Deutungsmonopolisten und Entscheidungsträger im Bildungswesen, namentlich Kaderleute Pädagogischer Hochschulen sowie einflussreiche Beamte kantonaler Bildungsverwaltungen, übten und üben teilweise massiven Druck auf Lehrmittelverlage aus. Diese wiederum müssen sich den rigiden Vorgaben beugen, um Aufträge erhalten und behalten zu können.
So wurde etwa einem namhaften Verlag durch die Projektverantwortlichen der PH explizit verboten, Grammatikübungen in das neu entstehende Sprachlehrmittel einzubauen. Einzelne Verlage wie der «Schulverlag plus» setzten die schulpraxisfremden Vorgaben gar derart überbordend um, dass ihre Französischlehrmittel «Mille feuilles» und «Clin d’oeil» in der Zwischenzeit zum Inbegriff untauglicher Lehrwerke geworden sind und von zahlreichen Lehrkräften regelrecht verflucht werden. Unklar bleibt auch, nach welchen Kriterien die einzelnen Verlage ausgewählt wurden, respektive wie das Submissionsverfahren vor sich ging.
Umso wichtiger ist die Rolle der Lehrerverbände. Gerade sie müssten dafür sorgen, dass die Sichtweise der Unterrichtspraktikerinnen und -praktiker permanent eingebracht und mit Nachdruck vertreten wird. Im Baselbiet war der Lehrerinnen- und Lehrerverein Baselland (LVB) damit erfolgreich: Am 24. November 2019 sagten nicht weniger als 85% der Stimmberechtigten Ja zu der vom LVB geforderten Lehrmittelfreiheit, die besagt, dass Lehrpersonen sich in jedem Fach aus einer Liste verschiedener Lehrmittel nach eigenem Gutdünken für eines entscheiden können. Die Monopolstellung einzelner Lehrmittel respektive Lehrmittelverlage ist damit gebrochen worden. Und das Abstimmungsresultat zeigt überdeutlich, dass auch die Bevölkerung keineswegs an starren und einschränkenden Vorgaben festhalten will.
Doch leider scheinen sich nicht wenige Lehrerverbände für Fragen der Lehrmittel gar nicht wirklich zuständig zu fühlen. Anders lässt sich das ohrenbetäubende Schweigen der Verbände kaum erklären.
Dominanz der Bildungsfunktionäre brechen
Würden sich grössere Kantone wie Zürich, Bern oder der Aargau ebenfalls zu solchen Modellen einer erweiterten Lehrmittelfreiheit durchringen, könnte damit schrittweise die unheilvolle Dominanz gewisser PH-Akteure und Bildungsfunktionäre beendet werden. Doch leider scheinen sich nicht wenige Lehrerverbände für Fragen der Lehrmittel (und damit einen Kernaspekt des Unterrichts) gar nicht wirklich zuständig zu fühlen. Anders lässt sich das ohrenbetäubende Schweigen der Verbände in anderen Passepartout-Kantonen, wo sehr viele Lehrkräfte genau gleich unzufrieden sind mit den alternativlos vorgeschriebenen Fremdsprachenlehrmitteln, kaum erklären.
In diesem Fall diskutieren dann sogenannte «Lehrpersonenvertretungen» über Programme, an deren finanziellem Tropf sie selber hängen.
Lehrerverbände als Promotoren?
Schlimmer noch: Manche Lehrerverbände mischen als Promotoren umstrittener Konzepte und Lehrmittel selber aktiv mit. Dies etwa, indem sie PH-Dozierende als «Lehrpersonenvertretungen» in die entsprechenden Gremien delegieren – so etwa geschehen anlässlich eines interkantonalen Hearings beim damaligen Berner Bildungsdirektor Bernhard Pulver vor einigen Jahren. In diesem Fall diskutieren dann sogenannte «Lehrpersonenvertretungen» über Programme, an deren finanziellem Tropf sie selber hängen. Ganz generell stünde es den Lehrerverbänden gut an, sich gut zu überlegen, wie sinnvoll es ist, wenn sie – wie vielerorts schon geschehen – auch die Gilde der PH-Dozierenden in ihre Reihen integrieren. Wer nämlich alle und jeden vertreten will, vertritt am Ende niemanden mehr wirklich.
Undenkbar, das eigene Renommee zu demontieren
An Baselbieter Schulen können die Lehrpersonen seit August 2020 nun auch auf Lehrmittel international renommierter Lehrmittelverlage zurückgreifen. Für Letztere ist klar, dass sie sich niemals dem Druck hiesiger «Experten» beugen oder dem Ruf nach exotischen didaktischen Konzepten folgen würden. Warum sollten sie auch? Die Cambridge-Prüfungsreihe (First, Advanced, Proficiency) etwa ist weltweit anerkannt und überaus erfolgreich. Undenkbar wäre es für so einen Verlag, mit der Beteiligung an einem lokal kreierten didaktischen Hirngespinst das über Jahrzehnte erarbeitete eigene Renommee zu demontieren.
Was tun die Medien?
Und die Medien? Ihre Aufgabe wäre es, im Bereich der Bildung genau so kritisch und unbestechlich den Entscheidungsträgern auf die Finger zu schauen wie in anderen Sparten der Politik und Wissenschaft. In den letzten Jahren haben gerade Kritiker der sogenannten Didaktik der Mehrsprachigkeit wiederholt versucht, verschiedene Journalisten für das brisante Thema zu sensibilisieren – leider nur mit mässigem Erfolg. Immerhin haben die Basler Zeitung, die NZZ, die Weltwoche sowie der SRF-Journalist Rafael von Matt gewisse Punkte aufgenommen und zuweilen auch in Kommentaren unterstützt.
An zu vielen Orten aber stossen «kritische Bildungs-Geister» in Medienhäusern auf taube Ohren. Allzu oft geben sich Presseleute mit den verheissungsvollen Versprechungen der Promotoren vorschnell zufrieden – und werden erst dann allenfalls hellhörig, wenn ihre eigenen Kinder direkt von fehlgeleiteten Entwicklungen an den Schulen betroffen sind.
Bildungsseiten werden von PH aufgekauft!
Ein höchst ungutes Gefühl hinterlässt zudem die Tatsache, dass etwa die PH FHNW in den Nordwestschweizer Printmedien regelmässig ganze «Bildungsseiten» einkauft, um darauf in Eigenregie und ohne jede externe Kommentierung durch Medienschaffende ihre eigenen Sichtweisen und Ziele auszubreiten. Kann man den Medienhäusern, die aus bekannten strukturellen Zwängen heraus im 21. Jahrhundert nicht mehr auf Rosen gebettet sind, diese Einnahmequellen verübeln? Wohl kaum. Lässt einen diese Form von Verbandelung zwischen Bildungsinstitution und Presse an der journalistischen Unvoreingenommenheit zweifeln? Leider ja.
