Die Schüler kommen atemlos aus der Pause, die Stimmung ist gelöst. Fußbälle werden hastig verstaut, und das Panini-Sticker-Heft für die Europameisterschaft wird zur Seite gelegt. In der vierten Stunde steht für die zehnte Klasse am Augsburger Gymnasium bei St. Stephan das Fach Politik und Gesellschaft auf dem Stundenplan. Das Thema heute: “Wer widerspricht der Regierung?” Auf dem Whiteboard im Klassenzimmer werden verschiedene Reden aus dem Bundestag gezeigt, um den Schülern die Aufgabe und Bedeutung von politischer Opposition zu erklären.
Auf die Frage des Lehrers, was man aus den Beispielen für Oppositionsarbeit gelernt habe, entgegnet ein Junge im Trikot des FC Augsburg wie aus der Pistole geschossen: “Viel Scheiße reden kann ich auch, also Politik ist drin.” Die Klasse lacht, einige Mitschüler nicken, und der Lehrer mahnt pflichtbewusst zu Ernsthaftigkeit. In den zuvor gezeigten Ausschnitten kamen schließlich Unionsfraktionschef Friedrich Merz, der AfD-Co-Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla und Amira Mohamed Ali, ehemals stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, zu Wort. Doch sympathisch, geschweige denn cool findet in Augsburg keiner auch nur irgendeinen Politiker.
Absenkung des Wahlalters
Wie ticken Deutschlands Schüler? Gibt es einen Rechtsruck bei der Jugend? Nach der Europawahl geistert dieses Gespenst durch die Öffentlichkeit. Die AfD wurde bei den 16- bis 18-jährigen Erstwählern stärkste Partei. Die Ampelparteien wurden abgestraft. Die vermeintlich leicht zu kategorisierende grüne Vorzeigejugend hat sich in ihren Wahlentscheidungen beweglich und unkalkulierbar präsentiert.
In Wahrheit hat der 16-jährige Fußballfan aus Augsburg die Sicht vieler Jugendlicher auf den Punkt gebracht. Es wird “viel Scheiße geredet”, viel Zeit verschwendet, und am Ende fühlt sich kaum einer durch die Entscheidungen der Bundesregierung gehört oder vertreten. Denn dass sie mit typischer Politikersprache und den Inhalten der etablierten Parteien nicht sonderlich viel anfangen können, haben junge Menschen in Wahlen und bei Umfragen gezeigt.
Eigentlich hatten sich die Grünen, 2019 noch stärkste Partei in der jüngsten Wählergruppe, mit der Absenkung des Wahlalters einen weiteren Zuwachs an Wählerstimmen erhofft. Stattdessen erlebte die Umweltpartei einen Rekordeinbruch, verlor zwei Drittel aller Stimmen in ihrer vermeintlichen jungen Stammwählerschaft und musste sich mit nur noch 11 Prozent knapp vor SPD und FDP an der Ampel hintanstellen.
Von wegen herrschaftsfreier Diskurs
Doch welche Schlüsse muss man daraus ziehen? “Menschen, die rechts wählen, sind Loser.” So lautet das Fazit des Lehrers eines Politik-Leistungskurses am Paul-Natorp-Gymnasium in Berlin-Friedenau, einer Schule mit einem gutbürgerlichen Einzugsgebiet und lediglich 10 Prozent Schülern mit Migrationshintergrund.
Im Kursraum war eine Diskussion darüber aufgekommen, wie die Jugendstudie aus dem Frühjahr 2024 und die Europawahlergebnisse einzuordnen seien. Auffällig dabei: Der Lehrer äußerte in der Folge seine eigene Parteipräferenz, erklärte den Schülern gelegentlich ihre eigenen Antworten und riss das Gespräch immer mehr an sich. Für ihn sei klar, dass den Wahlergebnissen der AfD ein autoritärer Charakter der Schüler zugrunde liege, der sich immer wieder auch in Planspielen und Gruppenarbeiten zeige.
Menschen, die rechts wählen, haben nach Meinung des Politiklehrers nichts zu ihrem Wohlstand in Deutschland beigetragen und lediglich Angst davor, dass ihre eigene Inkompetenz offengelegt werde. Noch gäben alle an der Schule vor, die Grünen zu wählen, erklärt er, eine offene Auseinandersetzung sei da noch nicht möglich. Dass diese offene Auseinandersetzung nicht mit einer ideologisch voreingenommenen Lehrkraft, die versetzungs- und abiturrelevante Noten verteilt, möglich ist, liegt auf der Hand. Nur für den Kursleiter scheint das nicht ganz klar. Von wegen herrschaftsfreier Diskurs.
