Seit das Programm «No child left behind» die Bildungslandschaft der USA umpflügte, hielten auch die großen standardisierten Tests Einzug. Sie sollten die Rechenschaftspflicht erhöhen und den Erfolg messen und waren damit ein grundlegendes Element der Bildungsreform. Doch in letzter Zeit beginnen sogar einstige Befürworter an dieser Schulreform zu zweifeln.
«Big Standardized Tests» an US-Schülern während zweier Jahrzehnte
Es gibt in der Tat viele Gründe, die Aussagekraft des «Big Standardized Test» in Frage zu stellen, sei es PARCC oder SBA ( Abk. der Namen der Testhersteller) oder was auch immer die Bundesstaaten zurzeit gerade verwenden. Während fast zweier Jahrzehnte wurde eine ganze Generation von Schülern zu dieser Art testbasierter Rechenschaftspflicht aufgeboten, und doch scheinen deren Ergebnisse, nun ja, … eben schwer fassbar. Wo bleiben die Wellen von bestens vorbereiteten Studenten, die jetzt auf dem Campus ankommen? Wo die Verkündung der Unternehmen, dass die heutigen Absolventen die grossartigsten in der Geschichte seien? Wo lässt sich die Zunahme von Amerikanern mit gut bezahlten Arbeitsplätzen feststellen? Wo finden sich sichtbare Anzeichen dafür, dass das testbasierte Verantwortlichkeitssystem wirklich gebracht hat, was man sich von ihm versprach?
Neueste Forschungsergebnisse: Steigerung der Testergebnisse ohne Zusammenhang zu Lebens- und Berufschancen
Vor zwei Jahren schrieb Jay Greene (keine Verwandtschaft mit dem Autor), Leiter des Department of Education Reform an der University of Arkansas: «Wenn die Testergebnisse steigen, sollte das nicht die ‹Lebensergebnisse› verbessern? Sollte nicht gerade das Versprechen die Studenten zu besseren Testergebnissen motivieren, dass sie später bessere Aussichten im Leben erhalten.» Greene sah sich die Forschungsergebnisse an und kam zum Schluss, es gebe keinen Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen einem besseren Testergebnis und einem besseren Leben.
Diese Woche äusserte auch Frederick Hess, Direktor für bildungspolitische Studien am American Enterprise Institute (ein eher rechtsgerichteter Thinktank), seine Zweifel. Die AEI hatte in der Vergangenheit die testbasierten Reformen immer unterstützt, aber Hess zeigt nun die Bereitschaft, die Ergebnisse dieser Reformen genau unter die Lupe zu nehmen, was innerhalb seiner Anhängerschaft grosses Aufsehen erregt. Tatsächlich zeige die Forschung, so Hess, dass es keinen automatischen Zusammenhang zwischen besseren Testergebnissen und verbesserten Lebens- und Berufschancen gebe. Testergebnisse können mit verschiedenen Techniken erhöht werden, und die meisten dieser Techniken haben nichts damit zu tun, den Schülern eine bessere Ausbildung, geschweige denn Bildung zu vermitteln.
Ein teuer bezahlter Irrweg
«Investieren Sie in die Testvorbereitungen! Nehmen Sie gefährdete Schüler aus den Wahlfächern und lassen Sie sie stattdessen prüfungsbezogene Kurse belegen. Und lassen Sie die Lehrer im Laufe der Jahre lernen, wie man direkter auf den Test hin unterrichtet!» So hiess jahrelang die Devise, mit fatalen Konsequenzen. Denn bessere Testergebnisse bedeuten nicht automatisch eine bessere Ausbildung. Diese zwei Dinge haben wenig miteinander zu tun.
Die Tests halten nicht, was sie versprechen. Ihre Daten sind mehr oder weniger irrelevant und das Ganze ein teuer bezahlter Irrweg.
Hess und Greene stellen einen kleinen, aber wachsenden Teil der Reformgegnerschaft dar; für die meisten Bildungsverantwortlichen sind die Big Standardized Test-Daten aber immer noch unantastbar. Und wir dürfen nicht vergessen, dass für viele Mitarbeitende der Testindustrie die Entwicklung der Tests, die Erarbeitung von Vortests und die Interpretation der gelieferten Datenberge eine feste Einnahmequelle darstellen.
Die Lehrkräfte haben von Beginn an darauf hingewiesen, dass Tests nicht messen, was sie zu messen behaupten, und dass der Bildungsprozess in den Schulen verengt und geschwächt werde, sie haben vor den Gefahren des «Teaching to the Test» gewarnt und die Big Standardized Tests als eine gigantische Zeit- und Geldverschwendung bezeichnet. Man hat nicht auf sie gehört und ihre Warnungen als «Angst vor der eigenen Verantwortlichkeit» bezeichnet. Die Tests, so teilte man ihnen mit, würden aufzeigen, wie gut die Lehrer wirklich arbeiteten. Damit brachte man sie zum Schweigen.
Man misst nicht, was man zu messen vorgibt.
Nach 20 Jahren scheinen die Lehrer nun tatsächlich Recht zu bekommen. Der «Große Standardisierte Test» hilft nicht, funktioniert nicht und misst nicht, was er zu messen vorgibt.
Die Lehrkräfte sollten allerdings nicht damit rechnen, dass man sich bei ihnen entschuldigt, wobei man dies eher bei einer ganzen Generation von Schülern tun müsste. Es reicht, wenn man beim nächsten Reformhype, also wenn die Bildungsbürokratie mal wieder mit ihren fantastischen Bildungsreparaturen aufwartet, den Lehrkräften einmal richtig zuhört.
Peter Greene
Ich verbrachte 39 Jahre als Highschool-Englischlehrer u. a. in Lorain, Ohio.
Übersetzung aus dem Englischen: Alain Pichard
Diesen Befund des Peter Green, den Alain Pichard ausgezeichnet übersetzt hat, müsste man Herrn Moser vom Institut für Bildungsevaluation der Universität Zürich anheischig machen. Ihn zu ignorieren, dürfte ihm allerdings nicht schwerfallen, solange ihm die Schweizer Bildungsbürokraten (z.B. die EDK) laufend lukrative Evaluierungsaufträge zuschanzen. Wenn die Kasse klingelt, ist es mit “Wissenschaft” nicht mehr so weit her. Besonders, wenn die originalen Berichte noch in einer Fremdsprache erschienen sind!