Die Fremdsprachenlehrmittel müssen den Vorgaben des Sprachenlernens entsprechen
Schon die Masterarbeit, welche die erfahrene Sekundarlehrerin S. Zbinden unter dem bekannten Sprachenforscher Prof. Berthele zum Thema «Französischlehrmittel» gemacht hat, zeigte deutlich, dass die sprachlichen Leistungen der Kinder mit den neuen Lehrmitteln «Mille Feuilles» und «Clin d`Oeil» signifikant schlechter waren, als diejenigen mit dem Lehrmittel «Bonne Chance». Die neusten Resultate dieser Lernmethode sind ebenfalls ernüchternd. Eine Evaluation durch das Institut für Mehrsprachigkeit der Universität Freiburg kommt zum Schluss, dass das anvisierte Leistungsniveau nach knapp vier Jahren Französischunterricht nicht annähernd erreicht wird. Die sechs «Passepartout»-Kantone haben die Untersuchung vor drei Jahren in Auftrag gegeben. Jetzt zeigt sich, dass die Schülerinnen und Schüler selbst im 6. Primarschuljahr kaum in der Lage sind, einen korrekten Satz zu sprechen, geschweige denn, sich an einem einfachen Dialog zu beteiligen. Nur gerade 42,5 Prozent der Schüler/-innen verfügen im Bereich Sprechen über die von der Erziehungsdirektorenkonferenz verlangten Grundkompetenzen. Gemessen an den ambitiöseren Vorgaben der «Passepartout»-Kantone (FR, SO, BL, BS, VS, BE) erreichen sogar nur knapp 11 Prozent die Ziele. Leider wurde eine Motion von mir, die vor der flächendeckenden Einführung der Lehrmittel die Erprobung mit Testklassen verlangte, vom Regierungsrat abgelehnt und alle Argumente ignoriert. Denn es war absehbar, dass die Didaktik des sogenannten «Sprachbades» mit 2-3 Lektionen pro Woche nicht funktionieren würde, sondern die Kinder werden als Nichtschwimmer/-innen im Bad so gross wie ein See und ohne Schwimmhilfen (Rechtschreibung, Grammatik oder Wörtlilernen) verloren sein. Auch ist erwiesen, dass die Methode, welche eine Nachahmung des Sprachenlernens in einem fremdsprachigen Gebiet oder in einer fremdsprachigen Familie ist, nur erfolgreich sein kann, wenn ein Kind mindestens 40 Prozent seiner Wachzeit mit dieser Fremdsprache konfrontiert ist. Deshalb stand von Anfang an fest, dass diese Lehrmittel für das Sprachenlernen nicht taugen würden. Auch die Ergänzungen zu den Lehrmitteln mit Vokabeln mit Alltagswörtern und Verben zum Konjugieren machen keinen Sinn, da sie keinen Bezug zu den Texten im «Mille Feuilles» und «Clin d`Oeil» haben.
Die Kinder haben ein Recht, sich nach der obligatorischen Schulzeit in der Französische Sprache ausdrücken zu können. Das Ziel des Sprachenlernens wäre primär die mündliche Verständigung, wie beim Bäcker ein Brot einkaufen, sowie die Freude und das Interesse an der Sprache. Deshalb müssen die Lehrmittel den Vorgaben, die ans Sprachenlernen gestellt werden, entsprechen. Es muss sofort nach einer Alternative, z.Bsp. vom Klett-Verlag «Ca bouge»/ «Ca roule» oder vom Lehrmittelverlag Zürich «Dis donc», gesucht werden. Sinnvoller Weise müssen auch Absprachen mit den anderen fünf Kantonen stattfinden, denn auch dort gibt es Widerstand.
Diese Forderung wurde im Grossen Rat des Kantons Bern angenommen. Bereits wurden Testklassen bestimmt, welche die beiden von mir vorgeschlagenen Lehrmittel erproben.
Leider haben wir fast zehn Jahre «verloren», denn im 2011 hatte ich als Grossrätin eindringlich von einer flächendeckenden Einführung von «Mille Feuilles» und «Clin d`Oeil» gewarnt.
Sabina Geissbühler-Strupler, Lehrerin, Grossrätin des Kantons Bern, Mitglied der Bildungskommission, Herrenschwanden.
In ” Die Allianz von Verwaltung, Politik und Wissenschaft diktiert den Lehrmittelverlagen die gewünschte Didaktik” haben Sie aus Versehen “Wissenschaft” statt “Erziehungswissenschaften” geschrieben. Der Begriff Wissenschaft wird in der Regel nur verwendet, wenn die gemachten Behauptungen falsifizierbar sind. Davon kann in den Erziehungswissenschaften keine Rede sein. Und es ist ja nun beileibe nicht so, dass die Wissenschaft Mathematik bei der Beurteilung von Schulbüchern in Mathematik heutzutage noch irgendeine Rolle spielen würde.