„Eine kleine Geschichte über die grosse Globalisierung“ wollte vor 14 Jahren der Autor Wolfgang Korn schreiben. Herausgekommen ist wirklich etwas Kleines – eine Sammlung tatsächlicher oder erfundener Beispiele, die jeder Logik spotten.
Denn die unterschwellige Botschaft der Einzelbeispiele heisst: Globalisierung beutet arme Näherinnen aus, fischt die Meere leer, treibt Afrikaner zur Migration und vieles mehr. Doch jede Logik und der gesunde Menschenverstand sagen uns, besonders seit dem Philosophen Karl Popper, dass jedes Beispiel durch ein anderes widerlegt werden kann. Sein Buch sagt daher gar nichts Handfestes über „Globalisierung“ aus.
So nimmt er sich einzelne Fabriken mit ihren einzelnen Näherinnen in Bangladesh vor – ausgebeutet, eingeschlossen, Diktat des Arbeitstakts. Doch eine kurze Sicht ins Internet zeigt zwei Gegenbeispiele – hochmögende Arbeitgeber in Bangladesh, welche Lehrlinge ausbilden. Was stimmt nun? Was ist verallgemeinerungsfähiger Fakt? Die zwei Beispiele wurden vom Internationalen Arbeitsamt Genf vorgestellt (2017).
Oder Container-Transporte. Der Autor Korn scheint was dagegen zu haben. Will er aber schwitzende, rückengeplagte Hafenarbeiter in armen Ländern verewigen? W. Korn bewegt sich jenseits aller grösseren Rahmen der Entwicklung, des internationalen Zusammenspiels. So machen die armen Länder nämlich eine „nachholende Entwicklung“ mit, sie setzen oft bei Arbeitsbedingungen wie bei uns im 19. Jahrhundert an – doch dank der heute verfügbaren Technik und dank dem Export machen sie innert kürzester Zeit Sprünge, von denen unsere Länder damals nur träumen konnten. Korn ereifert sich über den monatlichen Mindestlohn Bangladeshs von 19 Euro für eine Näherin – aber das war nach seinen eigenen Aussagen schon zehn Jahre her (1994). Heute steht der Mindestlohn in Bangladeshs Textilindustrie bei 85 Euro. Das haben sich die Näherinnen (und die Gewinne der Unternehmer, wohlverstanden) innert kurzer Zeit also erarbeitet.
Beim Öl scheint gemäss W. Korn auch vieles im Argen zu liegen, er meint aber nicht das Klima-Problem. Vielmehr wagt er die Prophezeiung „dramatischer Engpässe in 10 Jahren“. Das wäre vor vier Jahren angefallen – doch dank Fracking schwimmen wir in dieser öligen Suppe.
Auch fällt W. Korn in einen Widerspruch, der globalisierungsskeptischen und gleichzeitig migrationsfreundlichen Schreihälsen nie auffällt: Wenn die armen Länder nicht dank offener Märkte, rascher Kommunikation und Transporte ihre Güter weltweit verkaufen könnten, dann würden nicht die Güter reisen, sondern die Menschen auswandern.
Wiederum Karl Popper war es, der für minimale Beweisführung und Logik forderte, dass man verfügbare Fakten bestmöglich zu allgemeinen Aussagen formulieren solle und dass man die Umstände und Regeln solcher Situationen berücksichtigen müsse. Aber das gilt immer nur vorderhand, gegenläufige Beispiele müssen aufgenommen und die Theorie angepasst werden.
- Korn hat diese Umstände vollständig ausgeblendet. Wir nennen nur einige wenige – so zahlreiche, unwidersprochene Darstellungen über die Einkommensentwicklung und Einkommensverteilung der Weltbevölkerung seit 20, 30 Jahren. Sie zeigen die spektakuläre Besserstellung der ärmeren und mittleren Schichten (Branko Milanovic, Steven Pinker u.a.). Die allerärmsten ein, zwei Prozent hingegen kamen nicht mit: Das sind jene, die nicht in industrielle Arbeit und in die Weltwirtschaft einsteigen konnten, und das sind die Menschen in „failed states“ wie Venezuela, Zimbabwe, Cuba, Afghanistan und bald wieder Argentinien.
Oder es sind die Jungen in den 14 westafrikanischen Staaten, welche unerhörterweise in den Euro eingeschlossen sind: überschwemmt von billigen Importen aus Frankreich und viel zu teuer, um selbst ihre Rohstoffe zu verarbeiten und so zu exportieren, mit einer Oberschicht, die ihr Geld zu Höchstkursen in Europa anlegen kann – ein weitgehend unterdrücktes Strukturproblem. Solches aber meinte Karl Popper mit Umständen, Situationen, die zu berücksichtigen seien, wenn man sich generell äussern wolle.
- Korn bietet am Schluss keine wirklichen Rezepte an, nur den fahrigen Rat, die Politiker sollen es besser machen, und man solle selbst auf die Produktherkunft achten. Das ist individuelle deutsche Innerlichkeit, konzeptlos, theorielos, faktenfrei.
Beat Kappeler
(Wolfgang Korn, „Die Weltreise einer Fleece-Weste“, Bloomsbury, Berlin, 2008)