aber auch da agierten Kinder durchaus solidarischer als man allgemein annimmt. Sie haben Solidarität erfahren und auch in dieser Hinsicht etwas gelernt.

Und zu guter Letzt: Ich selber finde den Präsenzunterricht nicht mehr so toll wie vor den Lockdown-Zeiten, weil zu vieles nicht mehr stattfinden kann. Eine Pademie ist eine Pademie ist und kein “Sonntagsspaziergang”, da lässt sich wenig ändern.

Und ich bleibe Befürworterin für Fernunterricht, wenn die Situation es wieder erfordert und halte nichts von einem zwanghaftem Offenhalten der Schule. Lieber ein paar Wochen Schule schliessen, damit wir dann endlich mal wieder mehr “Normalität” erlangen können, als ewiges Dahinziehen der Massnahmen und das grosszügige Übersehen, dass Kinder eben auch Überträger des Virus sind.

Annemarie Aeschbacher

 

 

 

 

 

 

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Zur 76sten Ausgabe von WIDERSPRUCH: Jugendliche stellen Ordnung in Frage

Julia Klebs ist Lehrerin in Basel und Redakteurin der Zeitschrift Widerspruch. Der Widerspruch sieht sich seinerseits als ein wichtiger Ort kritischer Reflexion und gesellschaftlicher Analyse. Er bezeichnet sich als eine konstante Stimme in der Diskussion für eine soziale und gerechte Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Julia Klebs, im Condorcet-Blog keine Unbekannte, stellt in diesem Beitrag die neuste Ausgabe, das Heft 76 vor. Es geht um die Jugend, um ihre Perspektiven, ihre Herausforderungen und um Bildungspolitik. Dabei sind auch kritische linke Töne zu den aktuellen Schulreformen rund um PISA zu vernehmen.

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