18. November 2024
Sprachunterricht

Latein lebt!

Weder ist Latein tot, noch sind heutige Schulkinder grundsätzlich lernfaul. Die Römer und ihre Sprache finden viele Jugendliche noch immer so cool, dass einige von ihnen eine Ferienwoche dafür hergeben. Szenen eines Sommerkurses Latein an der Universität Zürich.

Es ist Sommer, es ist heiss und es sind Ferien. Doch statt in der Badi mit Freunden zu «chillen», sitzt eine Gruppe Jugendlicher der 1.-3. Sekundarschule in einem Seminarraum im Kollegiumsgebäude der Universität Zürich und liest Seneca und Martial. Thomas Wittmann, Assistent am Lehrstuhl für Alte Geschichte, hilft ihnen dabei und erläutert, was es mit den Texten genau auf sich hat.

Claudia Wirz, Journalistin, neu für den Condorcet-Blog arbeitend: Latein zu lernen, ist anstrengend.

Lesen bildet

Einfach sind die Texte beileibe nicht, auch wenn man sie in deutscher Übersetzung liest. Man liest Wort für Wort sehr genau und nimmt sich die Zeit, über das Gelesene nachzudenken. Was war es genau, was Seneca an den Gladiatorenkämpfen verabscheute? Die Schülerinnen und Schüler diskutieren angeregt. Es war nicht der Kampf an sich, den er ablehnte, es war der unfaire Kampf, und es war vor allem der verrohte Pöbel, der nur zum Schauspiel kam, um möglichst viel Gemetzel zu sehen. Von dieser Masse, mahnt der Philosoph und Lehrer Neros, soll man sich fernhalten.

Es ist Donnerstag, der letzte Tag des Sommerkurses Latein an der Universität Zürich für Schülerinnen und Schüler der 1.-3. Sekundarschule. Was sie vor diesem Sommerkurs über die Römer und das Latein wussten, haben sie sich hauptsächlich selber beigebracht. Als wichtigste Bezugsquelle für dieses Wissen sollten sich Asterix und Obelix herausstellen. Das ergibt eine kurze Umfrage im Seminarraum. Ungebrochen scheint der Charme der beiden Gallier. Generationen von Kindern und Jugendlichen haben sie für die römische Geschichte und Sprache begeistert. Obwohl sie gar keine Römer sind, haben Asterix und Obelix vermutlich mehr für das Latein und seine Beliebtheit getan, als manch ausgeklügeltes pädagogisches Fachbuch.

Asterix und Obelix als Lehrer

Auch Thomas Wittmann erweist den beiden Helden in seinem Lateinkurs die Ehre. Dabei stellt sich heraus, dass die Comic-Serie historisch viel

«The Gladiator» als Schmonzette enttarnt.

akkurater und verlässlicher ist als das, was Hollywood mit seinen vielen Millionen Dollars so an Römerfabeln produziert. Das lässt sich gleich am Exempel der Gladiatoren verifizieren. Schnell wird im Kurs der Film «The Gladiator» als Schmonzette enttarnt, denn die dargestellten Ausrüstungen der Kämpfer haben mehr mit Blockbuster-Kitsch als mit Geschichte zu tun. Die Gruppe weiss nach dem Lateinkurs nämlich ziemlich genau, was es mit dem Murmillo, dem Thraex, dem Retiarius, dem Hoplomachus und dem Secutor, also den fünf Typen von Gladiatoren, auf sich hat und welches die «fairen» Paarungen im Kampf waren. Im Unterschied zum Hollywoodfilm wird bei Asterix und Obelix dem historischen Anspruch Rechnung getragen.

In vier Tagen Lateinkurs hat die Gruppe nicht nur Texte gelesen. Man war auch in Vindonissa, hat ein römisches Kettenhemd anprobiert, römische Münzen und Inschriften studiert und natürlich die lateinische Sprache analysiert. Das Erbe des Lateins ist in unserer Sprache noch immer allgegenwärtig. Das belegen nicht nur Wörter wie Potenzial, auch vermeintlich einheimische Begriffe wie Käse, Estrich, Eimer oder Keller haben lateinische Vorfahren. Latein ist alles andere als tot. Und zum Verständnis der eigenen Kultur ist es nach wie vor von zentraler Bedeutung.

