19. März 2024

Schluß mit LuL & SuS

Prof. Dr. H.-J. Bandelt, Mathematiker aus Hamburg, gehört zu den streitbaren Autoren unseres Blogs. Unvergesslich seine Gegenrede zu Georg Geiger in Sachen Klima. Diesmal nimmt er die Gendersprache aufs Korn. Und die Redaktion rüstet sich in Erwartung deftiger Reaktionen.

Wer heute wie weiland 1959 im Stile Willy Brandts von „Berliner und Berlinerinnen“ und „Berlinerinnen und Berlinern“ (https://www.willy-brandt-biografie.de/quellen/audios/appell-1559/) spricht, und das nicht etwa nur in einer Rede, sondern es so zu Papier bringt, ist im Bildungsbereich dazu verdammt, stets „Lehrerinnen und Lehrer“ und „Schülerinnen und Schüler“ zu schreiben. Weil das erneute Doppeln alle paar Zeilen beim Schreiben wie beim Lesen nervt, wird manchmal die Dopplung nur ein- oder zweimal wirklich ausgeschrieben und ansonsten zum altbewährten „Lehrer“ und „Schüler“ gegriffen – so kein Sex im Spiel ist. Das wird oft als ausreichend hinsichtlich der Setzung der Gendermarke angesehen, denn auch ein Hund spart mit seinem Urin und muß und kann nicht jeden Baum markieren: Hauptsache das Revier ist gekennzeichnet.

“Lul” bedeutet auf Niederländisch Trottel

Das Abkürzen zum Akronym LuL und SuS als ikonische Form der Herabsetzung, das manch Eilige tun, ist auch keine Lösung. Überdies bedeutet lul auf Niederländisch Trottel oder Pimmel. Und bei Sus denkt der Lateiner oder Biologe sofort an die Gattung Schwein. Am IPN zu Kiel wußte man wohl um solche Bezüge nicht und formulierte zur „10. SH-Sommeruniversität, 24.08.2017“ für die thematische Einordnung stramm: „Beurteilung von SuS als Teil des Kerngeschäfts von LuL“ .

„Beurteilung von SuS als Teil des Kerngeschäfts von LuL“ .

Die Brandtsche Doppelung hat inzwischen in Reden längst verpflichtenden Kultstatus, der auch vor der CSU in Deutschland und vor Zusammensetzungen nicht haltmacht. Zum Beispiel wird der grammatische Unterschied von Stamm (in Komposita) und Wort verwischt, so daß ein Ungetüm wie „Lehrerinnen- und Lehrerzimmer“ erscheint bei der Uni Hildesheim auf ihrem „Fachworkshop für Mentorinnen und Mentoren am 21.02.2019“. Wenn man das konsequent weiterdenkt, dann müßte man „genderkorrekt“ statt von einstigen Arzthelfern eigentlich gedoppelmoppelt im Plural sprechen und schreiben: Ärztinhelferinnen, Arzthelferinnen, Ärztinhelfer und Arzthelfer. 2 mal 2 ist gleich 4-fache Pein. Einfache und dafür heftige Pein tun dann die Substitute „Lehrendenzimmer“ (gefunden auf Seite 144 in dem Buche mit Titel „Genderkompetenz und Schulwelten“ aus dem Jahre 2010) und „Arzthelfende“. Und schlimmer geht immer: Vor einem Jahr suchte die Diakoniegesellschaft Waldeck-Frankenberg auf Facebook für ihr „sympathisches Team“ u.a. „Arzthelfende/in “ – in einer Art Gedankenlosigkeit und Genderhyperkorrektur.

Von einer Lehrkraft Müller weiß man ohne Kontext rein grammatisch nicht, ob es sich da um eine Frau oder einen Mann handeln soll.

Wie wäre es stattdessen, gebildet zu sein und um den Gebrauch und die Herkunft der deutschen Sprache zu wissen? Dann würde klar sein, daß die drei Genera im Indogermanischen, also die grammatischen Geschlechter, mit den natürlichen Geschlechtern wenig gemein haben. Von einer Lehrkraft Müller weiß man ohne Kontext rein grammatisch nicht, ob es sich da um eine Frau oder einen Mann handeln soll. Es gibt eben für die Lehrkraft keine Movierung durch Kennzeichnung des natürlichen Geschlechts als *Lehrkräftin Müller bzw. *Lehrkräfterich Müller. Das Sternchen ist hier übrigens nicht das agrammatische Gendersternchen an falscher Stelle, sondern die linguistische Kennzeichnung einer inkorrekten hypothetischen Form. Beim Lehrer Müller ist es wiederum anders: Hier ist klar, daß es sich um eine bestimmte Person handelt, die keine Frau ist, weil man sonst durch Movierung das natürliche Geschlecht mit Lehrerin Müller angezeigt hätte. Mitdenken ist also angesagt.

Angenommen, ich würde etwas schreiben wollen unter dem Titel „Lehrer als Opfer der Bildungspolitik“ – was sie ja sind. Jedes Opfer ist grammatisch gesehen ein Neutrum und dennoch mit einem natürlichen Geschlecht versehen, das offenbar in diesem Kontext völlig egal ist. Also ist mit Lehrer hier Männlein wie Weiblein gemeint – und Letzteres nicht etwa nur „mitgemeint“, was manche meinen, denn das System Sprache meint nie, sondern bezeichnet. Und wenn ich nichts Spezifisches äußere, ist das natürliche Geschlecht irrelevant, also nicht gemeint, und an Sex ist sowieso nicht zu denken.

Es gibt also so etwas wie den durchgängigen Normalfall des generischen Gebrauchs eines Begriffs, wie im Falle von Lehrer, Opfer und Geisel. Daß es in der deutschen Sprache nun überbordend viele Berufs- und Personenbeschreibungen im Maskulinum gibt, hat mit der Wortbildung in der Geschichte des Indogermanischen zu tun und nicht etwa mit dem Patriarchat. „Nichts im Urindogermanischen deutet auf eine Unterjochung oder Geringschätzung der Frau hin“ (D. Scholten: Denksport Deutsch, 2016).

Der Mond – la luna

Der Mond – la luna

Wenn Esoterikerinnen darüber philosophierten, warum der Mond im Deutschen männlich sei – er müßte doch (wegen ihrer Periode) weiblich sein (wie la luna), dann haben sie nicht verstanden, daß der Mond nur ein großer Steinklumpen ist ohne natürliches Geschlecht – unbeschadet dessen, daß frühere Kulturen Himmelsgestirne gewissen weiblichen oder männlichen Göttern zugeordnet hatten. Hingegen ist das Mädchen grammatisch Neutrum, aber hat sein natürliches Geschlecht. Mit dem Mädchen haben Mark Twain und gut hundert Jahre später Luise F. Pusch ihre Probleme gehabt, weil sie das grammatische Geschlecht dem natürlichen unterordnen wollten. Geht natürlich nicht im Deutschen.

Achten Sie auf Kongruenz wie zum Beispiel in der Phrase: „die Schule als Arbeitgeberin“

Das natürliche Geschlecht ist übrigens nur für Menschen und Tiere vorgesehen. Daran ändert auch ein Pseudo-Ratgeber in der Schweiz nichts, der in seiner „Checkliste für eine geschlechtssensible Sprache im Unterricht“ sogar noch expressis verbis fordert: Achten Sie auf Kongruenz wie zum Beispiel in der Phrase: „die Schule als Arbeitgeberin“. Nein, Kongruenz ist hier gründlich mißverstanden, denn die Schule ist keine sensible Person, sondern zum einen ein bunt angemalter Haufen Beton, Stahl, Holz und Kunststoff und andererseits eine geschundene Institution ohne natürliches Geschlecht. Die Menschen darinnen haben es, aber die Institution eben nicht – sie ist ein Abstraktum. Beim Gendern wird also mit voller Absicht grammatisches und natürliches Geschlecht vermengt, auf daß man behaupten könne, daß unsere althergebrachte Sprache diskriminierend und geschlechterungerecht sei.

Die drawidische Sprache Kannada aus dem Südwesten Indiens hat ein konsequent natürliches Genussystem: Für männliche Menschen/Götter hat man das Maskulinum, für weibliche Menschen/Götter das Femininum und für Tiere oder Dinge das Neutrum. Das ist eine klare Ansage – und so hätte man es gern in der heutigen „Gender-Linguistik“. In den indogermanischen Sprachen ist historisch jedoch ein anderer Weg beschritten worden, der die Opposition belebt-unbelebt zum Ausgangspunkt hatte.

Wie wäre es, gebildet zu sein?

Das grammatische “Geschlecht” als Substantivklasse ist tatsächlich tief im Indogermanischen verankert, so tief, daß keine Art Kannadisierung als Sprachumbau da etwas ausrichten könnte. Ursprünglich gab es vor sechstausend Jahren nur zwei Nominalklassen: belebt (das spätere „Maskulinum”) und unbelebt (“Neutrum”). Das wird u.a. durch die (ausgestorbenen) anatolischen Sprachen (Hethitisch, Luwisch und anderen) als erstem Abzweiger der indogermanischen Sprachen nahegelegt. Dann kam im späten Indogermanischen eine dritte Nominalklasse für die Abstrakta und Kollektiva (das spätere “Femininum”) hinzu, in die dann der regelhafte Plural einsortiert wurde. Die Eingruppierung des natürlichen Geschlechts in dieses System war dann eine sekundäre Erscheinung. Wenn also heutzutage im Deutschen der Mann seine Haare kämmt, dann kämmen die Männer ihre Haare genauso wie die Frauen ihre Haare kämmen. Mit einem Zwinkern gesprochen, könnte man sagen: Im Singular ist der Mann noch ein Mann, aber im Plural ist er dann – grammatisch gesehen – ganz Frau. Stört doch keinen.

In anderen Sprachfamilien kann es tatsächlich konsequente Markierungen für das jeweilige natürliche Geschlecht (Männlein, Weiblein) geben. So haben z. B. die nachisch-dagestanischen Sprachen (im Ostkaukasus) typischerweise fünf Nominalklassen wie: 1. männliche Personen, 2. weibliche Personen, 3. vorwiegend Tiere, 4. vorwiegend Unbelebtes, 5. Verschiedenes (Tier oder unbelebt). Im Inguschischen jedoch sind ausgerechnet die ersten beiden Nominalklassen zusammengefallen (J. Nichols, in: The Handbook of Historical Linguistics, Hrsg.: Joseph & Janda, 2005).

Die Bantusprachen Afrikas haben hingegen mehr Nominalklassen. Die am weitesten verbreitete Verkehrssprache Ostafrikas, das Swahili (hierzulande besser bekannt als Kisuaheli), hat z.B. 8 Klassen. Für das Protobantu rekonstruiert man heute 20 Klassen (– früher 23), die durch Präfixe gekennzeichnet sind. Darunter sind 6 reine Pluralklassen. Für das natürliche Geschlecht stehen keine Klassen zur Verfügung: „Es gibt keine Korrelation zwischen den grammatischen Genera und dem natürlichen Geschlecht oder mit irgendeiner anderen klar definierten Kategorie“ (W.J.G. Möhlig, in: Die Sprachen Afrikas, Hrsg.: Heinze et al., 1981). Man braucht halt keine Nominalklassen, um ein natürliches Geschlecht anzuzeigen, weil es eben andere, lexikalische Mittel dazu gibt.

Ärztinhelferinnen, Arzthelferinnen, Ärztinhelfer und Arzthelfer

Wo ist das Problem?

Wer hervorheben wollte, daß es nur um Männer oder nur um Frauen oder um beide ginge, kann und konnte das im Deutschen, wie auch in allen anderen Sprachen, immer tun. Bei der Polizei und vor Gericht tut man das routinehalber, um keinerlei Zweifel aufkommenzulassen, ob man über eine Frau oder einen Mann spricht und urteilt. Wo ist da das Problem? Man hat den Frauen jahrelang einreden wollen, daß sie bei nicht movierten Substantiven des Maskulinum im generischen Gebrauch lediglich “mitgemeint” wären.

Ein Problem wurde erschaffen, wo keines ist, um abzulenken von den brennenden ökonomischen Fragen, der doppelten Ausbeutung der Frauen.

Ein Problem wurde erschaffen, wo keines ist, um abzulenken von den brennenden ökonomischen Fragen, der doppelten Ausbeutung der Frauen (https://www.rubikon.news/artikel/die-grosse-ablenkung). Die besteht fast unverändert bis heute weiter. Wie schrieb doch Daniela Dahn treffend: „Wegen ungünstiger Witterung ist die westdeutsche Frauen-Emanzipation in die Grammatik verlegt worden. Der Gleichstellungsgedanke ist in Westdeutschland seit Ende der 70er Jahre zu einer weitgehend linguistischen Angelegenheit geworden. Wer mit der Sprache gendert, hat Problembewusstsein gezeigt und scheint damit der Pflicht enthoben, sich auch noch für praktische Verbesserungen einzusetzen“ (https://www.freidenker.org/?p=5198).

Mögen die Lehrer vorangehen und künftig über Schüler generisch nur von Schülern sprechen, damit die Grammatik des Deutschen wieder zu ihrem Recht kommt. Das setzt natürlich voraus, daß Grammatik wieder systematisch in der Schule unterrichtet wird und auch Sprachentwicklung thematisiert wird. Ungerechtigkeit gibt es in keiner Sprache, sondern nur im Arbeitsleben und in den sozialen Beziehungen, was auch im Unterricht zur Sprache kommen sollte. Respekt vor jeder Sprache und ihrer Komplexität ist geboten. Jede Sprache entwickelt sich ganz natürlich und langsam von Generation zu Generation. Gravierende politische Eingriffe führen stets zu Murks, genau wie seinerzeit die sogenannte Rechtschreibreform. Sprache in ihrer historischen Dimension und kollektiven Qualität ist intelligenter als jeder ihrer Sprecher.

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2 Kommentare

  1. Das ist halt stets so eine Sache mit den Abkürzungen in einer Sprache und ihren Bedeutungen anderswo.
    Kommt mir die Heiterkeit meiner Kinder in den Sinn, als sie im Tessin an der Centovallibahn die grosse Abkürzung FART sahen und der älteste dank Englischunterricht den jüngeren erklärte, was dies ennet dem Kanal bedeutet.
    Die Transportunternehmung heisst:
    Società per le Ferrovie Autolinee Regionali Ticinesi (FART)…

  2. Noch viel ärgerlicher als diese Gender-Abkürzungen, ist die Tatsache, dass immer noch der Begriff “Frontalunterricht” unreflektiert herumgeistert, obwohl er nachgewiesenermassen vom Alt-Nazi Peter Petersen stammt, der den Klassenunterricht zugunsten seiner “offenen” Reformideen abwerten wollte. Es sollte eigentlich jedem Lehrer klar sein, dass es “Frontalunterricht”, wie er von Petersen suggeriert wird, gar nicht gibt und wohl auch nie gegeben hat. Zwischen Schülern und Lehrern findet immer ein Austausch statt. Das war schon bei Heinrich Pestalozzi, dem Vater unserer Volksschule, so.

    Quellen:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Petersen_(P%C3%A4dagoge)
    https://de.wikipedia.org/wiki/Klassenunterricht

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