Der Schock spukt umher
Wer sich an Deutschlands Schulen umschaut, sieht nicht nur eine Entfremdung zur Politik, sondern auch eine Kluft zwischen den Konzepten des Lehrpersonals und der Lebensrealität der Schüler. Es sitzen andere Jugendliche auf den Bänken, als es die Lehrer im Kopf haben.
Feodora Lüdemann, die Bundesvorsitzende der CDU/CSU-nahen Schüler-Union, sieht den Zuwachs der AfD bei jungen Leuten als Folge eines Problemschocks. Viele seien durch die Regierungszeit von Angela Merkel in dem Gefühl aufgewachsen, dass alles weitestgehend okay werden würde. Jetzt kommen die Themen wie Inflation, Migrationspolitik, Wirtschaftskrise direkt bei ihnen an.
“Jeder Schüler merkt, wenn das Eis auf einmal doppelt so viel kostet wie vor zwei Jahren”, stellt Lüdemann fest. Deswegen sei für sie klar, “dass niemand einfach die AfD wählt, weil er einen AfD-Spot auf Tiktok gesehen hat”. Die Grundlage für die Inhalte, mit denen die AfD auf Tiktok punkte, werde in der Realität gelegt, betont Lüdemann. Und genau diese Realität der Ängste junger Menschen würde von der aktuellen Regierung wiederum unzureichend wahrgenommen.
Ein Gymnasium der politisch Interessierten
Hinter einer großen, schweren Holztür verbirgt sich das Schulleiterbüro von Alexander Wolf. Beim Eintreten entschuldigt er sich sofort für den hartnäckigen Zigarrengeruch, der schwer und intensiv in der Luft hängt. “Pater Egino, einer meiner Vorgänger, hat in diesem Raum täglich eine Schachtel Zigarren geraucht”, erklärt Wolf mit einem entschuldigenden Lächeln. Dann rückt er seine schwarze Brille zurecht und deutet auf die braunen Wandschränke, die an der linken Seite des Büros stehen und den würzigen Geruch der vielen Zigarren aus einer anderen Zeit schon lange aufgenommen haben.
Das Gymnasium bei St. Stephan will anders sein und gar nicht den Duft vergangener Jahre atmen. Das moderne Schulhaus bildet den Kontrast zum namensgebenden Klostergebäude nebenan. Zeitgenossenschaft statt nur Tradition, so das Ideal. Aktuelle politische Konflikte sollen nach dem Schulkonzept in einem jeweiligen Monatsthema aufgegriffen und bearbeitet werden. Die Schüler bestimmen die Agenda. In diesem Monat ist das Thema der “Pride Month”, der auf dem schwarzen Brett im Schulflur ausführlich und in bunten Farben beschrieben wird.
Die meisten Neuntklässler wählten hier in Augsburg die CSU, dicht gefolgt von den Grünen. Die AfD dagegen tauchte in der Wahlauswertung überhaupt nicht auf.
Als im November 2023 das Klettergerüst auf dem Schulhof nachts mit Hakenkreuzen beschmiert wurde, organisierte die Schülerschaft daraufhin eine politische Gegenaktion. Diese fand im Januar 2024, am Holocaust-Gedenktag statt, ein Zeichen gegen Antisemitismus, das sollte es sein. Die Schüler seines Gymnasiums erlebe er als vielfältige, politisch interessierte junge Erwachsene voller Lebensfreude, so beschreibt es Wolf. Berichte über eine Generation im teils depressiven Dauerkrisenmodus kann er jedenfalls nicht bestätigen. Den Schüler mit dem FC-Augsburg-Trikot und seinen Frust kennt er offenbar gerade nicht.
Die Ergebnisse der schulinternen Juniorwahl im Vorfeld der Europawahl 2024 zeichnen in Augsburg auch noch ein friedliches Bild. Die meisten Neuntklässler wählten hier die CSU, dicht gefolgt von den Grünen. Die AfD dagegen tauchte in der Wahlauswertung überhaupt nicht auf. Solidarität mit Homo- und Transsexualität, klare Kante gegen Hakenkreuze und Antisemitismus und kaum interne Stimmen für die AfD. In Augsburg gibt es also keinen sichtbaren Rechtsruck in der Schülerschaft.
Schüler, die unliebsame Parteien wählen
Doch längst nicht überall sehen junge Erwachsene ihre Zukunft so positiv und gelassen. Das zeigt beispielsweise die Stimmverteilung bei den Juniorwahlen am Verdener Campus in Niedersachsen. Von den teilnehmenden Schülern des neunten Jahrgangs erhielt die AfD hier 27 Prozent der Stimmen. “Natürlich sind wir bestürzt darüber, dass so viele unserer Schüler eine nichtdemokratische Partei wählen würden”, kommentierte Christian Piechot, Schulleiter des Verdener Campus, die Ergebnisse gegenüber der Mediengruppe Kreiszeitung.
Er gab aber auch zu, dass die Ergebnisse sich gewissermaßen abgezeichnet hätten: “Viele dieser Schüler haben Ängste, die sie mit sich tragen”, erklärt er weiter. Insbesondere die Migrationspolitik sei ein Thema, das diese Ängste verstärken könne. “Oft sind das die Ängste, die die Schüler aus dem Elternhaus übernehmen, und auch Diskurse aus der Öffentlichkeit beeinflussen die Jugendlichen”, fügt Piechot hinzu. Ein weiteres Indiz dafür, dass junge Erwachsene mit ihrer AfD-Sympathie nicht sonderlich von den Einstellungen ihrer Eltern abweichen und daher auch nicht gesondert bekehrt werden müssen.
Die Anerkennung junger Erwachsener als mündige Wähler verlangt, ihre unliebsamen Meinungen gleichermaßen ernst zu nehmen.
Wer eine Juniorwahl veranstaltet oder 16-Jährige über das Europaparlament abstimmen lässt, darf sich im Nachgang eben nicht darauf versteifen, dass man die Ergebnisse nicht für voll nehmen könne. Die Anerkennung junger Erwachsener als mündige Wähler verlangt, ihre unliebsamen Meinungen gleichermaßen ernst zu nehmen. Denn die Probleme in der echten Welt wären nicht plötzlich alle gelöst, wenn 50 Prozent der Schüler, Studenten und Auszubildenden wieder brav die Grünen auf ihren Wahlzetteln ankreuzen würden. Es würden aber weniger junge Menschen extreme Parteien wählen, wenn die realpolitischen Probleme endlich angegangen würden.
Woher der Rechtsruck?
Denn das Stimmungsbild am Verdener Campus ist eben kein Einzelfall. Bei etlichen Juniorwahlen an Gymnasien in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Bayern oder den neuen Bundesländern erreichte die AfD ebenfalls deutlich über 20 Prozent, bei vielen Juniorwahlen in denselben Bundesländern tauchte die AfD aber nicht einmal unter den fünf stärksten Parteien auf.
Es lässt sich demnach keine Faustformel für den Rechtsruck und seine strukturierte Verbreitung in bestimmten jungen Kreisen aufstellen. Wohl aber gibt es Faktoren wie Migrationsprobleme, Inflation, Wohnungsmangel oder fehlende Zukunftsaussichten, die polarisierende Wahlergebnisse erklärbar machen.
In der Dorstener Zeitung wird von einer Sekundarschule im Bottroper Stadtteil Kirchhellen berichtet, an der die Schüler die AfD in ihrer schulinternen Abstimmung ebenfalls zur stärksten Kraft wählten. Ein Schüler erklärte seine Wahlentscheidung für die AfD damit, dass “man keinen Bock hätte, sich abstechen zu lassen”. Bezug nahm er damit auf den tragischen Tod des Polizisten Rouven Laur, der Anfang Juni in Mannheim bei einem brutalen islamistischen Messerangriff ums Leben gekommen war. Es zeigt sich eine tiefgreifende Verunsicherung, doch keinesfalls ein inhärenter Rechtsextremismus. Diese Bedenken nicht ernst zu nehmen, wäre fatal.
Andere Regionen, andere Sitten
Die Türen der U7 nach Rudow springen mit einem lauten Zischen auf, und rund 100 Menschen strömen aus den Zugwaggons auf das Bahngleis. Auf einem gelb umrandeten Schild an der grünen Wand des U-Bahnhofs prangt der Name der Station: Hermannplatz. Er ist das Herzstück des Berliner Bezirks Neukölln, unmittelbar an der Grenze zum Nachbarbezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Es herrscht reges Treiben. Es riecht nach frisch gebrühtem Kaffee, türkischem Gebäck und bitterem Zigarettenqualm. Am Hermannplatz kann man halbe Hähnchen, Klamotten, Taschen und sogar Handys kaufen. Nur fünf Minuten Fußweg entfernt befindet sich das Albert-Schweitzer-Gymnasium, die Oberschule mit dem höchsten Anteil migrantischer Schüler in Berlin.