Das Latinum als Eintrittsbillett in ein akademisches Studium ist deshalb bedauerlicherweise tatsächlich am Absterben, was automatisch Auswirkungen auf den Lateinunterricht an den Schulen hat.

Wahre Bildung ist kein Konsumartikel

Latein richtig zu lernen, ist allerdings auch richtig anstrengend und braucht viel Zeit. Und das ist nicht im Sinne verschiedener Reformen, etwa der Bologna-Reform. Hier muss alles möglichst schnell gehen, denn für «Bologna» ist «Employability», also Arbeitsmarktfähigkeit, wichtiger als Bildung. Das Latinum als Eintrittsbillett in ein akademisches Studium ist deshalb bedauerlicherweise tatsächlich am Absterben, was automatisch Auswirkungen auf den Lateinunterricht an den Schulen hat. Damit droht nicht nur ein Kulturgut verloren zu gehen, sondern – schlimmer noch – das Konzept von Gelehrsamkeit, oder, anders gesagt, die Idee, dass wahrhafte Bildung kein Konsumartikel ist, sondern erarbeitet werden muss. Kein Wunder, versuchen sich schon heute Personen für ein universitäres Lateinstudium anzumelden, die es unerhört finden, dass man dazu ein Latinum braucht. In der Sinologie, dem Fach der Schreibenden, gab es schon vor vielen Jahren den Typus des potenziellen Sinologen, der sich nicht mit dem mühsamen Erlernen der chinesischen Sprache herumschlagen wollte.

Prof. Dr. Andreas Victor Walser | Historisches Seminar | UZH

Die künftigen Lateiner

Der Sommerkurs Latein für Jugendliche der Sekundarschule weist in die andere Richtung. Er zeigt einerseits, dass viele Schülerinnen und Schüler gerne etwas lernen wollen, was ihnen verschiedene Bildungsreformer nicht mehr zumuten wollen. Und es zeigt anderseits, dass die Repräsentanten eines «bedrohten» Faches dabei nicht tatenlos zuschauen wollen. Mit Applaus erhalten die Schülerinnen und Schüler des Sommerkurses Latein das Abschlussdiplom aus den Händen von Andreas Victor Walser, Professor für Alte Geschichte. Vielleicht ist ja der eine oder andere künftige Lateiner unter ihnen, denn in dieser Altersgruppe dürften noch einige ins Gymnasium übertreten.

Eine der Teilnehmerinnen allerdings war nur mangels Alternative am Lateinkurs. Sie interessiert sich mehr für die alten Griechen, kennt alle römischen Götter mit griechischem Namen und liebt die griechische Mythologie. Sie darf sich freuen: Am Zentrum für Altertumswissenschaften der Universität Zürich gibt es später auch Schülerkurse für Griechisch.

image_pdfAls PDF herunterladen

Verwandte Artikel

Vom verführerischen Zaubertrunk des Vielen

Wer die Politik des Schweizer Lehrerverbandes LCH verfolgt, könnte sich leicht verlieren. Sie ruft nach Einzelteilen, justiert im Partikularen und verlangt mehr Geld. Wo bleibt der pädagogische Blick aufs Ganze, fragt Condorcet-Autor Carl Bossard.

Die SP bleibt ein unverzichtbarer Partner

Nach dem Diskurs über den Projektunterricht liefern sich die beiden Condorcet-Autoren einen Disput über die Rolle der SP in der Bildungspolitik. Auslöser war der Artikel der SP-Bildungspolitikerin Miriam Locher, der von Urs Kalberer stark kritisiert wurde. Dagegen sieht Condorcet-Autor Alain Pichard innerhalb der SP durchaus auch auch positive Zeichen – und Menschen, die sich dem Mainstream widersetzen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert