22. März 2023

Zum Schulanfang: 20 Katastrophen, die ich als Schüler überlebt habe!

Unser frischgebackene Condorcet-Rentner, Alain Pichard, rät in einem Brief zum Schulbeginn den Eltern zu mehr Gelassenheit. Er legt aber Wert darauf, dass Sie, liebe Leserinnen und Leser wissen, wie froh er ist, dass die Prügelstrafen der heutigen Schülergeneration erspart bleiben.

Alain Pichard, frisch pensionierter Lehrer, Mitglied der Condorcet-Redaktion.
Bild: fabü

Liebe Eltern schulpflichtiger Kinder,

Wenn Sie diesen Beitrag lesen, werden die Schulen wieder begonnen haben. Ich selber bin dabei nicht mehr als Lehrer mit von der Partie, hingegen steht mir der Kindergarteneintritt meines Grosskinds bevor. Somit ist auch für mich das Thema Schule noch nicht ganz abgeschlossen. Nach den Kapiteln «Schüler», «Lehrer» und «Vater» steht mir nun der letzte «schulische Teilauftrag» bevor, der des Grossvaters. Um präzise zu bleiben, habe ich bereits vor einigen Jahren mit einem Grosskind für die Schule gearbeitet. Sie kam übers Wochenende aus Zürich angereist und büffelte bei uns Mathematik, um ins Gymnasium zu gelangen. Diese und andere Episoden haben mir natürlich bewusstgemacht, dass dem Schulerfolg des eigenen Kindes und dem späteren beruflichen Vorwärtskommen grössere Aufmerksamkeit geschenkt wird als zu jener Zeit, in der ich noch in die Schule ging. Damit eine nicht allzu sorgenvolle Zeit für Sie anbricht, möchte ich Sie zu Beginn dieses Schuljahres auf einige heute empfundenen Katastrophen hinweisen, die ich als Schüler überlebt habe. Es soll Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, bei all den kommenden Problemen zu mehr Gelassenheit verhelfen.

Damit eine nicht allzu sorgenvolle Zeit für sie anbricht, möchte ich Sie zu Beginn dieses Schuljahres auf einige heute empfundenen Katastrophen hinweisen, die ich als Schüler überlebt habe. Es soll Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, bei all den kommenden Problemen zu mehr Gelassenheit verhelfen.

  1. Velotouren ohne Velohelm
  2. Masern, Röteln, Scharlach ohne Impfung
  3. OL in einem Zeckengebiet ohne Warnbrief und Kleidervorschriften.
  4. Eine Zeugnisnote „3“ im Fach Mathematik ohne Diskalkuliediagnose und Förderplan
  5. Den tödlichen Herzinfarkts meines Klassenlehrers auf einer Schulreise ohne psychologische Nachbetreuung.
  6. Ein nicht gelerntes Diktat mit 30 Fehlern und einer „1“ ohne späteren Nachteilsausgleich und Spezialförderung.
  7. Die Aufsatzkorrekturen des Herrn Dr. Wehrle mit dem Kommentar: „Es war eine Zumutung so etwas zu korrigieren“ ohne Verlust des eigenen Selbstwertgefühls.
  8. Schwimmen im Rhein ohne einen Betreuer mit Lebensretterbrevet.
  9. Den Alkoholausschank am St.Johanns-Fest als 12-jähriger ohne polizeiliche Nachuntersuchungen.
  10. Den Physikunterricht des Dr. Würgers, des strengstens Lehrers des letzten Jahrhunderts, ohne Erschöpfungssyndrom.
  11. Das Auswendiglernen des Gedichts  “Die Bürgschaft” von Friedrich Schiller ohne Überlastungssyndrom.
  12. Den Kinnhaken meines Klassenlehrers Rigling in der 4. Klasse ohne nachfolgende Anzeige meiner Eltern. Er hatte sich vorher brieflich entschuldigt und die zerbrochene Brille bezahlt!
  13. Einen Boxkampf während einer Museumsführung in Augusta Raurica mit meinem Erzfeind Karl Kuske ohne nachherigen Gang zum Schulpsychologen.
  14. Der Verrat meines Schulschätzchens Kathrin, die sich besagtem Karl Kuske anschloss, ohne dass Mobbingvorwürfe erhoben wurden.
  15. Eine Freizeitgestaltung ohne Jugendarbeit.
  16. Den Unterricht in einem Klassenzimmer mit 32 SchülerInnen ohne Speziallehrkraft.
  17. Mindestens zehn Schuljahre ohne Schulreform
  18. Den Rauswurf aus dem Gymnasium wegen zu vieler Absenzen, ohne dass meine Eltern Rekurs einlegten.
  19. Ein halbes Jahr Arbeit im Schlachthof Basel plus Einstellung aller Zahlungen, zu dem mich mein Vater nach dem Rauswurf aus dem Gymnasium verdonnert hat, ohne anschliessendes Burnout
  20. Ein Leben ohne Matur ohne gravierende Spätfolgen

Ich hatte übrigens eine ziemlich schöne Schulzeit.

Dieser Artikel ist in einer gekürzten Version zuerst im Nebelspalter erschienen.

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Ein Bild – und wenig dahinter

Unser Redaktor Alain Pichard ist nicht zu beneiden. Da lädt (und bezahlt) er ein Bild von AdobeStock, einer Bezahlgalerie, herunter, in der Meinung, es handle sich um eine treffende Illustrierung zum folgenden Artikel (Sorgenkind Mathematik, 18.3.20). Und dann muss er die Häme eines Mathematikers über sich ergehen lassen, der sich mit der auf dem Bild abgebildeten Rechnung genauer auseinandersetzt.

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