Nach zweimonatigem Unterbruch beginnt heute landesweit wieder der reguläre Schulunterricht. Von Kanton zu Kanton verschieden. Föderalistisch eben. Aber immerhin. Ein Stück Normalität kehrt zurück. Auch in die Familien.Die Schülerinnen und Schüler und ihre Lehrkräfte werden sich ihrer grossen Verantwortung bewusst sein und die vorgeschriebenen Hygiene- und Abstandsregeln s elbstverständlich akzeptieren. Es ist kaum zu befürchten, dass sich unter den Kindern und Jugendlichen ähnlich viele unsolidarische Vollidioten (w/m/d) befinden wie an der diesjährigen 1. Mai-Demonstration.
Die Schweiz ist mit einer beneidenswerten Anzahl Experten für fast alle Lebensbereiche gesegnet. Sport, Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft. Und, in den vergangenen Wochen besonders auffällig, auch in der Medizin. Selbst Menschen, die Masern nicht von einem Beinbruch unterscheiden können, mutierten in kürzester Zeit zu Virologen und Epidemiologen. Tag für Tag versammeln sich diese Fachleute in zahllosen Talkshows, den Schwatzbuden und Stammtischen der Moderne, und sondern mehr oder weniger qualifizierte Bewertungen und Ratschläge ab.
Selbst Menschen, die bis vor kurzem Masern nicht von einem Beinbruch unterscheiden konnten, mutierten in kürzester Zeit zu Coronavirus-Fachleuten.
Der kakafone Wanderzirkus wechselt mit fast immer gleichem Personal von Markus Lanz über Maybritt Illner, Sandra Maischberger, Frank Plasberg bis zu Anne Will. Die einheimische Expertenschar plustert sich abends auf SRF in der „Arena“ oder im „Club“ auf.
Die grösste Dichte an Wichtigtuern gibt es im Bildungsbereich
Die grösste Dichte an Besserwissern und Wichtigtuern weist aber tradtionellerweise der Bildungsbereich auf. Da praktisch jede Schweizerin und jeder Schweizer im Verlaufe ihres Lebens mal eine Schulstube von innen gesehen hat, können in diesem Bereich alle mitreden. Auch Journalisten.
Bereits einen Tag nach der vom Bundesrat befohlenen Schulschliessung schwadronierte Sportreporter Heiri Plauderi (Name geändert), Schwerpunkt FC Luzern, dass die Carona-Krise „Versäumnisse“ aufdecke und dass nur wenige Schulen zeigten, „wie es richtig geht“. Schon in der Anfangsphase, noch vor dem Anpfiff, diagnostizierte der selbsternannte Bildungsexperte von CH Media „viele andere Mängel“.
Am Freitag, 13. März 2020, um 16 Uhr, verfügte der Bundesrat die landesweite Schliessung der Schulen ab folgendem Montag. Nur wenige Stunden später schrieb der alarmierte Redaktor in der „Luzerner Zeitung“: „Aber wenn wie jetzt die Schulen geschlossen werden, herrscht mancherorts nur noch Ratlosigkeit. Man ist nicht gerüstet, um die Schüler zuhause mit Lernstoff und Aufgaben zu versorgen. Einige wenige Schüler zeigen, dass das im digitalen Zeitalter durchaus geht. Warum nicht überall?“ Es folgte noch eine bahnbrechende Erkenntnis: „Bildungsämter und Schulen sind nun gefordert. Es kann nicht sein, dass Tausende von wissbegierigen Schülern für Wochen, vielleicht für Monate auf dem Trockenen sitzen.“ (16.3.2020)
Auch der „Spiegel“ (18/2020) malte den Teufel an die Wand. Neben eine Zeichnung von Lehrer Lämpel mit Schutzmaske aus Wilhelm Busch’ Max und Moritz setzte er die Diagnose gleich aufs Titelbild: „Schulversagen – Wie das Virus die Schwächen unseres antiquierten Bildungssystems offenlegt.“
Beeindruckendes Krisenmanagement
Keines dieser Schreckensszenarien, das kann ich aus eigener Erfahrung als Vater zweier schulpflichtiger Töchter beurteilen, ist eingetroffen. Vielmehr habe ich festgestellt, dass die Schulen innert kürzester Zeit ein hervorragendes Krisenmanagement auf die Beine gestellt und kompetent und flexibel auf die schwierigen Umstände reagiert haben.
Ab dem ersten Tag erhielten die Schüler Wochenpläne, detaillierte Aufträge mit Abgabemodalitäten und Fristen in praktisch allen Fächern. Über Skype, Zoom, Padlet und regelmässigen Telefonanrufen war der Kontakt zwischen Lehrern und Kindern jederzeit gewährleistet. Selbst der Klarinetten- und Saxophonunterricht an der Musikschule konnte weiter geführt werden.
Die Schulen haben über alle Verantwortungsebenen hinweg eine beeindruckende Leistung erbracht Sie verdienen höchste Anerkennung und Respekt. Auf Lehrerbashing und kleinkarierte Mäkeleien von medialen Hors-sol-Pädagogen können wir auch künftig gut verzichten.
Roland Stark
Dieser Artikel ist am 11. Mai in der BAZ erschienen