21. November 2024
Verschwörungstheorien

Erfindung oder Tatsache?

Der Umgang mit Fake News stellt auch die Schule vor eine grosse Herausforderung. Insbesondere in den Fächern Deutsch und Medienkunde müsste das Problem grundsätzlich behandelt werden. Vielleicht lassen sich Jugendliche noch eher dazu gewinnen, Verschwörungsnarrativen kritisch zu begegnen, als manche eingefleischte Erwachsene. Anregungen dazu gibt David Robsons Artikel «Fake or Fact? How to recognise a conspiratory theory?» im Guardian vom 24. April 2023. Robson ist ein preisgekrönter Autor populärwissenschaftlicher Bücher über Psychologie. Hier eine Zusammenfassung des Artikels mit Zitaten:

Felix Schmutz, BL:
Zu grosses Vertrauen auf Intuition kann zu vorschnellen Schlussfolgerungen führen.

Die Pforte zur Hölle

Robson steigt ein mit dem Beispiel der Verschwörungserzählung von 2008, als ein Experiment mit dem Teilchenbeschleuniger angekündigt wurde und sich die Befürchtung breit machte, die Forscher im CERN wollten ein schwarzes Loch erzeugen, das die ganze Welt und die Menschen verschlingen werde. Obwohl die Katastrophe nicht eintrat, hielten einschlägige Kreise daran fest, dass die Satanisten des CERN die Mauern zur Hölle einreissen wollten. Ein Video zirkulierte, das angebliche Menschenopfer der Satanisten zeigen soll.

Ein Zeichen geringer Intelligenz?

Die Meinung, der Glaube an Verschwörungsgeschichten sei ein Zeichen geringer Intelligenz, ist ein Mythos. Gerade Menschen mit höherer Bildung seien besonders anfällig für Fehlinformationen, meint Robson: «Die Wahrheit ist, dass viele Verschwörungstheorien so konzipiert sind, dass sie die Vorurteile unseres Gehirns immer dann ausnützen, wenn wir uns besonders verwundbar fühlen, und dass eine hervorragende akademische Karriere wenig Schutz bietet.“(1)

Zeiten der Verunsicherung

Verschwörungserzählungen entstehen und verbreiten sich gerne in Zeiten grosser Unsicherheit: Wirtschaftskrisen, globale Pandemie, Krieg. „Diese beunruhigenden Ereignisse haben oft komplexe, schwer nachvollziehbare Ursachen und bedrohen unser Gefühl der Kontrolle über unser Leben – und so suchen wir nach Wegen, im Chaos einen Sinn zu finden.“ (2)

Zu grosses Vertrauen auf Intuition kann zu vorschnellen Schlussfolgerungen führen auf Gebieten, mit denen man weniger vertraut ist.

„Verschwörungstheorien können eine gefällige und stimmige Erzählung bieten, die dabei hilft, unsere existenziellen Ängste zu lindern, oft durch die Identifizierung von Sündenböcken, die für die Krise verantwortlich gemacht werden können. Es ist ein absurder Trost, zu glauben, dass bestimmte Personen oder Organisationen eine Katastrophe zu ihrem eigenen Vorteil geplant haben – insbesondere, wenn man das Gefühl hat, einer der wenigen zu sein, die die „Wahrheit“ kennen –, anstatt zu akzeptieren, dass oft schreckliche Ereignisse zufällig passieren können, ohne dass ein großer Vordenker dahintersteckt.“ (3)

Wer ist anfällig?

Besonders anfällig für Verschwörungstheorien sind wir, wenn wir uns an und für sich schon hilf- und machtlos fühlen. Ob wir falsche Erklärungen zu Hilfe nehmen, um die zu Grunde liegende Existenzangst zu lindern, hängt vom Denkstil ab:

 – Ich mache kaum etwas falsch, wenn ich auf mein tiefstes „Bauchgefühl“ höre, um eine Antwort zu finden.

– Ich neige dazu, mein Herz als Leitfaden für mein Handeln zu verwenden.

Oder diese Aussagen:

– Ich mag die Verantwortung, mit einer Situation umzugehen, die viel Nachdenken erfordert.

– Ich finde es befriedigend, intensiv und stundenlang gründlich nachzudenken.“ (4)

Wer den ersten beiden Aussagen zustimmt, pflegt einen eher intuitiven, wer den zweiten zustimmt, einen eher analytischen Denkstil.

