16. Oktober 2024

50 Jahre Mondlandung: Warum der Sieg der Amerikaner kein Zufall war

Am 24. Juli 1969 wasserte die Apollo-Landekapsel im Pazifik. Die amerikanischen Astronauten waren sicher zur Erde zurückgekehrt. Drei Tage zuvor hatte Neil Armstrong nach einem waghalsigen Manöver mittels Handsteuerung an das Kontrollzentrum in Houston gemeldet: «Der Adler ist gelandet.» Condorcet-Autor Michael Rüegg findet, dass der amerikanische Triumph kein Zufall war. Es war ein Sieg der Freiheit über den Totalitarismus. Und es ist auch ein Lehrstück für unsere Haltung in Bildung und Forschung.

Im Jahr 1957 gelang der Sowjetunion mitten im Kalten Krieg ein spektakulärer Erfolg, der die westliche Welt in einen Schockzustand versetzte. Vom Weltraumbahnhof Baikonur aus beförderten die Kommunisten den ersten künstlichen Erdsatelliten in die Erdumlaufbahn. Der kugelförmige «Sputnik 1» war nicht nur der Startschuss für den Wettlauf ins All. Auch das atomare Wettrüsten hatte eine neue Stufe erreicht. Denn die gleichnamige Trägerrakete war in der Lage, jeden beliebigen Punkt auf der Erde zu erreichen.

Der Sputnik-Schock war nicht von Dauer. Im 25. Mai 1961, nur wenige Wochen nachdem Juri Gagarin als erster Mensch im All die Erde umrundet und der Sowjetunion einen weiteren Prestigeerfolg beschert hatte, hielt Präsident John F. Kennedy seine berühmte Rede vor dem amerikanischen Kongress. Er kündigte an, innerhalb eines Jahrzehnts einen Menschen auf den Mond und wieder sicher zurück zur Erde bringen zu lassen. Das Apollo-Programm war geboren. Es beschäftigte von 1961 bis 1972 400’000 Menschen und kostete 23 Milliarden Dollar (heute 153 Milliarden Dollar).

Für die Amerikaner war es der zweite technologische Triumph im 20. Jahrhundert über ein totalitäres System. Ein Vierteljahrhundert zurück bauten sie die erste Atombombe. Auch hier war es der Feind, der das amerikanische Grossprojekt auf den Weg brachte. Man wollte den Nazis um jeden Preis zuvorkommen. Im geheimen Manhattan-Projekt arbeiteten von 1942 bis 1946 130’000 Menschen. Kostenpunkt: 2 Milliarden Dollar (heute 23 Milliarden Dollar).

Es war ein Kampf der Systeme

Die beiden amerikanischen Grossprojekte waren nicht zufällig erfolgreich. Auch wenn die Gründe dafür vielschichtig sind, so spielte die Weltanschauung eine entscheidende Rolle. Es war ein Kampf der Systeme: Liberalismus gegen Sozialismus, Demokratie gegen Diktatur, christliches Menschenbild gegen nihilistische Gesellschaftsutopie.

Zur Atombombe sind die Untersuchungen des Kernphysikers Manfred Popp aufschlussreich (Darum hatte Hitler keine Atombombe, 2017). Die Sorge der Amerikaner vor einer Nazi-Atombombe war unbegründet. Heute wissen wir: Es gab keinen Wettlauf. Zwar waren die Deutschen in den 1930er Jahren führend in der Kernphysik. Während der Nazizeit aber fehlte der Wille für ein Grossprojekt, bei dem der Erfolg nicht garantiert war. Ob eine Kernspaltung nämlich technisch überhaupt machbar sein würde, war nicht sicher. Diese Unsicherheit lähmte laut Popp die deutschen Forscher entscheidend: «Viele Wissenschaftler fürchteten, dass sie im Fall der Einstellung ihres Vorhabens nicht zu einem anderen wechseln, sondern an die Front beordert würden.» Sie konzentrierten sich daher auf dezentrale Projekte im Bereich konventioneller Waffensysteme, wo sie Hitlers Wünsche nach einer Wunderwaffe besser befriedigen konnten. Das war ihre Lebensversicherung für sich selbst und ihre Familien. Anders die Amerikaner. Ohne Angst vor einer brutalen Staatsmacht, frei in der Forschung, gelang ihnen der Bau der Bombe innert weniger Jahre.

Angstfreie Forschung und mutige Fehlerkultur haben sich im 20. Jahrhundert als Bedingungen zur Abwehr totalitärer Systeme erwiesen.

Ähnliches gilt für den Wettlauf auf den Mond. Im Spielfilm «Aufbruch zum Mond» (engl. «First Man», 2018), der auf der autorisierten Biografie «First Man: The Life of Neil A. Armstrong» basiert, gibt es eine Schlüsselszene: Armstrong, gespielt von Ryan Gosling, trainiert in Texas mit einem fliegenden Simulator die Landung auf dem Mond. Er stürzt ab und rettet sich in letzter Sekunde mit dem Schleudersitz. Die Reaktion Armstrongs gegenüber seinen Vorgesetzten ist bezeichnend für die Haltung einer ganzen Nation, auch wenn es wegen der hohen Kosten durchaus heftige Kritik am Apollo-Programm in der amerikanischen Öffentlichkeit gab. Seine Worte zum Unfall, der ihm fast das Leben kostete: «Wir müssen die Fehler auf der Erde machen und nicht später da oben.»

Angstfreie Forschung und mutige Fehlerkultur haben sich im 20. Jahrhundert als Bedingungen zur Abwehr totalitärer Systeme erwiesen. Und der nächste Prüfstein wartet bereits auf die westliche Welt. Das autoritäre Regime in Peking träumt von der grossen nationalen Renaissance. Die «Neue Seidenstrasse» («One Belt, One Road»), ein gigantisches Investitionsprogramm (Kosten: über 1 Billion Dollar), soll den Weg dahin ebnen.  Das Ziel: China bis ins Jahr 2049 als führende digitale Industrienation etablieren.

Der Tag der Mondlandung ist so gesehen – wie der Bau der ersten Atombombe – nicht einfach ein erinnerungswürdiges Jahrhundertprojekt. Die amerikanischen Siege über den Totalitarismus beinhalten vielmehr für unsere Generation eine wichtige, ja vielleicht existenzielle Botschaft. Sind wir im Westen auch im dritten Jahrtausend gewillt, auf angstfreie Forschung und Fehlerkultur zu setzen, also auf Freiheit?

 

Eine gekürzte Version dieses Textes erschien im Tagesanzeiger vom 20. Juli 2019.

 

 

 

image_pdfAls PDF herunterladen

Verwandte Artikel

Monumentale Missverständnisse

Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien. Er ist auch Mitglied der GBW und ein prominenter Kritiker der Kompetenzorientierung. In seinem Beitrag macht er sich Gedanken über die Demolierung von Denkmälern und fragt nach dem Geschichtsbild der Akteure. Sein Beitrag erschien zuerst in der NZZ (Dienstag, 16.6.20).

Auch im Klimadiskurs gilt: Zuhören!

Der 23-jährige Student der Elektrowissenschaften am Imperial-College in London, Leon Wiederkehr, schaltet sich in den Klimadiskurs ein. Seine eigene Erfahrung reflektierend, kommt er zum Schluss: Zu viel Penetranz im Unterricht kann das Gegenteil von dem bewirken, was man erreichen will. Und da sind ja auch noch seine asiatischen Kommilitonen, die sich für den Klimawandel überhaupt nicht interessieren.

Ein Kommentar

  1. “Im Westen nichts Neues”: Das ist Historie aus westlicher Sicht, wie wir seit Jahr und Tag kennen, weil sie uns über die westlichen Medien so vermittelt wird. Im Internet-Zeitalter können wir uns aber auch über die östliche Sicht der Geschichte informieren und die sieht interessanterweise etwas anders aus.

    Da tauchen Fragen auf wie: Wie sieht das Bildungswesen im freiheitlichen Amerika aus? Hat der Sputnikschock eine Verbesserung des Bildungswesens in Amerika gebracht? Wie sieht die Weltpolitik heute aus? Wer leistet einen Beitrag für den Weltfrieden? Wie haben sich die jahrzehntelangen Sanktionen im Kalten Krieg auf die damalige Wirtschaft usw. des Ostblocks ausgewirkt? Ein Beispiel (siehe Wikipedia): Die Sanktionen gegen das kommunistische Kuba ist “das am längsten andauernde Handelsembargo in der modernen Geschichte”. “Auch Wissenschaftler außerhalb Kubas kritisierten das Embargo hinsichtlich seiner Auswirkungen auf Lebensmittelbereitstellung, sauberes Wasser, Arzneimittel und weitere Notwendigkeiten für die kubanische Bevölkerung”.

    225 Jahre sind seit dem Tode Condorcets vergangen. Was würde er zur “Aufklärung” von heute sagen?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert