Die unbefriedigenden Ergebnisse der ÜGK (Überprüfung der Grundkompetenzen) 2023 im 9. Schuljahr scheinen politisch keine hohen Wellen zu werfen. (1) Der Präsident der EDK, Regierungsrat Darbellay, wimmelt ab, er sieht keinen besonderen Handlungsbedarf. Am frühen Fremdsprachenunterricht ab 3. Primarklasse will er unbedingt festhalten. (2)
In diesem Zusammenhang wäre es lohnend, den Vergleich zu haben, wie sich die Französischkenntnisse am Ende der Schulpflicht seit der Einführung des neuen Fremdsprachenkonzepts von 2004 verändert haben.

Krasser Leistungsabfall
Tatsächlich prüfte das Institut für Bildungsevaluation der Universität Zürich im Jahr 2006 die Französischkompetenzen der Niveaus A (Grundanforderungen) und E (erweiterte Anforderungen) an der damaligen Weiterbildungsschule Basel im 8. und 9. (heute 10. und 11.) Schuljahr. Dabei wurden die Kenntnisse in den Sparten Hörverstehen, Grammatik, Syntax und Texte Schreiben berücksichtigt. (3)
Da sowohl die ÜGK 2023 als auch die Abschlussprüfung 2006 das Hörverstehen testeten, können diese Werte einander gegenübergestellt werden. Die Prozentzahlen zeigen an, wieviel die Jugendlichen beim Hören von den französischen Texten verstanden haben. Jugendliche an der damaligen WBS begannen im 5. Schuljahr mit Französisch, Jugendliche der Sekundarschule Basel beginnen inzwischen bereits im 3. Schuljahr mit den Passepartout-Lehrmitteln Millefeuilles und Clin d’Oeil:
| Niveau | WBS Basel 2006 | Sekundarschule Basel 2023 |
| A | 52% | 15% |
| E | 73% | 44% |
Der Leistungsabfall im Hörverstehen in den vergangenen 17 Jahren ist, wie man sieht, krass ausgefallen. Die schwächeren Schüler(innen) sind um 37% schlechter, die mittleren um 29%, wobei es sich hier um Mittelwerte handelt. Einzelne Klassen konnten besser oder schlechter abschneiden. Auch ist zu berücksichtigen, dass die Testaufgaben nicht dieselben waren. Dennoch erstaunt der Leistungsschwund aus mindestens drei Gründen:
- Die Mehrsprachigkeitsdidaktik warf dem bisherigen Unterricht vor, den praktischen Gebrauch der Sprache, nämlich das Hör- und Leseverstehen sowie das Sprechen zu wenig gefördert zu haben. Stattdessen habe man auf Grammatik und Wörterlernen herumgeritten. Ferner habe der einsprachige Unterricht die Gelegenheit verschenkt, die Gemeinsamkeiten der Sprachen sichtbar zu machen und als Lerngelegenheit zu nutzen. Der frühe Beginn mit Fremdsprachen propagierte ein «Sprachbad», das Kinder und Jugendliche ganz unverkrampft mit Französisch und Englisch vertraut machen könne.
Tatsächlich zeigt sich jetzt, dass sich die Didaktiker völlig verschätzt haben: Der Lernprozess wurde mit dem Beginn ab dritter Klasse und der Mehrsprachigkeitsdoktrin nicht effizienter, sondern drastisch unwirksamer.
«Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Didaktik der Mehrsprachigkeit dazu beiträgt, dass beim Sprachenlernen verstärkt Synergien genutzt werden können, welche … den Lernprozess effizienter machen.» So tönte es in einer Einführung in die neue Didaktik. (4) (S.7)

Tatsächlich zeigt sich jetzt, dass sich die Didaktiker völlig verschätzt haben: Der Lernprozess wurde mit dem Beginn ab dritter Klasse und der Mehrsprachigkeitsdoktrin nicht effizienter, sondern drastisch unwirksamer. Wenn ich mit meiner E-Klasse im Jahr 2006 durchschnittlich ein Hörverstehen von 80% erreichte, war dies vorwiegend dem konsequent einsprachigen Unterricht zu verdanken.
- Die Mehrsprachigkeitsdidaktik behauptet, der frühere Unterricht sei zu sehr grammatiklastig gewesen. Noch in den Ohren habe ich die Primarlehrerin an einem Hearing mit Regierungsrat Pulver in Bern, die sinngemäss sagte: «Bisher musste man aufsagen: «je viens, tu viens, il vient». So lernt man doch kein Französisch.»
Der neuen Didaktik ist vorzuwerfen, dass sie sträflich missachtet, dass sich Sprachbedeutung, Ausdruck und Verstehen, nicht von Sprachstruktur abspalten lässt.
Erstaunlich ist nun aber, dass der strukturorientierte Unterricht von 2006 gerade ein deutlich besseres Hörverständnis hervorbrachte als das «Sprachbad» der Mehrsprachigkeitsdidaktik, das glaubte auf Strukturen als Angelpunkte des Sprachenlernens verzichten zu können.
Der neuen Didaktik ist vorzuwerfen, dass sie sträflich missachtet, dass sich Sprachbedeutung, Ausdruck und Verstehen, nicht von Sprachstruktur abspalten lässt. Ausdrücken und Verstehen sind untrennbar mit Struktur verbunden. Weil jede Sprache ihre strukturellen Eigenheiten hat, ist es auch sinnvoll, sich beim Lernen auf die eine Sprache zu konzentrieren und keinen ständigen Mischmasch zu betreiben.
- Noch immer behaupten Politiker und Didaktiker, der frühe Beginn mit Französisch erziele bessere Lernerfolge. Die obige Tabelle beweist für die Niveaus A und E das Gegenteil: 7 Jahre Französisch mit 2 bis 3 Wochenlektionen ergeben gegenüber 5 Jahren mit 4 Wochenlektionen ein deutlich schlechteres Lernergebnis. Tatsache ist, dass mehr als die Hälfte der Niveaus A und E heute klar weniger verstehen als 2006.
Hiermit stellt sich auch erneut die Frage an die Politik: Inwiefern dient es dem nationalen Zusammenhalt, wie immer behauptet wird, wenn Jugendliche die französischsprachigen Eidgenossen schlechter verstehen, wenn sie in der dritten Primarklasse den Unterricht beginnen, als wenn sie ihn später beginnen?
Schade, dass Rationalität nicht langsam Einzug hält in diesen Bereich der Bildungspolitik! Monsieur Darbellay, Monsieur le Conseiller d’Etat, réveillez-vous.
(1) Erzinger, A. B., Angelone, D., Locher, F. M., Prosperi, O., Salvisberg, M.,
& Tomasik, M. J. (Hrsg.). (2025). Nationaler Bericht zu der Überprüfung des Erreichens der Grundkompetenzen (ÜGK) 2023, Sprachen 11. Schuljahr: ein Beitrag zum Schweizer Bildungsmonitoring. Interfaculty Centre for Educational Research (ICER), Universität Bern. https://doi.org/10.48620/85368
(2) Bildung Schweiz, 7-8/2025
(3) Kompetenzzentrum für Bildungsevaluation und Leistungsmessung an der Universität Zürich (heute IBE), Evaluation WBS-Basel, Abschlussprüfung 2006, November 2006.
(4) B. Grossenbacher, E. Sauer und D. Wolff, Neue fremdsprachendidaktische Konzepte (Schulverlag plus AG, 2012)


Für Erstaugustredner
Der Kulturauftrag der Primarschule liegt nicht beim Frühfranzösisch
Das hochgejubelte Mehrsprachenkonzept der Primarschule hat zu einem Fiasko geführt, das keine Geiss wegschlecken kann. Der gut belegte Leistungsabfall im Französisch kommt im aufschlussreichen Vergleich von Felix Schmutz klar zum Ausdruck. Doch wann endlich hören die verantwortlichen Bildungspolitiker auf, das didaktische Disaster weiter schönzureden und die nötigen Konsequenzen zu ziehen? Viele scheinen noch immer nicht eingesehen zu haben, dass mit dem Überladen des frühen Fremdsprachenunterrichts das Fach Französisch zum eigentlichen Verlierer wurde.
Als Hauptargument für das frühe Lernen der französischen Sprache wird deren wichtige Funktion für den nationalen Zusammenhalt aufgeführt. Die Förderung eines über die kulturellen Unterschiede hinausgehenden Gemeinschaftsgefühls ist zweifellos eine wichtige Aufgabe, zu der auch die Schule einiges beitragen kann. Doch Frühfranzösisch ist alles andere als der Königsweg zu diesem Ziel.
Die Primarschule hat weit bessere Möglichkeiten, die kulturelle Vielfalt unseres Landes den Schülern näherzubringen. Statt viele Stunden für ein gescheitertes Dreisprachenkonzept einzusetzen, würde ein gehaltvoller Geografie- und Geschichtsunterricht mit einer stärkeren Hinwendung zu den nichtalemannischen Regionen mehr bringen. Doch es sind ausgerechnet die Realienfächer, welche in der Lehrerbildung infolge des Riesenaufwands für die Mehrsprachendidaktik am meisten Federn lassen mussten.
Die Romandie und das Tessin haben für Sechstklässler viel Attraktives zu bieten. Warum nicht die elektrische Energiegewinnung am Beispiel der Kraftwerkanlage der Grande Dixence erklären und dabei das Wallis geografisch den Schülern näherbringen? Der Kanton Neuenburg mit der Reissbrettstadt La Chaux-de-Fonds, der Uhrenindustrie und den malerischen Freibergen kann die Türe zu einem französischsprachigen Kanton weit öffnen. Zum Tessin wird mit der unerhört spannenden Geschichte der Gotthardbahn leicht ein Zugang gefunden. Und ein Klassenlager in einem Bündner Bergdorf könnte bei Sprachbegabten sogar Interesse für die wohlklingende romanische Sprache wecken. Es bieten sich unzählige Themen an, um die Regionen im Westen und Süden unseres Landes im Realienunterricht lebendig werden zu lassen.
Frühfranzösisch trägt wenig zum nationalen Zusammenhalt bei. Umso mehr müsste in einen qualitativ hochstehenden Geografie- und Geschichtsunterricht investiert werden. Der Bildungsauftrag der Primarschule braucht eine deutliche Akzentverschiebung, um unseren Schülerinnen und Schülern starke Bilder von der Vielfalt unseres Landes vermitteln zu können. Die Erstaugustredner sind gefordert, aber anders als die Verfechter der Mehrsprachendidaktik dies sehen.
Hanspeter Amstutz