21. Dezember 2024
Denkmoment

Führungsperson vs. Führungspersönlichkeit – oder: Die Bedeutung des Charismas

Eine Führungsperson ist noch keine Führungspersönlichkeit. Oft werden Mitarbeitende in Leitungspositionen berufen, denen sie nicht gewachsen sind. Erreicht wird nach der These von Laurence J. Peter die so genannte Stufe der Inkompetenz. Mit der Folge, dass ein oft langer Leidensweg seinen Anfang nimmt; für die Leitungsperson selbst und insbesondere für die Mitarbeitenden. Wie gross die Auswirkungen solcher Fehlbesetzungen sind, lässt sich nur erahnen.

Ein fachlich begabter Mitarbeiter wird zum Chef eines Bereiches befördert, weil dieser bisher sehr gute Arbeit geleistet hat. Allerdings stösst er auf vielen Ebenen an Grenzen und kann im Umgang mit seinem jetzt unterstellten Kollegium nicht reüssieren. Auch bringen entsprechende Weiterbildungen unzureichenden Mehrwert.

Condorcet-Autor Niklaus Gerber

Erfolgreiche Führungspersönlichkeiten besitzen – neben anderen Eigenschaften – ein starkes Charisma. Damit wird eine Begabung ausgedrückt, die es ihnen ermöglicht, andere Menschen mit ihrer Ausstrahlung in ihren Bann zu ziehen. Es sind Personen, die positiv und auf sympathische Art auf andere wirken. Sie ziehen die Blicke auf sich und stehen oft im Mittelpunkt. Ihnen schreibt man Charisma zu.

Charismatische Persönlichkeiten besitzen insbesondere folgende Charakterzüge [1]:

  • Menschliche Wärme: Sie strahlen stets eine gewisse Wärme aus. Dies bedeutet, dass man sich in der Nähe dieser Personen besonders wohlfühlt und gerne um sie ist. Die spürbare Wertschätzung den Mitarbeitenden gegenüber zeigen sie in einem respektvollen und wohlwollenden Umgang, dem Interesse an ihrer Arbeit, in der Freundlichkeit und der Empathie. Sie sind die «Träger» menschlicher Wärme. Ein herzlicher Händedruck, ein freundliches Lächeln und der Augen-Blick sind sympathische Türöffner.
  • Präsenz: Präsent sein bedeutet ihnen, bewusst – hier und jetzt – mit einer aktuellen Situation umzugehen und mit Menschen aktiv auf Augenhöhe zu interagieren. Sie folgen der so genannt goldenen Regel der Kommunikation. Beim Gespräch schauen sie nicht ständig auf ihr smartes Phone, sondern haben Blickkontakt mit dem Gegenüber. Sie hören aktiv zu und lassen sich nicht ablenken. Diese Aufmerksamkeit führt dazu, dass sich Menschen respektiert und angenommen fühlen.
  • Begeisterung und Hingabe: Sie wecken Emotionen in anderen Menschen. Oft erinnern wir uns nicht mehr, über was wir diskutiert oder gesprochen, sondern wie wir uns gefühlt haben. Emotionen sind eng mit persönlichen Geschichten verbunden. Wenn diese spürbar werden, stellt sich in der Beziehung ein motivierendes Grundgefühl ein. Hingabe bedeutet für sie, sich täglich mit Engagement und Freude den Leitungsaufgaben und den daran beteiligten Menschen zu widmen.
  • Authentizität und Integrität: Sie beeindrucken andere Menschen auf eine natürliche Art und Weise. Ihr Verhalten ist geprägt von Echtheit, Klarheit, Transparenz und Zuverlässigkeit. Sie lassen sich von Werten und Prinzipien leiten und besitzen eine spürbare Grundhaltung. Damit strahlen sie Vertrauen und Verlässlichkeit aus. Sie stehen zu Fehlern und zu persönlich verantwortenden Ergebnissen. Ihre Integrität erlaubt ihnen, geradlinig, unbestechlich, ehrlich und von hohem Anstand «beseelt” zu sein. Ihr Wirken beinhaltet nachvollziehbare Entscheide mit stets klarer und transparenter Kommunikation.

  • Selbstbewusstsein: Sie besitzen ein hohes Selbstvertrauen. Sie kennen und glauben an sich selbst und sind sich ihrer Stärken, aber auch den Schwächen bewusst. Sie überspielen letztere nicht, sondern arbeiten an ihnen. Ihr Bewusstsein über das eigene Selbst ermöglicht ihnen, als Mensch mit Facetten tätig zu sein. Ihre Führungskompetenz umfasst ebenso die fortwährende Rückbesinnung im Sinne der Selbstevaluation.
  • Durchsetzungsvermögen: Sie können sich auf eine sympathische Weise durchsetzen. Dieses Vermögen ist von menschlicher Wärme und Respekt begleitet. Sie stützen ihre Entscheide auf Argumente ab, vertreten sie mit gutem Auftreten, angenehmer Stimme und sicherer Körpersprache. Durchsetzungsstärke bedeutet ihnen auch, den eigenen Überzeugungen entsprechend standhaft zu sein, für seine Ideale und Überzeugungen einzustehen und diese mit hohem Verantwortungsbewusstsein, Engagement und Selbstverpflichtung zu vertreten, ohne jedoch einem flexiblen Verhalten abzuschwören. Insbesondere sind sie sich bewusst, dass Veränderungen stets auch Widerstände und Ängste erzeugen können. Ihnen misst die Leitungsperson besondere Beachtung bei und begegnet diesen proaktiv.
  • Humor: Sie können über sich selbst und mit anderen lachen. Viele Situationen im Alltag lassen sich mit einer Prise Humor entschärfen. Leitungspersönlichkeiten zeichnen sich dadurch aus, Dinge – gerade bei Fehlern – zu relativieren, und nicht alles auf die gleiche Weise ernst zu nehmen; auch sich selbst nicht. Das macht sie menschlich und nahbar.

  • Bescheidenheit: Sie besitzen ein Gefühl für Bescheidenheit. Das heisst, sich persönlich zurückzunehmen. Sie begegnen jedem Mitarbeitenden auf gleicher Augenhöhe und mit Respekt. Sie sind offen und geduldig für ihre Anliegen. Sie sind sich bewusst, dass Bescheidenheit die Vielfalt und das Klima am Arbeitsplatz fördert.
  • Visionen: Leitungspersönlichkeiten sind Vordenker. In ihrer Rolle als innovative Impulsgeber schauen sie weit voraus und sind in der Lage, Kommendes zu antizipieren. Als Leitfiguren legen sie die grossen Linien. Sie erkennen, welche Wege frühzeitig und aktiv eingeschlagen werden sollen, um nicht überrascht zu werden, um später reaktiv vorgehen zu müssen. Auf der operativen Ebene bringen sie Themen und Projekte unter Einbezug der Beteiligten zielgerichtet und proaktiv voran.
  • Vorbild: Mit ihrem Wesen sind sie Vorbilder. Sie besitzen eine hohe Arbeitsethik und Verlässlichkeit. Mit ihrer Führungsarbeit fördern und wertschätzen sie ihre Mitarbeitenden, erkennen ihre Potenziale und haben grosses Vertrauen in sie und geben ihnen Freiheiten für die persönliche Entfaltung, die letztlich allen zuteil kommt. Ihre Rolle zeichnet sich durch gewissenhaftes, moralisches Handeln aus und der Verpflichtung, dass das Notwendige und Richtige getan wird. Dazu gehören vorgelebte Denk- und Verhaltensweisen sowie Werte, welche sie selbst von ihren Mitarbeitenden einfordern.

Fazit

Bei der Besetzung von Leitungsfunktionen müsste der charismatische Kern im Zentrum stehen. Fachliche Qualifikationen sind meist dienlich, reichen allein jedoch nicht aus. Für sich betrachtet stellen sie oft eine Falle dar, wenn es um die Nachfolgregelung bei einem Chefposten geht. In der Führungsarbeit geht es um weit mehr. Dort, wo Menschen mit Menschen in Interaktionen stehen, gehört ein ausgeprägtes Charisma zu den Wertmerkmalen und Gelingensfaktoren hoher Leitungskompetenz. Der Erfolg einer jeden Institution oder Unternehmung ist eng damit verbunden.

[1] 7 Eigenschaften charismatischer Persönlichkeiten – und wie du sie auch erlernen kannst (the-heros-journey.at); Abruf 15.10.2022, ergänzt durch den Autor.

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5 Kommentare

  1. Ob es je Vorgesetzte oder gegeben hat, die alle diese Ansprüche erfüllt haben? Wohl kaum. Solche geschönte Idealbilder nehmen deutliche Anleihen bei der Humanistischen Psychologie, die nicht nur beschreibt, was Vorgesetzte auszeichnet, sondern die Botschaft verbreitet, wie diese nach dem humanistischen Ideal sein sollten.
    Entscheidende Merkmale für erfolgreiche Vorgesetzte sind wohl folgende zehn Punkte:
    1. die natürliche Autorität, die sich je nach Situation auf unterschiedliche Weise ohne autoritäres Gebaren durch Überzeugungskraft durchsetzen kann (besser als Charisma, was zu sehr irrationale Aspekte enthält),
    2. das Geschick, Menschen zu motivieren und dort einzusetzen, wo sie am besten wirken können,
    3. das Talent, Menschen zusammenzubringen für gemeinsame Aufgaben,
    4. die Fähigkeit, auf ein Ziel hinzuarbeiten, das Ganze zu sehen und wichtig von unwichtig unterscheiden zu können,
    5. Organisationstalent,
    6. Sinn für Gerechtigkeit,
    7. Neutrale Gesinnung, gesunden Menschenverstand, kein Hang zur Parteilichkeit und zur Sektiererei,
    8. die Fähigkeit, in angespannten Situationen, wenn Aufregung herrscht, die Nerven zu behalten,
    9. die Fach- und Menschenkenntnis, sich und andere treffend einzuschätzen, sich bei Bedarf beraten zu lassen,
    10. die Kraft, nach Anhörung verschiedener Meinungen, überlegte Entscheidungen zu treffen.

    1. Lieber Felix
      Danke für deine Rückmeldung, die ich schätze. Deinen 10 Punkten resp. Merkmalen stimme ich zu. Sie überschneiden sich mit meinen Ansprüchen an gute Führungsqualitäten. Oder anders formuliert, schliessen sich ein humanistisches Führungsverständnis – eben mit einem starken Charisma – mit deinen Anregungen in keiner Weise aus. Und ja, ich umschreibe das Idealbild einer Führungspersönlichkeit. Dort wo Menschen mit Menschen interagieren, scheint mir das zentral zu sein. In meiner Tätigkeit entdecke ich immer wieder Leitungspersonen, die leider keiner Idealbesetzung entsprechen.

  2. Das Peter-Prinzip verdient Beachtung:
    “In a hierarchy every employee tends to rise to his level of incompetence.”
    „In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.“

    Das spricht für möglichst flache Hierarchien. Genau das Gegenteil ist in den Schulen passiert: Da waren zuerst Schulhausvorsteher (als primus inter pares), dann kamen die Schulleitungen, dann die Gesamtschulleitungen, dann das Ressort Bildung, dann die aufgeblähte Verwaltung im Kanton und schliesslich noch die EDK (jetzt mit neuem Präsidenten Darbellay).

    Ich wünsche allen Aufsteigern viel Glück in der dünneren Luft.

    1. Lieber Urs
      Du sprichst zum einen an, was in den Schulen immer wieder passiert: Die Rekrutierung von Leitungspersonen geschieht im Innern. Das kann gut gehen, aber eben nicht immer. Gute Lehrpersonen sind nicht per se gute Leitungspersonen. Weiter erwähnst du die flache Hierarchien. Da bin ich ganz bei dir. Vorbildliche Führungspersönlichkeiten ermöglichen interessierten und fähigen Lehrpersonen eine Entwicklung. Ihnen ein Fachgebiet und/oder ein Thema zum Nutzen der Gesamtschule zu übertragen, wirkt motivierend und ergibt eine hohe Arbeitszufriedenheit.

  3. Gut, dass Urs Kalberer die aufgeblähten Hierarchien erwähnt. Das Problem: Jede Stufe muss ihre Stellung mit Geschäftigkeit legitimieren. Das führt, je tiefer man in der Hierarchie absteigt, zu immer mehr Gängelung. Die letzte Stufe ist dann mit einem Bündel von Vorgaben, bürokratischen Lappalien und Kontrollen konfrontiert, welche die Gestaltungsfreiheit einengen und, wie N. Gerber antönt, demotivieren. Wer die Ausbildung zur Lehrperson theoretisch, fachlich und praktisch abgeschlossen hat, sollte nicht mehr von Schulleitungen, Amtsstellen und Hochschulbesserwissern an der kurzen Leine geführt werden.

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