Rund 92 Prozent der Schüler, die das Albert-Schweitzer-Gymnasium im Schuljahr 2023/2024 besuchen, haben eine nicht-deutsche Herkunftssprache. Die AfD wählt hier keiner, das scheint schon mal sicher. Als die dritte Stunde beginnt, betreten die meisten Schüler wieder das hellgraue Schulgebäude. Ein junger Mann in einem sportlichen Trainingsanzug und eine junge Frau mit glatten braunen Haaren bleiben auf den bunt angemalten Sitzgelegenheiten vor der Schule zurück.
Verstärkte Ungleichheiten und offener Rassismus
Mohammed, so heißt der junge Mann, besucht den Politik-Leistungskurs und lebt schon sein ganzes Leben in Neukölln. Die Wahlerfolge der AfD bei der Europawahl würden ihn beunruhigen, erklärt er, auch wenn die Partei in seinem persönlichen Umfeld selbstverständlich gar nicht stattfinden würde. Doch erst vor kurzem sei er in Richtung Treptow unterwegs gewesen und von einem anderen jungen Mann “angemacht worden”, da er arabisch gesprochen habe. Früher sei das nicht passiert, da hätten höchstens ein paar alte Leute die Straßenseite gewechselt, sagt er.
Der Klimawandel beschäftigt hier in Berlin Neukölln keinen so wirklich, dafür aber die eigene soziale Situation und Perspektive.
Rassismus ist in Neukölln nach wie vor keine Seltenheit. Seine Freunde und ihn beschäftigt vor allem ein Thema: der Nahostkonflikt. Viele Kinder und Jugendliche in Neukölln haben Verwandte in Gaza und Umgebung. Mohammed empfindet es außerdem als ungerecht, dass sein Name und seine Anschrift in Neukölln ihn bei Bewerbungen benachteiligen. Wenn jemand aus Neukölln komme, habe er automatisch schlechtere Chancen auf einen Job oder eine Wohnung als jemand aus Dahlem.
Die junge Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte, kennt das Problem mit den Bewerbungen auch. Sogar manche Lehrer seien dieser Meinung, fügt Mohammed verstärkend hinzu. Der Klimawandel beschäftigt hier keinen so wirklich, dafür aber die eigene soziale Situation und Perspektive.
Die Lust am Streit
In Augsburg wiederum ist der Klimawandel ein großes Thema, dafür hat hier keiner Probleme, eine Antwort auf seine Bewerbungen zu erhalten. Maßgeblich an der Aktion am Holocaust-Gedenktag beteiligt waren die vier Schülersprecherinnen des Gymnasiums bei St. Stephan. Sie besuchen die zehnte Jahrgangsstufe und sind 16 Jahre alt. Das Schülersprecherzimmer haben sie gemütlich eingerichtet, die Wände haben sie selbst mit Graffiti besprüht. Es ist eine bunte Idylle, keine Spur von Schülerfrust. Doch die Schülersprecherinnen sagen, dass sie durchaus eine Spaltung in der jungen Generation erleben. Das Interesse an politischen Themen sei gestiegen, aber auch das Potenzial, sich darüber zu zerstreiten.
Klimaschutz, der Überfall Russlands auf die Ukraine oder der europäische Blick auf Entwicklungshilfe sind die Themen, die sie als relevant benennen. Auch Deutschlands Verhältnis zu Israel ist ihnen wichtig. Sie erleben durchaus eine steigende Präsenz der AfD, besonders in den sozialen Netzwerken. Für viele sei es außerdem eine Form der Provokation oder ein Ausdruck von Ablehnung gegenüber anderen Parteien, mit der AfD zu liebäugeln, sagt Emma. Sie besucht regelmäßig politische Aktionen und initiiert auch selber welche, wie sie erzählt. Einen generellen Rechtsruck ihrer Generation sehen die Mädchen nicht.
Als eine Person aus Emmas Bekanntenkreis ihr erzählt habe, dass sie die AfD wähle, habe sie überrascht das Gespräch gesucht. Diese Person ließe sich in die klassische Gruppe der Protestwähler einordnen, so Emmas Fazit nach der Auseinandersetzung. Gründe dafür, warum junge Leute von etablierten Parteien enttäuscht sein könnten, gebe es schließlich durchaus.
Emma erzählt weiter, dass sie am Wochenende in Berlin auf einer politischen Veranstaltung des deutschen Journalisten Tilo Jung gewesen sei. Die Themen hätten sie jedoch etwas enttäuscht, da sei irgendwie nichts Neues dabei gewesen. „AfD Verbot – ja oder nein“: Dafür habe es sich nur bedingt gelohnt, nach Berlin zu fahren. Die Argumente kannte sie alle auch schon aus Augsburg, so die Schülersprecherin Emma.
