Die neue KV-Lehre bewegt die Gemüter, führt zu engagierten Diskussionen und pointierten Statements. Manches, was in den letzten Wochen und Monaten zu hören und lesen war, regt an und befruchtet den Prozess. Andere Statements taten dies weniger (oder waren auch schlichtweg falsch). Ein Plädoyer für die neue Ausbildung von jungen Kaufleuten.
Wandel in der Arbeitswelt, Wandel in der Berufsbildung
Die Ausbildung zur Kauffrau, zum Kaufmann ist die meistgewählte Lehre in der Schweiz. Sie wurde 2012 ein letztes Mal sanft reformiert, die letzte grössere Reform fand 2003 statt. Genau 20 Jahre später soll nun die neue Ausbildung starten – in der sich rasch wandelnden Arbeitswelt, in der wir uns bewegen, eine halbe Ewigkeit. Dies mag noch einmal verdeutlichen, weshalb insbesondere auch vonseiten der Sozialpartner und der Wirtschaft, darunter der Arbeitgeberverband, der Gewerbeverband und der Kaufmännische Verband, der starke Wunsch nach einer umfassenden und zukunftsorientierten Reform kam. Die nationale Anhörung, welche durch den Bund durchgeführt wurde, zeigte, dass die grosse Mehrheit der beteiligten Ausbildungsbranchen, Betriebe, Schulen und Verbände die Reform unterstützt. Das ging, bei allem Verständnis für die teils lautstark geäusserte Kritik, in den letzten Monaten leider etwas unter.
Diesem Prozess eine “Entwicklung in der Dunkelkammer” zu unterstellen, ist schlicht falsch
Ausgehend von einer vertieften Berufsfeldanalyse wurde seit 2018 an der neuen Ausbildung gearbeitet – in verschiedenen Gremien und Arbeitsgruppen, in denen engagierte Vertreter:innen aller Bildungspartner (Branchen bzw. Arbeitgeber, Bund, Kantone, Schulen, Verbände) beteiligt waren. Diesem Prozess eine “Entwicklung in der Dunkelkammer” zu unterstellen, ist schlicht falsch und wird der nach allen Regeln der Kunst und den Vorgaben des Bundes durchgeführten Berufsentwicklung nicht gerecht.
Dass dadurch Fachwissen unwichtig werde, ist meines Erachtens ein Missverständnis: Denn Fachwissen bildet die Basis, und ohne “Wissen” wird es auch mit dem “Können” schwierig.
Handlungskompetente und wissbegierige Lernende
Mit der Handlungskompetenzorientierung hält in der KV-Lehre neu ein Grundsatz Einzug, der in über 200 anderen Berufen bereits Alltag ist – und auch dort viele erfolgreiche, praxiserprobte Berufsleute hervorgebracht hat. Wissen und Know-How soll, wo immer möglich, mit Bezug auf den Arbeitsalltag und die konkreten Tätigkeiten der Lernenden vermittelt werden. Dies verändert insbesondere den Unterricht in der Berufsfachschule – die klassische Fächerstruktur wird durchbrochen, an ihre Stelle treten Handlungskompetenzbereiche wie «Einsetzen von Technologien der digitalen Arbeitswelt» oder «Gestalten von Kunden- und Lieferantenbeziehungen». Dieser Paradigmenwechsel passt ausgezeichnet zur Berufsbildung, deren Praxisnähe regelmässig und zurecht gepriesen wird. Dass dadurch Fachwissen unwichtig werde, ist meines Erachtens ein Missverständnis: Denn Fachwissen bildet die Basis, und ohne “Wissen” wird es auch mit dem “Können” schwierig. Der Prozess, die Herangehensweise ist folglich eine andere – betriebswirtschaftliches, volkswirtschaftliches, rechtliches oder sprachliches Wissen findet aber dennoch ihren Platz in der Ausbildung, wie heute.
Die grossen Diskussionspunkte sind geklärt, die Umsetzung ist zentral
Die Rückmeldungen in der nationalen Anhörung und die damit verbundenen Diskussionen blieben nicht ungehört: Ein neues Fremdsprachenkonzept sichert, dass alle Lernenden zwei Fremdsprachen erlernen – je nach Wahlpflichtbereich mit unterschiedlicher Ausrichtung und Anforderung, so dass auch weiterhin Lernende mit unterschiedlichen Stärken die KV-Lehre absolvieren können. Die Verschiebung des Einführungszeitpunkts um ein Jahr auf 2023 sichert allen Beteiligten die nötige Planungssicherheit und Vorbereitungszeit. Und die lehrbegleitende Berufsmaturität, die entgegen anderslautenden Befürchtungen nie zur Disposition stand, ist durch ein eigenes Konzept auch in der neuen Ausbildung gesichert.
Die grossen inhaltlichen Diskussionspunkte konnten somit bis zu den Sommerferien verbundpartnerschaftlich geklärt werden. In der Folge hat das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation am 16. August 2021 die rechtlichen Grundlagendokumente für die neue Ausbildung, die Bildungsverordnung und den Bildungsplan, erlassen. Damit ist klar: Die neue KV-Lehre startet 2023, der Rahmen ist abgesteckt. Nun bleiben zwei Jahre für die so wichtige Umsetzung im Lehrbetrieb, der Branche und in der Berufsfachschule. Ich hoffe sehr, dass in diesen zwei Jahren die vielen Debatten der letzten Monate wieder etwas in den Hintergrund treten und wir die Ausbildung nun an allen drei Lernorten voller positiver Energie weiter konkretisieren können. Das grosse Engagement unseres Berufsfeldes und die bereits jetzt laufenden Arbeiten von Branchenverantwortlichen, Berufsbildnerinnen, Schulentwicklern und Lehrpersonen stimmen mich dabei äusserst zuversichtlich.
Michael Kraft ist Leiter Bildung beim Kaufmännischen Verband Schweiz, Präsident der Interessengemeinschaft Kaufmännische Grundbildung (IGKG) Schweiz und in dieser Funktion Vorstandsmitglied der Schweizerischen Konferenz der Kaufmännischen Ausbildungs- und Prüfungsbranchen (SKKAB).
Ich scheine es mit den Augen zu haben:Lauter Behauptungen, kein einziges Argument. Aber immerhin habe ich gelernt, dass “unerhört” in der Schweiz was anderes bedeutet als in Deutschland.
Der Text wirkt wie eine Flasche Baldrian, zeigt aber auch, dass man – wie beim umstrittenen Lehrplan 21 – partout oder «passe-partout»-mässig an der Kompetenzorientierung festhalten will. Wenn alles angeblich beim Alten bleibt, wieso braucht es dann einen Paradigmenwechsel? In welchem Interesse müssen wir eigentlich nach der Pfeife der OECD tanzen und seit 2012 sich ständig verschlechternde Pisa-Resultate und einen Abbau der Schulqualität entgegennehmen? Wo bleiben unsere direktdemokratische Mitbestimmung und Aufsicht? Werden wir, wie bei der KV-Reform 2003, wieder Tausende von Lehrstellen verlieren, weil die Lehrbetriebe die fehlende Allgemeinbildung nicht auch noch übernehmen können?