Running Gag
Offenbar bereitet der 1963 produzierte Sketch «Dinner for One» (oder: «Der 90. Geburtstag») vielen Menschen weiterhin Freude; anders ist es kaum zu erklären, dass er Jahr für Jahr an Silvester von diversen Fernsehanstalten ausgestrahlt wird. Das 18-minütige Stück mit Freddie Frinton und May Warden beinhaltet mehrere Running Gags, etwa das Stolpern des Butlers über den Kopf eines ausgelegten Tigerfells, das schmerzhafte Zusammenschlagen der Hacken beim Zuprosten Admiral von Schneiders mit dem Ausruf «Skål!» oder die mit zunehmender Dauer immer lallender artikulierte Phrase «The same procedure as last year, Miss Sophie?», welche fünfmal mit «The same procedure as every year, James!» quittiert wird.
Auch bei den Checks «Schreiben» – erstellt und ausgewertet vom Institut für Bildungsevaluation (IBE) der Universität Zürich –, die vor bald zehn Jahren in den Nordwestschweizer Kantonen Baselland, Basel-Stadt, Solothurn und Aargau eingeführt wurden, wiederholen sich diverse «Running Gags» im Rahmen der alljährlichen Durchführungen. Lustig finden wir dies allerdings nicht, zumal der LVB immer wieder auf die damit gemeinten Mängel und Fragwürdigkeiten hingewiesen hat [1] . Behoben werden selbst die augenfälligsten Fehler trotzdem nicht.


Verschiedene Termine, aber gleiche Aufträge
Wir beschränken uns in diesem Artikel – obwohl diverse andere Kritikpunkte gleichermassen ihrer Abhilfe harren – auf den Aspekt der weiterhin unterschiedlichen Zeitpunkte der Durchführung der Checks «Schreiben» sowie das unveränderte Fehlen alternativer Schreibaufträge für Schülerinnen und Schüler, welche die Checks nachholen müssen. Darüber hinaus zeigen wir exemplarisch auf, inwiefern die mittlerweile verbreitete Nutzung von KI die Problematik noch einmal verschärft hat.
Vor drei Jahren hatten wir festgehalten: «Für den LVB steht ausser Frage, dass in Zukunft für die Durchführung der Checks «Schreiben» für alle teilnehmenden Schulen ein einheitlicher Termin definiert werden muss. Und die Lehrpersonen erhalten die Themen am Morgen ebendieses Termins. […] Darüber hinaus ist zu gewährleisten, dass «Nachhol-Prüflingen» andere Themen vorgelegt werden als in der originalen Version. Was jede Lehrperson, die Wert auf Fairness legt, im Schulalltag beachtet, muss erst recht bei so einer weitreichenden Erhebung gelten.»[2]
Für Schülerinnen und Schüler, die nicht gerade an den frühesten Terminen ihre Checks schreiben müssen, ist es oft ein Leichtes, sich die geforderten Aufträge und die damit verbundenen Vorteile zu verschaffen.
Alles wie gehabt
Wie die Recherchen des LVB zeigen, fanden die Checks S2 «Schreiben Deutsch» an den 17 Baselbieter Sekundarschul-Standorten vom 17. bis am 28. Januar 2025 statt; zwischen dem frühesten und dem spätesten Termin lagen folglich elf Tage. Beim Check S2 «Schreiben Englisch» verteilten sich die Termine auf den einwöchigen Zeitraum zwischen dem 23. und dem 30. Januar 2025.
An welchen Tagen die Checks «Schreiben» an den Schulen der anderen drei beteiligten Kantone durchgeführt wurden, entzieht sich unserer Kenntnis. Doch selbst losgelöst davon, müssen wir an unserer vor drei Jahren geäusserten Kritik festhalten, wonach dieses Setting mit unterschiedlichen Terminen, aber identischen Schreibaufträgen «Schummeleien und Verfälschungen Tür und Tor»[3] öffnet. Für Schülerinnen und Schüler, die nicht gerade an den frühesten Terminen ihre Checks schreiben müssen, ist es oft ein Leichtes, sich die geforderten Aufträge und die damit verbundenen Vorteile zu verschaffen.
Auswirkungen des KI-Zeitalters
Was 2022 noch nicht so stark auf dem Radar war, ist in der Zwischenzeit mit hohem Tempo in die Schulzimmer und die Computer der Schülerinnen und Schüler eingedrungen und vervielfacht das «Schummel-Potenzial» zusätzlich: KI-Tools. Mit den diesjährigen Schreibaufträgen der Checks S2 «Schreiben Deutsch» und «Schreiben Englisch» haben wir die Probe aufs Exempel gemacht und sie durch die Konversations-Suchmaschine Perplexity AI erledigen lassen. Innert Sekundenschnelle lieferte uns die KI die Texte in den farbigen Textfeldern.
Es liegt auf der Hand, dass viele Schülerinnen und Schüler dazu in der Lage sind, Texte dieser Länge innerhalb von sieben bis elf Tagen zu memorisieren und sie anschliessend Wort für Wort oder zumindest auf ähnliche Weise niederzuschreiben. Dergestalt schaffen es Jugendliche, «Leistungsnachweise» zu erlangen, die ihr tatsächliches Können bei weitem übertreffen – und erst noch «wissenschaftlich» beglaubigt werden. Im ungünstigsten Fall geraten Lehrpersonen mit einer realistischen Bewertungspraxis gar ins Schussfeld von Erziehungsberechtigten, die darauf pochen, das IBE weise für ihr Kind eine wesentlich höhere Schreibkompetenz aus als die Lehrperson …
Übrigens: Durch ausgeprägte Grippewellen zu Jahresbeginn verschoben sich die Daten von Nachholprüfungen teilweise bis deutlich in den Februar hinein. Dem LVB sind Klassen bekannt, wo über 40 % der Schülerinnen und Schüler davon betroffen waren. Ergo: Potenziell noch mehr Zeit für noch mehr Lernende, um ein KI-Tool die gewünschten Texte schreiben zu lassen und sich diese danach einzuprägen.
In Baselland, Basel-Stadt, Solothurn und dem Aargau wird der Unterricht am 5. Januar 2026 wieder aufgenommen. Warum also führt man nächstes Jahr die beiden Checks «Schreiben» nicht einfach in dieser ersten Schulwoche des neuen Kalenderjahres durch, und zwar zum gleichen Zeitpunkt an allen Nordwestschweizer Schulen?
Konkreter Vorschlag für 2026
Die unterschiedlichen Termine für die Durchführung der Checks «Schreiben» sind unter anderem durch Wintersportlager bedingt. Unseres Wissens finden jedoch keine Wintersportlager direkt nach den Weihnachtsferien statt.
In Baselland, Basel-Stadt, Solothurn und dem Aargau wird der Unterricht am 5. Januar 2026 wieder aufgenommen. Warum also führt man nächstes Jahr die beiden Checks «Schreiben» nicht einfach in dieser ersten Schulwoche des neuen Kalenderjahres durch, und zwar zum gleichen Zeitpunkt an allen Nordwestschweizer Schulen?
Mit der zusätzlichen Erarbeitung alternativer Schreibaufträge für all jene Schülerinnen und Schüler, welche die Checks aus irgendwelchen Gründen zu einem späteren Zeitpunkt nachholen müssen, könnten immerhin zwei der offensichtlichsten Designfehler der bisherigen Checks «Schreiben» ausgemerzt werden.
Versprechungen, Kosten, Folgen, Qualität
Für ein Projekt, das für die beteiligten Kantone Kosten in Millionenhöhe nach sich zieht und dessen Dokumente unter dem Siegel der Universität Zürich erscheinen, dürfte dies kaum zu viel verlangt sein. Dies umso mehr, wenn man sich noch einmal vor Augen führt, wozu die Checks gemäss offizieller Lesart alles dienen sollen: als Standortbestimmung der Leistungen von Schülerinnen und Schülern, zum Vergleich mit den Anforderungsprofilen des Schweizerischen Gewerbeverbands, als Informationen für Lehrpersonen zwecks Ausgangspunkt für (individuelle) Förderung, als Datengrundlage für Schul- und Unterrichtsentwicklung und selbst für politische Massnahmen als Folge des Bildungsmonitorings [4] .
Das IBE schreibt auf seiner Website: «Nach vielen Jahren Bildungsforschung am Institut für Bildungsevaluation haben wir, ein interdisziplinäres Team mit einer Leidenschaft für Bildungsthemen, ein grundlegendes Anliegen im Schweizer Bildungswesen erkannt: den Bedarf an verlässlichen Informationen zur Wirksamkeit und Bildungsgerechtigkeit. […] Wir sind eng mit dem Schweizer Bildungswesen verbunden und haben ein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse unserer Anspruchsgruppen. […] Unser vitales Interesse an bildungspolitischen Fragen motiviert uns, die Erwartungen an unsere Produkte und Dienstleistungen stets zu übertreffen.»[5]
Wohlan, bitte übertreffen Sie nun doch noch unsere Erwartungen und setzen Sie sich zusammen mit den kantonalen Volksschulämtern dafür ein, dass die geschilderten Verzerrungen und Verfälschungen im Kontext der Checks «Schreiben» in Zukunft verunmöglicht werden, um tatsächlich verlässlichere Informationen zu generieren! Wir sind davon überzeugt, dass dies den Bedürfnissen mehrerer Anspruchsgruppen entsprechen würde: jenen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sowie der Bildungsdepartemente der involvierten Kantone, jenen des Schweizerischen Gewerbeverbandes – und auch denen von uns Lehrpersonen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Juni-Ausgabe des «lvb inform», der Verbandszeitschrift des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland LVB
[1] Checks im Kreuzfeuer der Kritik – Urs Moser stellt sich den Fragen des LVB, lvb inform 2016/17-04
Philipp Loretz, Checks im Realitätscheck – Problemanalyse des LVB nach 5 Jahren Erfahrung, lvb inform 2020/21-04
Roger von Wartburg, Durchführung der Checks S2 «Schreiben» – Warum es einheitliche Termine braucht, lvb inform 2021/22-04
Roger von Wartburg und Philipp Loretz, Aussagekraft arg in Frage gestellt – Zur Bewertung der Checks «Schreiben», lvb inform 2022/23-01
[2] Roger von Wartburg, Durchführung der Checks S2 «Schreiben» – Warum es einheitliche Termine braucht, lvb inform 2021/22-04, S. 10
[3] ebd., S. 8
[4] Die Kantone des Bildungsraums Nordwestschweiz (Hrsg.), Porträt Checks. Aarau, Liestal, Basel, Solothurn, 2021.
[5] https://www.ibe-edu.ch/uber-uns#unser-weg
(abgerufen am 16.05.2025)
Die Krux an der ganzen Sache ist der Blablabla-Anteil an der ganzen Sogenannt-Schreibkompetenz. Und dies nicht nur in der Schule, sondern auch im Berufsalltag, wo der Einzug von KI Urständ feiert. Was als Eigenleistung präsentiert wird, ist nie und nimmer eigenständig entstanden. Damit wird eine usrsprüngliche, gesellschaftliche Basis ausgehöhlt und durch Lügen ersetzt. Die Fortsetzung dieser Geschichte ist die Etablierung von KI-Wahrheiten mit dem Ziel, den Begriff “Wahrheit” vollkommen zu pervertieren. Damit crasht jegliches Vertrauen. Der Grundstein zu dieser Entwicklung ist leider schon längst gelegt…
Die von Loretz und Von Wartburg beanstandeten Mängel müssten von einer universitären Einrichtung, die sich Institut für Bildungsevaluation nennt, leicht zu beheben sein, zumal die beiden auf konstruktive Weise Lösungsvorschläge machen. Warum bewegt sich Urs Moser nicht? Ich verstehe das nicht. Hat er als Co-CEO so gut verdient, dass er im Hinblick auf seine Pensionierung finanziell ausgesorgt hat und ihm daher inzwischen alles andere gleichgültig ist? Werden die festgestellten Mängel nicht behoben, stellt dies ein erhebliches Problem dar für die Auftraggeber und alle Unternehmen, die sich auf diese Checks verlassen. Es entsteht dadurch der Eindruck, dass die Zuverlässigkeit und Integrität der Prüfungen aber auch des Instituts ernsthaft in Frage gestellt werden müssen.