11. Januar 2025
Denkmoment

Betriebspraktika für Lehrpersonen – oder: Mit einem Fuss in der Praxis

Mit jedem Tag verringert sich die Praxisnähe bei den Lehrpersonen, die vollberuflich an einer Berufsbildungsinstitution unterrichten. Diesem “Elfenbeinturm-Phänomen” müsste mit einer Betriebspraktika-Offensive entgegengewirkt werden. Durch einen solchen Brückenschlag und einer angepassten Anstellungspolitik kann die Berufsfachschule nur profitieren.

In periodischen Unterrichtsbefragungen von Lernenden wird der teilweise fehlende Praxisbezug bemängelt. Lehrpersonen auf der Stufe Berufliche Grundbildung wird rückgemeldet, dass sie mit dem, was in den Betrieben abgehe, nicht mehr immer “up to date” seien.

Berufskunde unterrichtende Lehrpersonen sind – im Gegensatz zu ihren allgemeinbildenden Kolleginnen und Kollegen – in bestimmten Branchen und Berufen tätig. In diesen ist insbesondere die Technologie der starke Innovationstreiber. Unternehmen sind gefordert, der Dynamik zu folgen, wenn sie erfolgreich bleiben und überleben wollen. Diese Tatsache überträgt sich als starke Erwartung auch auf die Berufsfachschule.

Condorcet-Autor Niklaus Gerber

Bildungsinstitutionen können diesem Tempo nur teilweise folgen. Obwohl die Bildungspläne des jeweiligen Berufsfeldes alle fünf Jahre überprüft und den Entwicklungen angepasst werden, stellt die Zeitspanne von einer halben Dekade heutzutage eine Ewigkeit dar. Mit gezielter, fachlicher Weiterbildung der Lehrpersonen kann einiges aufgefangen werden. Dafür ist eine enorme Anstrengung hinsichtlich Ressourcen und Engagement notwendig. Und trotzdem kann das Veränderungstempo in den Branchen unterrichtsseitig nur annähernd abgebildet werden.

Im Berufskundebereich einer Berufsfachschule existieren zwei Kategorien: Lehrpersonen mit einem Vollzeit- und solche mit einem Teilzeitpensum. Letztere sind mit den Berufsfeldentwicklungen der Praxis ständig verknüpft. Diese Kolleginnen und Kollegen sind in der Lage, die so genannte Statik der Schule mit der Dynamik in der Wirtschaft zu verbinden. In vielen Themenbereichen des jeweiligen Bildungsplanes können sie den topaktuellen Stand in ihren Unterricht einbringen. Der Praxisbezug wird so auf beste Weise erfüllt.

Zumindest bei den Berufskunde unterrichtenden Vollzeit-Lehrpersonen müsste ein periodisches Betriebspraktikum Pflicht sein.

 

Und: Neben den Berufskunde unterrichtenden Vollzeit-Lehrpersonen müssten auch die allgemeinbildenden Kolleginnen und Kollegen dazu genommen werden. Sie sind gleichwertiger Part in der Ausbildung der Lernenden. Ihre Betriebspraktika-Präsenz in den Betrieben wird ebenso geschätzt.

Periodizität und Dauer eines Betriebspraktikums

Ein jährliches oder allenfalls zweijährliches Praktikum in der unterrichtsfreien Zeit und im Umfang einer Woche resp. fünf Tagen darf den Berufsfachschullehrpersonen zugemutet werden. Gleichzeitig zählt das Praktikum zur persönlichen Weiterbildung. Auch ist es sinnvoll, periodisch die Ausbildungsfirma zu wechseln. Aktuell existieren bereits solche Berufspraktika auf freiwilliger Basis und in unterschiedlicher Länge. Die Feedbacks dieser vorbildlichen Lehrpersonen sind allesamt positiv.

Erreichbare Ziele

  • Praxisnähe verstärken

Mit einem repetitiven Betriebspraktikum sollen neuste Berufsfeld- und Unternehmensentwicklungen kennengelernt werden. Ein gezieltes und im Vorfeld vereinbartes Programm ist dafür erforderlich und sinnvoll. Während des Praktikums bewegt sich die Lehrperson im Alltag der Lernenden und in der Rolle als interessierte Beobachter/in und Lerner/in.

  • Lernortkooperation optimieren

Die Verbundpartnerschaft zwischen Berufsfachschule und Ausbildungsbetrieb – im Fokus stehen hier insbesondere die persönlichen Beziehungen derjenigen Personen, die rund um einen in der Ausbildung stehenden Lernenden stehen – erfährt durch ein Betriebspraktikum eine gegenseitige Befruchtung. Es wird selbstverständlich, sich als Teil eines Ausbildungs-Netzwerkes zu sehen.

  • Image erhöhen

Wenn sich Lehrpersonen in die Ausbildungsbetriebe und in die Praxis begeben, wird ein Engagement von unschätzbarem Wert sichtbar. Dies wirkt sich positiv auf das Image der Schule aus. Auch die Lernenden erleben ihre Lehrperson(en) in einer anderen Rolle. Die Auswirkungen im Unterricht werden spürbar.

Fazit

Mit einem Fuss in der Praxis.” – So müsste der Leitspruch an einer Berufsfachschule lauten. Zumindest bei den Berufskunde unterrichtenden Vollzeit-Lehrpersonen müsste ein periodisches Betriebspraktikum Pflicht sein. Auf diese Weise kann der wachsenden Lücke zwischen Schule und Praxis begegnet werden.

Innerhalb einer Berufs- oder Fachgruppe macht es außerdem Sinn, einen Mix aus Vollzeit- und Teilzeit-Lehrpersonen anzustreben. Einer Berufsfachschule muss es wichtig sein, dass der Faden zur Praxis stets gespannt bleibt und die gegenseitige Bindung zwischen Schule und Ausbildungsfirma verstärkt wird.

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