Die Pädagogik begibt sich stets in Gefahr, Bodenhaftung zu verlieren, wenn sie sich von der Erfahrung und der Empirie entfernt und schulische Programme postuliert, die von Idealvorstellungen ausgehen. Aus Wissenschaft wird dann leicht Ideologie. So zum Teil auch im Beitrag zum «selbstorganisierten Lernen» (SOL) von Walter Herzog, der dieses Konzept als Lernziel und nicht bloss als Methode verstanden haben will.[1]
Er schliesst sich dem Lehrplan 21 an, der erklärt:
Wer sein Lernen selber regulieren kann, verfügt über eine Reihe von Kenntnissen und Fähigkeiten, die es ihm ermöglichen, die Bedingungen des Lernens zu beeinflussen. Er vermag sich für das Lernen zu motivieren und verfügt über ein Repertoire an Lernstrategien, die sich flexibel einsetzen lassen. etc.
Herzog anerkennt zwar, dass solche Ziele anspruchsvoll sind, geht aber nicht darauf ein, wie dies in Primar- und Sekundarschulen zu erreichen sei und ab welcher Altersstufe solche Fähigkeiten realistischerweise erwartet werden können.
Das Konzept «Selbstregulierung»
Um einen kritischen Blick auf Herzogs Aussagen zu werfen, muss kurz auf den Begriff SOL eingegangen werden. Das Konzept kursiert seit Längerem unter den Namen «selbstgesteuertes» oder «selbstreguliertes» Lernen. Es hat die früheren Begriffe «entdeckendes Lernen», «erweiterte Lernformen», «Planunterricht» etwas verdrängt, die jedoch im Grunde auf dieselben konstruktivistischen Vorstellungen von Unterrichtsreform verweisen, nach denen sich die Lernenden den Schulstoff und die Fertigkeiten individuell in Eigenverantwortung beibringen sollen. Sie sollen gleichzeitig neue Dinge lernen und ganz allgemein die kognitiven, arbeitstechnischen und selbstmotivierenden Fähigkeiten zum Lernen erwerben.
Woher stammt das Konzept “Selbststeuerung”
Woher stammt das Konzept der «Selbststeuerung», der «Selbstregulierung»? Zunächst ist leicht zu sehen, dass es sich um eine Metapher aus dem Gebiet der Technik, genauer: der Kybernetik, handelt. In den Macy-Konferenzen 1946 bis 1953 legte eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe von amerikanischen Forschern den Grundstein für eine Entwicklung, die Geräte zunehmend befähigt, «sich selbst zu regulieren». Apparate messen relevante Grössen, die Resultate werden an den Antrieb der Maschine gesendet und setzen diese, je nach dem gemessenen Wert, in Gang oder stellen sie wieder ab. Dies beschert der Welt alle Errungenschaften vom Heizungsregler bis zum selbst einparkenden Auto.[1]
Die Wirkung von Metaphern
Psychologie und Pädagogik bedienen sich gerne solcher Metaphern aus anderen Wissensgebieten. Da es sich jedoch um Metaphern handelt, bilden sie die Sache, die sie meinen, jeweils nur unvollständig ab. Die Gefahr besteht, dass das gewählte Bild für die gemeinte Sache selbst gehalten wird, in unserem Fall für das «Lernen». Kann aber Lernen mit technischer «Selbstregulation» von Heizungsreglern oder computergesteuerten Autos gleichgesetzt werden?
Die Gefahr besteht, dass das gewählte Bild für die gemeinte Sache selbst gehalten wird, in unserem Fall für das «Lernen».
Nein, denn es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen Selbstregulation und Lernen. Selbstregulatorische Prozesse beruhen auf voreingestellten Sollwerten: «Wenn Punkt A auf der Skala erreicht wird, schaltet X ein. Wenn B erreicht ist, schaltet X aus.» Auch wenn es gelingt, durch raffinierte Algorithmen veränderbare Grössen und alternative Faktoren in die Prozesse einzubeziehen, können Geräte nur leisten, was in den Steuerungsformeln eingeplant ist. Es handelt sich um die Reproduktion des ewig Gleichen. Das ist auch der Sinn der Selbstregulation, sie soll den Menschen von automatisierbaren Abläufen entlasten.[2]
Menschliches Lernen unterscheidet sich grundsätzlich von Selbstregulation.
Menschliches Lernen unterscheidet sich grundsätzlich von Selbstregulation. Es besteht gerade nicht aus reproduktiver Tätigkeit, aus einem mechanischen Abarbeiten von Programmen mit Messwerten als Feedback. Unbekannt Neues erscheint im Blickfeld. Es muss erkannt, verstanden, gespeichert und verarbeitet werden. Neues bedingt Horizonterweiterung, Veränderung, Anpassung, Vertiefung, Wandel. Um eine technische Metapher zu verwenden: Umprogrammierung, Erweiterung des Speichers, neue Funktionen, neue Apps. Regulieren und Steuern reichen nicht aus, ein neues Gerät muss her, das mehr kann als das alte, die Chips müssen ausgewechselt werden.
Besser geeignet wären Metaphern aus dem natürlichen Umfeld: Z. B. Pflanzen, die mit Nährstoffen versorgt, in vielfältiger Weise erblühen und wachsen, wenn die Umweltbedingungen stimmen.
Das menschliche Gehirn lässt sich nicht auswechseln. Das Neue muss mit dem alten Gehirn begriffen, behalten und verarbeitet werden. Das ist ein beträchtlicher Aufwand, harte Arbeit! Die Tatsache, dass ein menschliches Gehirn aber über diese Fähigkeit verfügt, unterscheidet es von «selbstregulierten» Robotern. Deshalb sind Begriffe wie «Selbststeuerung», «Selbstregulation» fehl am Platz. Besser geeignet wären Metaphern aus dem natürlichen Umfeld: Z. B. Pflanzen, die mit Nährstoffen versorgt, in vielfältiger Weise erblühen und wachsen, wenn die Umweltbedingungen stimmen.
Das Lob des selbstorganisierten Lernens missachtet auch, dass die mentalen Prozesse der Kinder und Jugendlichen die beziehungsmässige, affektive Stütze der Lehrperson brauchen. Ohne enge Begleitung mehrheitlich dem Computer oder den Arbeitsblättern überlassen, fühlen sich Kinder schnell verloren.[3] Das geschäftige Treiben im Klassenzimmer täuscht darüber hinweg, dass wenig verstanden und kaum etwas gelernt wird.[4]
Methoden und Einstellungen
Herzog meint mit «Selbstregulation» noch etwas anderes, was im Lehrplan anklingt: die «Selbstdisziplin» und die «Motivation», der reife Umgang mit dem Lernprozess. Selbstdisziplin und Motivation sind jedoch anspruchsvolle alters-, erfahrungs-, interesse- und charakterabhängige Konzepte. Es ist zwar richtig, Selbstdisziplin anzustreben und Motivation zu wecken. Allerdings können sie nicht wie Sachwissen oder Fertigkeiten explizit gelernt werden. Es handelt sich um Einstellungen, Bereitschaften, die mit der Erfahrung des kognitiven und praktischen Lernens implizit erworben werden. Implizite Lernziele können deshalb nicht wie Fachlernziele auf Knopfdruck abgerufen werden.
Grundsätzlich ist die Idee, «Selbstregulation» müsse ein Lernziel sein, unglücklich.
Grundsätzlich ist die Idee, «Selbstregulation» müsse ein Lernziel sein, unglücklich. Wie Konrad Paul Liessmann ausführte, kann man nicht «das Lernen lernen», man kann immer nur «etwas Bestimmtes» lernen.[5] Indem man sich mit vielen Lerngegenständen befasst, kann man Erfahrung gewinnen, die es erlaubt, ähnliche Gegenstände leichter zu lernen. Ebenso die Motivation: Eigenes oder von Lehrpersonen geschickt erzeugtes Interesse sowie Erfolgserlebnisse können der Motivation Flügel verleihen. Das Lernen und die Motivation generell lernen und auf alle beliebigen Stoffe anwenden, ist jedoch nicht möglich. Jeder Wissensbereich, jedes Handwerk stellt eigene Anforderungen ans Lernen und an die Motivation.
Selbstständigkeit und Überforderung
Was SOL-Begeisterte meinen und zu Recht anstreben, ist eigentlich mit den Begriffen «Selbstständigkeit» und «Autonomie» besser zu erfassen. Das Ziel jeder Erziehung und Bildung sollte sein, ein selbstständiges Leben führen und informierte, autonome Entscheidungen treffen zu können. Dies schrittweise zu ermöglichen, ist die Aufgabe und die Kunst derjenigen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Es ist eine Gratwanderung, die Motivierung, Anleitung, Begleitung aus der Distanz und vollständiges Loslassen in der richtigen Dosierung verlangt.
Herzog zitiert eine weitere Passage des Lehrplans 21:
Er ist fähig, nicht nur seinen Lernprozess zu beobachten, zu beurteilen und zu kontrollieren, sondern auch den Lernort festzulegen und die Lernumgebung zu arrangieren.
Der Lehrplan will zu viel
Hier schiesst der Lehrplan über das im Volksschulalter Erreichbare weit hinaus. Einiges davon, zum Beispiel die längerfristige Planung des Lernens kann ohne Hilfe noch gar nicht selbstständig geleistet werden, weil die Ausbildung des präfrontalen Kortex, der diese Tätigkeiten steuert, erst beim jungen Erwachsenen erfolgt.[6]
Selbstreflexion als Überforderung
In der zitierten Passage klingt auch das beliebte Konzept der «Selbstreflexion» an, nach dem Lernende über ihr eigenes Lernen nachdenken und bewusst Strategien einsetzen, also auf der Metaebene ihre eigenen kognitiven und motivationalen Prozesse analysieren. Bei diesem Konzept trifft eine psychologische auf eine spirituell gefärbte Metapher. Psychologisch insofern, als eine Kompetenzstruktur des Gehirns gefunden werden soll, und spirituell-pietistisch, als eigenes Denken und Wollen an einem höheren Ideal gemessen werden soll.
Da diese Selbstreflexion eine Überforderung im Schulalter darstellt, mündet sie in der profanen Praxis des Klassenzimmers in das Abarbeiten von Fragerastern zur Selbstbeurteilung. Die Erfahrung zeigt, dass damit auf Dauer kaum ein erkennbarer Effekt erzielt werden kann. Die Antwortkästchen der Raster werden bald als lästige und langweilige Pflichtübung auf die Schnelle irgendwie angekreuzt: l’art pour l’art.
Wichtig und unerlässlich ist hingegen, wenn mit Reflexion Folgendes gemeint ist: Vor einem Test macht die Lehrperson zum Thema, wie man sich den Stoff einprägen könnte, wie ein Spickzettel aussehen müsste, wie man üben könnte, wie man sich Vokabeln merken könnte, welche Verfahren wann sinnvoll eingesetzt werden könnten, wie man die Zeit einteilen könnte, etc. und zwar im gemeinschaftlichen Unterricht (von Schulkritikern abschätzig Frontalunterricht genannt). Eine solche Erörterung und Sammlung von Ideen ermutigt die Lernenden, neue Methoden auszuprobieren, lässt ihnen aber die nötige Autonomie. Das ist allemal wirkungsvoller als ein vorgefertigtes Kompetenzraster.
Forschung zu SOL
Sind nun diese kritischen Bemerkungen völlig aus der Luft gegriffen? Nein, die engen Grenzen, die dem nicht angeleiteten Lernen gesetzt sind, stellten schon Kirschner, Sweller und Clark in einer internationalen, empirisch abgestützten Studie (2006) fest. Hier das Abstract:
Although unguided or minimally guided instructional approaches are very popular and intuitively appealing, the point is made that these approaches ignore both the structures that constitute human cognitive architecture and evidence from empirical studies over the past half-century that consistently indicate that minimally guided instruction is less effective and less efficient than instructional approaches that place a strong emphasis on guidance of the student learning process. The advantage of guidance begins to recede only when learners have sufficiently high prior knowledge to provide “internal” guidance.[7]
Es ist bedauerlich, dass diese empirischen Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung von Erziehungsfachleuten ignoriert werden, so dass immer wieder Ziele aufgestellt und Methoden propagiert werden, deren Wirkungslosigkeit schon lange nachgewiesen ist.
Prüfungen und Bulimie
Herzog reiht sich zum Schluss noch in die Gruppe jener Schulkritiker ein, die das «Bulimielernen» anprangern. Er sagt:
Da alles auf die Prüfungsleistung anzukommen scheint, wird das Lernen auf die Zeit unmittelbar vor der Prüfung konzentriert. Nach der Prüfung wird dann schnell wieder vergessen, was man sich eingepaukt hat. Gefördert wird ein Bulimie-Lernen, dessen Ineffektivität im Vergleich mit einem zeitlich verteilten Lernen psychologisch längst nachgewiesen ist, von der Schulpraxis aber weiterhin nicht zur Kenntnis genommen wird.
Wiederum bedient sich Herzog einer Metapher, diesmal aus dem Bereich der Medizin. Bulimie ist zwanghafte Essgier, die nachher mit künstlich herbeigeführtem Erbrechen wieder gesühnt wird. Die Metapher ist jedoch denkbar ungeeignet im Zusammenhang mit schulischem Prüfungslernen. Lernende, die sich nach obigem Muster verhalten, verspüren keine «Gier», sich den Stoff anzueignen, im Gegenteil: Sie müssen ihn wegen eines äusseren Zwangs lernen oder sie haben trotz Interesse am Stoff die Zeit nicht richtig eingeteilt. Dass das Gelernte nach dem Test wieder vergessen wird, ist nicht willentlich herbeigeführt, sondern eine Funktion des auf falsche Weise befrachteten Gedächtnisses. Was nicht genug verarbeitet, nicht oft genug wiederholt wird oder erst gar nicht interessiert, landet nicht im Langzeitgedächtnis.
Der Vergleich mit Bulimie ist nicht nur unangemessen, er ist auch ein typischer Versuch, schulische Arbeit als krank machend und nutzlos zu diffamieren. Der Vergleich lässt ausser Acht, dass jeder schulische Test eine Vorgeschichte hat: Oft wochenlanges Behandeln eines Stoffes, portionenweises Lernen und Üben im Klassenverband, in Gruppen- oder Partnerarbeit, in Einzelarbeit und bei Hausaufgaben. Wenn sich Schüler(innen) auf einen Test vorbereiten, beginnen sie nicht bei null. Die Vorbereitung von Tests ist eine sehr wichtige Kompetenz, die beim modisch propagierten «lebenslangen Lernen» immer wieder gebraucht wird. Ein Mediziner, der nicht gelernt hat, sich Berge von Wissen anzueignen, wäre bei der Behandlung von Patienten überfordert.
[1] Mathias Burchardt, Wir machen es alleine, Vortragsskript SWR Aula, 13.03.2016. S.4: Das hier verwendete Vokabular entstammt dem technischen Regelkreis der Kybernetik…. Wie ein kleiner Lernroboter navigiert der selbstgesteuerte Lerner über die Klippen der Lernumgebungen, die ihm durch Lernpakete und Wochenpläne Aufgaben mit auf den Weg geben. Er steuert dabei die Ziele an, die im Raster vorgegeben sind. Er vergleicht Ist- und Soll-Werte seiner Kompetenzen, wählt und reflektiert seine Lernstrategien, bis er die Lernziele erreicht.
[2] Immer und überall gelingt dies noch nicht. Noch müssen Menschen am Laufband des Recyclingbetriebs stehen und gewisse Materialien von Hand aussortieren, welche die Sensoren nicht erfasst haben. Noch kommt es vor, dass ein selbst fahrendes Auto in einen Pfosten kracht, wenn die Kamera das Hindernis nicht erfassen konnte.
[3] Allan Guggenbühl, Schule – die Grenzen des selbsttätigen Unterrichts, nzz 26.04.2019, Link: https://www.nzz.ch/meinung/schule-die-grenzen-des-selbsttaetigen-unterrichts-ld.1471661
[4] Nicole Vidal, Selbstgesteuertes Lernen – Ein fragwürdiges pädagogisches Konzept?, Vortragsmanuskript, SWR Aula, 30.09.2018.
[5] «Ein … verbreiteter Irrtum besteht darin zu glauben, man könne … sich einfach auf das Lernen des Lernens beschränken, um später dann alles Mögliche lernen zu können. Es gibt aber kein Lernen ohne Inhalte. Die Forderung nach dem Lernen des Lernens ähnelt dem Vorschlag, ohne Zutaten zu kochen.» Konrad Paul Liessmann, Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft, Wien 2014, S. 35.
[6] https://www.dasgehirn.info/grundlagen/anatomie/der-frontallappen
[7] Kirschner, Paul A.; Sweller, John; Clark, Richard, E.: Why Minimal Guidance During Instruction Does Not Work: An Analysis of the Failure of Constructivist, Discovery, Problem-Based, Experiential, and Inquiry-Based Teaching, in: EDUCATIONAL PSYCHOLOGIST, 41 (2), 75-86, 2006. Link: https://www.researchgate.net/publication/27699659_Why_Minimal_Guidance_During_Instruction_Does_Not_Work_An_Analysis_of_the_Failure_of_Constructivist_Discovery_Problem-Based_Experiential_and_Inquiry-Based_Teaching
(Obwohl unbegleitete oder minimal angeleitete Lernverfahren sehr populär und aus sich heraus reizvoll erscheinen, stellen die Autoren fest, dass diese Verfahren sowohl die Strukturen, welche die kognitive menschliche Architektur ausmachen, als auch die Belege aus der empirischen Forschung der letzten fünfzig Jahre ignorieren, obwohl diese konsequent darlegen, dass minimal angeleitete Instruktion weniger erfolgreich und weniger wirksam ist als instruktive Verfahren, die den Lernprozess der Lernenden stark steuern. Der Vorteil der Anleitung beginnt erst nachzulassen, wenn Lernende genügend gute Vorkenntnisse haben, um sich innerlich selbst anzuleiten.) Übersetzung F. Schmutz
[1] Walter Herzog, Eine Chance für das selbstorganisierte Lernen, condorcet.ch. Link: https://condorcet.ch/2020/03/eine-chance-fuer-das-selbstorganisierte-lernen/
Die „Selbsttätigkeit“ war schon das Ziel der Wiener Schulreformen in der Zwischenkriegszeit. Schon damals erkannte man jedoch, dass das methodische Arrangement nur innerhalb gewisser Grenzen bestimmendes Moment des Unterrichtserfolges ist. Solange das Kind entmutigt ist und glaubt, dass es das Verlangte nicht bewältigen kann, würden selbst die klügsten Methoden nicht helfen. Die Entmutigung auflösen könne nur der Lehrer, der sich in den unbewussten Lebensstil des Kindes einfühlen könne und die tiefenpsychologische Technik des Umstellens gelernt habe.
In den Wiener Versuchsschulen war man sich bewusst, dass das freie bzw. selbsttätige Erarbeiten lediglich eine Methode ist, die helfen kann, dass der Schüler einen Lerninhalt – und dies kann durchaus auch das Lernen an sich sein – lernt, einen Selbstzweck hat es hingegen nicht. Der reformerische Enthusiasmus zahlreicher Lehrkräfte habe schon damals dazu geführt, dass von den Schülern weniger Stoff erworben werden konnte und dass man es wegen der fehlenden kritischen Distanz gar nicht zu kontrollieren für nötig befand. Da sich die Lernhaltungen der Schüler durch unterrichtsmethodische Arrangements allein nicht verändern, bleibe der Lernerfolg in der Reformpädagogik ebenso dem Zufall überlassen wie in der herkömmlichen Pädagogik.