Intuition ist durchaus wertvoll, besonders wenn jemand von jahrelanger Erfahrung auf einem Gebiet zehren kann. Zu grosses Vertrauen auf Intuition kann jedoch zu vorschnellen Schlussfolgerungen führen auf Gebieten, mit denen man weniger vertraut ist. Diese Neigung macht die Intuitiven empfänglicher für Verschwörungstheorien, „da sie nicht innehalten, um über die Lücken in der Argumentation oder die möglicherweise widersprüchlichen Beweise nachzudenken, die eine Theorie zum Scheitern bringen würden, und stattdessen alle Behauptungen akzeptieren, die sich „wahr“ anfühlen.“ (5)

David Robson ist ein preisgekrönter Wissenschaftsautor, der sich mit den Extremen des menschlichen Gehirns, Körpers und Verhaltens beschäftigt.

Verharren im Irrtum

Robson vergleicht die Verschwörungsnarrative mit einem Virus, das sich derart tief eingenistet hat, dass man es nicht mehr loswird. Würde man auf die sinngebende Erzählung verzichten, würden Virus und Wirt absterben, bzw. die ganze Weltsicht zusammenbrechen. Sich im Glauben an die Erzählung zu bestärken, festigt hingegen den Boden, auf dem man steht.

Niemand brauche sich zu schämen, wenn er oder sie schon einmal auf eine Verschwörungserzählung hereingefallen sei, meint Robson.

Wie abwehren?

Wie kann man sich davor schützen, auf Verschwörungstheorien hereinzufallen? Robson schlägt Folgendes vor:

  1. „Selbsterkenntnis. Angesichts der Tatsache, dass Ungewissheit die Grundlage für eine Verschwörungsmentalität ist, könnten Sie versuchen, nach proaktiven Wegen zu suchen, um mit dem Stress beunruhigender Weltereignisse umzugehen, anstatt durch soziale Medien zu scrollen, wo Sie eher auf Fehlinformationen stoßen, die Ihre Ängste schüren. Wenn Sie auf alternative Erklärungen für die Krise stoßen, achten Sie auf allzu vereinfachende Geschichten, die einem bequemen Sündenbock die Schuld zuschieben, und versuchen Sie, die Logik ihrer Behauptungen und die Grundlage ihrer Beweise zu hinterfragen.“ (6)
  2. „Wurden die Fotos und Videos aus dem Zusammenhang gerissen? Oder könnten sie gefälscht oder mit Photoshop bearbeitet worden sein?“ (7)
  3. „Sind die Referenzen der Experten so beeindruckend, wie sie behaupten, und verfügen sie über nachgewiesene Kenntnisse auf dem betreffenden Gebiet? Und zitieren sie Umfragen oder Berichte, die von einer glaubwürdigen akademischen Organisation erstellt wurden? Die Händler von Verschwörungstheorien beschönigen ihre Behauptungen oft mit einem Anstrich von Autorität, indem sie falsche Experten und erfundene Institutionen einsetzen.“ (8)
  4. „Sie könnten sich auch genau ansehen, wie Menschen auf Kritik an ihren Theorien reagieren. Beschäftigen sie sich direkt mit dem betreffenden Punkt? Oder greifen sie auf menschengerichtete Angriffe und Ablenkungsmanöver zurück, die die Aufmerksamkeit von der Schwachstelle ihrer Argumentation ablenken? Und beanspruchen sie einen Sonderstatus für ihre Rechtfertigung – indem sie zum Beispiel argumentieren, dass das bloße Fehlen von Beweisen selbst ein Beweis für eine Vertuschung sei? Dieses Argument erklärt praktischerweise den Mangel an objektiven Fakten, was bedeutet, dass es buchstäblich zur Stützung jeder absurden Behauptung herangezogen werden kann.“ (9)
  5. “Über manche Ereignisse der Gegenwart oder der Vergangenheit gibt es keine abschliessend sinnhafte Erklärung. Ein Stück weit muss man lernen damit zu leben, dass Ungewissheiten als Rätsel stehen bleiben und dafür keine eindeutige Lösung gefunden werden kann. Verschwörungsnarrative führen dabei ins Abseits. „Glücklicherweise stehen viele Ressourcen zur Verfügung, welche die wichtigsten logischen Trugschlüsse und die Möglichkeiten, wie man sie identifizieren kann, detailliert beschreiben.“ (10)

Irren ist menschlich

Niemand brauche sich zu schämen, wenn er oder sie schon einmal auf eine Verschwörungserzählung hereingefallen sei, meint Robson. Menschen seien nun einmal anfällig für Fehlinformationen. Allerdings lasse sich Kritisches Denken so weit üben, dass sich das Instrumentarium zum Erkennen von Schwachsinn lebenslang ausbauen lasse. Damit wäre man auch gegen die Behauptung gewappnet, der grosse Teilchenbeschleuniger des CERN sei der Weg zur Hölle.

 

Zitate im Original

1 The truth is that many conspiracy theories are designed to play on our brain’s biases when we are feeling particularly vulnerable, and a stellar academic record provides little protection.

2 These unsettling events often have complex causes that are hard to comprehend and they threaten our feelings of control over our lives – and so we look for ways to find sense in the chaos.

3 Conspiracy theories can offer a neat-and-tidy narrative that helps to settle our existential angst, often through the identification of scapegoats that can be blamed for the crisis. There is an absurd comfort in believing that specific people or organisations have planned a disaster for their own profit – particularly if you feel that you are one of the few who know the “truth” – rather than accepting that, often, terrible events can happen at random without some grand mastermind behind them.

4 I hardly ever go wrong when I listen to my deepest “gut” feelings to find an answer.

I tend to use my heart as a guide for my actions.

Or these statements:

I like the responsibility of handling a situation that requires a lot of thinking.

I find satisfaction in deliberating hard and for long hours.

5 since they don’t stop to think of the holes in the argument or the potentially contradictory evidence that would cause it to crumble, and instead accept any claims that feel “truthy”.

6 self-awareness. Given that uncertainty primes a conspiracy mindset, you might try to look for proactive ways to cope with the stress of unsettling world events, rather than doomscrolling through social media, where you are more likely to find misinformation that feeds your anxiety. If you do come across alternative explanations for the crisis, watch out for overly simplistic stories that pin the blame on a convenient scapegoat, and try to scrutinise the logic of their claims and the basis of their evidence.

7 Have the photos and videos been taken out of context? Or might they have been faked or Photoshopped?

8 Are the experts’ credentials as impressive as they claim, and do they have proven knowledge in the relevant field? And do they cite surveys or reports created by a credible academic organisation? The peddlers of conspiracy theories often varnish their claims with a veneer of authority by using false experts and made-up institutions.

9 You might also look closely at the way that people respond to criticisms of their theories. Do they engage directly with the point in question? Or do they resort to ad hominem attacks and red herrings that draw attention from the weak spot in their argument? And do they call on “special pleading” – arguing, for instance, that the very absence of evidence is itself proof of a cover-up? This argument conveniently explains away a lack of objective facts, meaning that it can be used to support literally any absurd claim.

10 Fortunately, there are plenty of available resources that detail the most important logical fallacies and the ways to identify them.

 

 

 

Felix Schmutz, 29.05.23

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6 Kommentare

  1. Unbestrittenerweise gibt es Verschwörungstheorien.
    Der Begriff “Verschwörungstheorie” wurde in den letzten Jahren aber immer exzessiver genutzt, um unbequeme Wahrheiten von sich zu weisen. Gerade die staatstreue, Mainstream-Mediengläubige Linke hat sich damit hervorgetan.
    In Covidzeiten wurde von dieser Seite jede impfkritische Haltung als Verschwörungstheorie-infisziert abgetan. Spätestens seit den Aussagen der Pfizer-Chefmanagerin Janine Small vor dem EU-Ausschuss wissen wir aber, dass diese sogenannte Impfung NIE dazu ausgelegt war, eine Ansteckung zu verhindern. Zudem gab Small zu, dass man seit 2014 über die Gefahren der experimentellen Konstitution dieser Art von Medikamenten Bescheid wusste. Trotzdem wurde das Covid-Zertifikat eingeführt und BR Alain Berset wurde nicht müde, dessen Vorteile anzupreisen, so dass zertifiziert Geimpfte weiterhin Zugang hatten zum Sozialleben und dies auch mit reduziertem Schutz, während Ungeimpfte aussen vor blieben und für den weiteren Verlauf der Pandemie gar verantwortlich gemacht wurden. In Deutschland liessen sich Politiker sogar zur Aussage hinreissen, man solle die Ungeimpften in ihre Löcher zurückprügeln…
    Dazu kommen Impfschäden, die bis heute als Verschwörungstheorie abgetan werden, obwohl medizinisch schon längst klar ist, dass dem nicht so ist.
    Die Frage sei erlaubt: Welche Seite also hat nun Verschwörungstheorien verbreitet?
    Tja Herr Stark – m. E. kein so starkes Stück, ihr Elaborat.
    Sogenannte Verschwörungstheorien können sich urplötzlich als Wahrheit herausstellen. Was dann?

      1. Herr Vuilliomenet, da habe ich wohl bei Ihnen in ein Wespennest gestochen! Es fehlt nur wenig zu einer Pandemie-Verschwörungserzählung. Hier ein Versuch, Ihre Bedenken zu versachlichen :
        Sie verwechseln mindestens zwei Bereiche.
        1. Wissenschaft. Die Wissenschaft stand Anfang 2020 vor einer grossen Ungewissheit. Das Virus war zwar schnell sequenziert, der Weg von China zu den weltweiten Verbreitungsgebieten dadurch rasch offensichtlich. Die Wirkungs- und Ansteckungsweise des Virus klärte sich erst im Laufe des Jahres. Mein Hausarzt sagte im April 2020: «Wir lernen jeden Tag dazu.» Eines war unbestritten: Die Menschen steckten sich zu Hunderttausenden an, in Norditalien starben Hunderte in wenigen Tagen, Hochzeitsgäste steckten sich nach wenigen Stunden Zusammensein schweizweit an, entsprechend mutierte das Virus oft, neue Varianten entstanden laufend. Fieberhaft arbeiteten Forscher aller Institute und Firmen (nicht nur Pfizer) an Impfstoffen. Trotz der Entstehung von Varianten wirkten die verschiedenen Impfstoffe, die in Rekordzeit entwickelt worden waren, überraschend gut, die Ansteckungen gingen merklich zurück und retteten Leben.

        2. Politik. Die ungemütliche Aufgabe der Politik lautete: Schutz der Bevölkerung. Da die Seuche neu war, die Forschung ständig neue Erkenntnisse hervorbrachte und frühere umstiess, war es für die Verantwortungsträger nicht einfach, die richtigen Massnahmen zu treffen. Es war «Learning by doing.» In der Rückschau gab es Fehler, zu spätes Eingreifen, vielleicht übertriebene Vorsicht, sogar hässlichen Betrug. Auch handelten die Länder unterschiedlich. Dass sich die Schweiz, die stark mit den umliegenden Ländern interagiert, punkto Zertifikate, Impfvorschriften, etc. anpassen musste, ist nachvollziehbar. Die Verantwortlichen waren angesichts der ständig wechselnden Bedingungen nicht zu beneiden. Aber sie handelten in der Überzeugung, die Bevölkerung zu schützen.

        Aus Ihren Zeilen spricht die von David Robson angesprochene Verunsicherung. Sie suchen nach Anzeichen, ob da nicht doch ein Plan hinter der ganzen Covid-Übung steckte, um die Bürger ihrer Freiheit zu berauben. Vielleicht eine Machenschaft des Pharmaunternehmens Pfizer, dessen Vertreterin Sie zitieren. Sie suchen nach der verborgenen Wahrheit, nach einem Sinn der ganzen Sache, nach einer Rechtfertigung für die Zweifel am Impfen. Das alles sind die Zutaten einer zusammenhängenden Erzählung, eben einer Verschwörungstheorie. Dass Sie mich im Eifer des Gefechts mit Roland Stark verwechselten, nehme ich Ihnen nicht übel. Und das Elaborat stammt auch nicht von mir, sondern von David Robson. Überzeugen Sie sich selbst!

  2. Ja, Herr Schmutz – da haben Sie wirklich in ein Wespennest gestochen und das m. E. zweimal eher ungeschickt.
    Nein – ich verwechsle gar nichts. Dass Sie mich in Ihrer Antwort an mich eigentlich de facto als Verschwörungstheoretiker bezeichnen, macht die Sache nicht besser.
    Lassen Sie mich eins klar stellen: Auch Sie haben in medizinischer Hinsicht wahrscheinlich nicht die geringste Ahnung in Bezug auf die Hintergründe der sog. Covid-Impfung. Tatsache aber ist, dass nahmhafte Experten mit wirklich medizinischem Wissen deren Nutzen nicht nur zunehmend anzweifeln, sondern deren Wirkung geradezu als gefährlich ansehen. Unterstützt wird deren Sichtweise inzwischen durch die Eingeständnisse der Pfizer-Managerin Janine Small vor dem EU-Ausschuss. Die Anzahl diesbezüglich kritischer Denkender wird aufgrund falsifizierter Ereignisse i. S. Impfnebenwirkungen immer grösser.
    Politisch halte ich Ihre Sichtweise für links-staats- und medientreu und in diesem Sinne für gefährlich naiv. Sogar nachdem z. B. seitens Ringier (Marc Walder) zugegeben wurde, dass bewusst regierungstreu berichtet worden ist und klar wurde, dass die staatlichen Infos auf geheimen Wegen an die entsprechenden Redaktionen gelangt waren, stellen Sie den politischen und medialen Instanzen quasi einen Blankocheck aus. Unglaublich!
    Aber der Inhalt des Artikels hatte ja das Entdecken von Fakenews zum Inhalt und dies in Zeiten von KI, wie z. B. ChatGPT. Wenn also selbst ausgewiesenen Experten, die sich z. B. kritisch zu den Covidimpfungen stellen, das Verbreiten von Verschwörungstheorien unterstellt wird – namentlich seitens Personen wie Sie, ohne fachliche Kompetenz auf diesem Gebiet – wie um Gottes Willen sollen denn Schülerinnen und Schüler mit Malen und Basteln solche schwerwiegende Unterscheidungen vornehmen können?

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