Themen kehren immer wieder
Zurück Im Klassenzimmer. Denn auch im Politik- und Gesellschaftsunterricht der Klasse 11A sind die Schüler genervt von den immer wiederkehrenden gleichen Inhalten. In dem kleinen Raum sitzen ungefähr 20 Schüler dicht beieinander. Sie tuscheln, lachen und schauen dann doch wieder pflichtbewusst nach vorne. Der Unterricht beginnt mit der Frage danach, was den Schülern in der Zukunft wichtig sei. Die Antworten sind bunt durchmischt: Gesundheit, bezahlbarer Wohnraum, die Balance zwischen Familie und Beruf, finanzielle Sicherheit, Frieden und ein stabiler demokratischer Staat.
So weit, so verständlich und unspektakulär. Als nach den größten Bedrohungen für Sicherheit und Frieden gefragt wird, ist aber allen klar, worum es jetzt gehen soll und wird. Also meldet sich eine Schülerin und meint etwas gelangweilt: “Doch bestimmt der Klimawandel.” Und ja, genau diese Antwort wurde verlangt. Darauf sollte es hinauslaufen. Die Schüler wissen schon, was angesagt ist. Es wird ein Klimarechner eingesetzt, der den Schülern veranschaulichen soll, welche Folgen der Erderwärmung sie an ihrem 65. Geburtstag erwarten. Als wenig später die Sprache auf die “Klimakleber” kommt und ein Bild eines orange angesprühten Flugzeugs gezeigt wird, macht sich Heiterkeit breit.
Das ist natürlich falsch. Robert Fuß, Direktor am Paul-Natorp-Gymnasium, kann über “Klimakleber” und die “Letzte Generation” nicht lachen. Mit ernstem Blick sitzt Fuß an dem runden Konferenztisch in seinem großen, blau gestrichenen Büro, neben ihm Jakob, der Schulsprecher des Gymnasiums. Robert Fuß sieht seine Schüler in einem Zustand der dauernden Zukunftsangst.
“Das sind die Fehltage, auf die man am Ende stolz sein kann.”
Robert Fuß, Schulleiter
“Wenn sich Leute die ‘Letzte Generation’ nennen, sagt er sichtlich bewegt, welche Generation sind dann meine Schüler?” Dabei zeigt der Schulleiter auf Jakob. Der ist 15 Jahre alt, sportlich, trägt ein grünes Poloshirt und besucht die neunte Klasse. “Es gibt schon Momente der Ohnmacht, in denen man sich fragt, wo das alles noch hinführen soll”, sagt er.
Zwischen Schule, Selbstfindung und Politik
Schulleiter Robert Fuß aber lässt keinen Zweifel daran aufkommen, wo er seine Schüler gerne hätte. Die Jugend sei zu bequem geworden, klagt er. Dass die Klimabewegung Fridays for Future an der Schule kein großes Thema gewesen sei, bedauert er. Die Schule könne die Teilnahme an solchen Veranstaltungen natürlich nicht offiziell erlauben, doch als eine Schülerin durch ihre regelmäßige Teilnahme an den Klimaprotesten wegen unentschuldigten Fehlens eine “Sechs” in Physik erhielt, habe er sie für ihren Einsatz gelobt.
“Das sind die Fehltage, auf die man am Ende stolz sein kann”, lautet das Fazit des Schulleiters. Die Eltern sahen es auch so. Jakob fügt noch fast entschuldigend hinzu, dass es zwischen Schule, Pubertät und Selbstfindung manchmal eben auch schwer sei, sich Gedanken um die ganz großen Themen zu machen.
Schulschluss in Augsburg. Die Kinder eilen aus den Klassenzimmern und dem Schulgebäude heraus. Wieder einen Tag näher an den Sommerferien. Emma ist nicht dabei. Sie wartet vor dem Büro des Direktors auf ihren Nachschreibetermin für ihre letzte große Matheprüfung vor dem Zeugnis. Wirklich wichtige Sachen eben. Ein anderes Mädchen holt sich ihr Handy, welches ihr im Unterricht abgenommen wurde, wieder im Sekretariat ab. Durch die geöffneten Fenster schallt Orchestermusik durch das Schulhaus. Die Klimakatastrophe hat jetzt erstmal kurz Sendepause.
Felix Huber studiert Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin.