21. Dezember 2024

Logopädie – erfolgreich integrierende Therapie

Kinder würden “unnötig therapiert” oder “Therapien würden dauernd zunehmen” ist eine – auch durch die Medien – weitverbreitete Meinung. Dabei werden die schulischen Therapien oft mit der Sonderpädagogik verwechselt. Es ist schon vorgekommen, dass Politiker solche Falschmeldungen als Grund für Budgetkürzungen genommen haben. Leidtragende sind dann immer die Kinder, die deswegen keine Therapie erhalten und denen so die Zukunft verbaut wird. Unser Autor Peter Aebersold überrascht unsere Redaktion immer wieder mit seinem Flair für den Sonderunterricht und die Beschreibung grosser Persönlichleiten, welche in diesem Bereich wirkten.

Als Therapien gelten in der Volksschule die Logopädie, die Psychomotorik und Psychotherapie, alle anderen – wie sonderpädagogische Massnahmen – gelten nicht als Therapien. Die Therapien finden in einem Therapieraum mit einer Therapeutin und normalerweise einem Kind statt. Bevor eine Therapie stattfindet, wird – ähnlich wie beim Arzt – eine Diagnose mit Hilfe von geeigneten, meist validierten Diagnosetests erstellt. Rund 5 von 100 Kinder benötigen diese Therapien, davon rund 70% Logopädie. 2008 musste die Volksschule wegen dem Nationalen Finanzausgleich (NFA) alle bisher von der Invalidenversicherung (IV) bezahlten privaten Therapien übernehmen. Seither ist dieses Verhältnis unabhängig vom Anteil fremdsprachiger Schüler stabil geblieben. Die Therapeutinnen haben kein Interesse, unnötig Kinder zu therapieren, da sie oft eine längere Warteliste haben. Im Kanton Zürich zum Beispiel gibt es ein Kostendach – im Gegensatz zur Sonderpädagogik -, dass die Anzahl Therapeuten beschränkt. Es werden normalerweise nur Kinder in die Therapie oder auf die Warteliste aufgenommen, deren Eltern bereit zur Mitarbeit sind, damit auch daheim geübt wird und ein Therapieerfolg so möglich wird.

Die Logopädie als interdisziplinäre wissenschaftliche Disziplin grenzt an Teilgebiete der Medizin, der Linguistik, der Pädagogik sowie der Psychologie und beschäftigt sich dabei mit der Ätiologie, Diagnostik und Intervention hinsichtlich sämtlicher Kommunikations- und Schluckstörungen.

In der Logopädie werden Sprach-, Sprech-, Stimm-, Schluck- oder Hörbeeinträchtigungen behandelt und behoben. Vor dem Beginn einer Logotherapie findet eine Abklärung mit Tests statt. Dabei wird auch genau abgeklärt, ob eine Therapie notwendig ist oder ob ein allfälliger Entwicklungsrückstand auch ohne Therapie aufgeholt werden kann. Voraussetzung jeder Therapie ist der Aufbau einer Vertrauensbeziehung zwischen dem Therapeuten und dem Schüler. Die Störungen im Bereich der Logopädie umfassen eine grosse Bandbreite und reichen von fehlender oder falscher Lautbildung (sch, s, ch und R), falscher Zungenhaltung, mangelndem Wortschatz bis zu Stottern und Mutismus (Stummheit). Deshalb ist die Dauer der Therapie sehr unterschiedlich. Mangelndes Sprachverständnis be- oder verhindert das Lernen in fast allen Schulfächern.

Die Logopädie ist auch ein Kind der Wiener Schulreform und der jungen Tiefenpsychologie. Im Gegensatz zu Letzterer wurde sie jedoch schon früh von der Medizin akzeptiert und fand auch deshalb weltweite Verbreitung.

Emil Fröschels führte 1924 den Begriff Logopädie in den medizinischen Sprachgebrauch ein.

Der Laryngologe Emil Fröschels führte 1924 den Begriff Logopädie in den medizinischen Sprachgebrauch ein. 1913 hatte er sein Lehrbuch der Sprach- und Stimmheilkunde veröffentlicht, das mit den Werken des Begründers der Phoniatrie, Hermann Gutzmann sen., zur Anerkennung der Sprach- und Stimmheilkunde innerhalb der Medizin beitrug. 1920 errichtete er zusammen mit Kollegen und Pädagogen eine Sprachfürsorgestelle für Schulkinder der Stadt Wien. 1921 veranstalteten Emil Fröschels und Karl Cornelius Rothe in Wien erstmals Sonderkurse über Stimm- und Sprachheilkunde für Pädagogen, gründeten die Sprachheilschule zur Ausbildung von Sprachheillehrern in Österreich und gelten deshalb als Gründer der Sprachheilpädagogik. Fröschels gründete 1924 die internationale Gesellschaft für Logopädie und Phoniatrie (International Association for Logopedics and Phoniatrics IALP), deren Vorsitzender er von 1924 bis 1953 war. Er engagierte sich im Rahmen der Wiener Schulreform im Verein für Individualpsychologie bei der Erziehungsberatung und gründete 1926 ein individualpsychologisches Ambulatorium für

Alfred Adler, Mitbegründer der Wiener Schulreform, arbeitete eng mit Fröschels zusammen.

Er führte das Stottern auf psychische und nicht auf angeborene Ursachen zurück.

Sprachstörungen an der Poliklinik, das er in Zusammenarbeit mit Alfred Adler und Leopold Stein leitete. Seine Forschung galt den psychologischen Ursachen der verschiedenen Sprach- und Sprechstörungen. Er führte das Stottern auf psychische und nicht auf angeborene Ursachen zurück. Nach dem Anschluss Österreichs wurde Fröschels wegen seiner jüdischen Herkunft zwangsbeurlaubt, verlor seine venia legendi und emigrierte 1939 in die USA. Dort konnte er seine Tätigkeit fortsetzen und sie fiel auf fruchtbaren Boden.

Amerikanischer Logopädenverband beweist hohe Wirksamkeit der Logopädie

Der amerikanische Logopädenverband (American Speech-Language-Hearing Association, ASHA) dürfte mit seinen 211’000 Mitgliedern der weltweit grösste sein. Wegen den Sparmassnahmen im Gesundheitswesen und den Forderungen von Krankenkassen, Gesetzgebern, Behörden, Politikern und Eltern sah sich der Berufsverband mit der Notwendigkeit konfrontiert, die Wirksamkeit der von den Logopäden erbrachten Dienstleistungen nachzuweisen. Um die kritischen Fragen im Zusammenhang mit den Behandlungsergebnissen beantworten zu können, führte der Verband ein freiwilliges Datenerfassungssystem (National Outcomes Measurement System, NOMS) mit aggregierten lokalen und nationalen Ergebnisdaten ein.

Amerikanische Studie weist hohen Effekt nach

Der Schlüssel zum NOMS ist die Verwendung der funktionalen Kommunikationsmassnahmen (FCM). Diese wurden entwickelt, um die funktionellen Fähigkeiten im Laufe der Zeit von der Aufnahme bis zur Entlassung aus der Logotherapie oder im Laufe eines Schuljahres zu beschreiben. Das System besteht unter anderem aus einer Skala mit sechs Stufen (FCMs) (von nicht vorhandenen bis erheblichen Schwierigkeiten), die für jeden Therapiebereich speziell formuliert wurden. Die Schwierigkeitsstufen sollten je nach Alter der Kinder erreicht werden können.

Eine Studie beweist die hohe Wirksamkeit

Die von der ASHA durchgeführte Wirkungsstudie basierte auf Daten von 4‘444 Vorschulkindern, die von 2006 bis 2010 logopädische Leistungen erhalten hatten. Die Stufen der funktionalen Fähigkeiten (FCMs) der Vorschulkinder wurden für jeden der folgenden Therapiebereiche speziell definiert: Pragmatische Therapie (kontextabhängige Bedeutung), Artikulation/Phonologie und Verständlichkeit, gesprochenes Sprachverständnis, Produktion gesprochener Sprache, Schlucken.

Sehr hohe Therapieerfolge bei der Integration von sprachauffälligen Kindern

Die ausgewerteten Daten zeigten, dass nach 12 bis 20 Therapiesitzungen bei rund 75% der Vorschulkinder Fortschritte in allen Therapiebereichen von mindestens einer Stufe möglich waren. In einzelnen Therapiebereichen konnten sich 20 bis 50% der Kinder um zwei Stufen verbessern. Eine kurzfristige Therapie half nur einer kleinen Gruppe von Kindern. Kinder mit schwereren Kommunikationsstörungen brauchten eine längere Therapie, um das gleiche funktionelle Kommunikationsniveau für ihre Altersgruppe zu erreichen, als Kinder mit weniger schweren Störungen.

Bei rund 70 Prozent der behandelten Kinder konnten die Sprachauffälligkeiten bei allen funktionalen Fähigkeiten zu 100% behoben werden.

Damit konnte nachgewiesen werden, dass bei rund 70 Prozent der behandelten Kinder die Sprachauffälligkeiten bei allen funktionalen Fähigkeiten zu 100% behoben werden konnten, so dass sie mit den Gleichaltrigen mithalten konnten und keine Therapie mehr benötigten. Bei 30 Prozent konnte immerhin eine Verbesserung erzielt werden. Diese Erfolgsquote wurde auch international bestätigt. Die vielfältigen Ursachen für weniger oder keine Fortschritte reichten von zu wenig Therapiestunden über Verweigerung der Kooperation durch Kinder oder Eltern bis zu Krankheiten.

Mit der Therapie, präventiven Massnahmen (unter anderem Reihenuntersuchungen im Kindergarten) sowie fachlichen Stellungnahmen, Empfehlungen und Unterstützung der Lehrpersonen leistet die Logopädie einen wichtigen Beitrag zur schulischen Integration bei Sprachauffälligkeiten. In der Schweiz wären ohne die logopädischen Therapien die 24 Prozent (Pisa 2018) der bei der Lesekompetenz getesteten Schweizer Schulabgänger unterhalb des minimalen Niveaus 2 vermutlich noch höher ausgefallen.

Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Fr%C3%B6schels

https://de.wikipedia.org/wiki/Logop%C3%A4die

https://www.asha.org/  American Speech-Language-Hearing Association (ASHA)

https://ialpasoc.info/  International Association of Logopedics and Phoniatrics (IALP)

 

 

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2 Kommentare

  1. Interessant, dass rund 5 von 100 Kinder diese Therapien benötigen, die davon rund 70 Prozent zur Logopädie gehören. Mein Sohn hat ein Problem mit seiner Zunge, was seine Sprache beeinträchtigt. Hoffentlich finden wir in einer Praxis für Logopädie die ideale Hilfe.

    1. Nur ein kleiner Anteil der Logopädiekinder braucht eine längere Therapie. Die Mehrzahl der Sprachbeeinträchtigungen sind leichtere Fälle, dazu gehört die Bewusstmachung und Einübung der korrekten Zungenruhelage.

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