21. Dezember 2024

Pädagogisch wirken durch Zusammen-Wirken

Lehrerinnen und Lehrer, die vom Miteinander überzeugt sind und in Grundprinzipien überein-stimmen, erreichen bei ihren Schülern bessere Lernerfolge. Entscheidend ist die Schulleitung. Das zeigt die Forschung, schreibt Condorcet-Autor Carl Bossard.

Carl Bossard: Warum gibt es Schule?

Das Ganze geht gerne aus dem Blickfeld verloren – auch in der Bildungspolitik. Häufig dominieren die Details; die Teile tanzen voran. Komplexe Zusammenhänge erkennen und verstehen fällt dann schwer. Ungewohnte Zugänge können helfen – wie beispielsweise der Rat des schrulligen Lehrers Bömmel im Film „Die Feuerzangenbowle“. „Da stellen wir uns mal ganz dumm!“, fordert er seine Schüler im Film „Die Feuerzangenbowle“ auf. Beginnen wir also mit der ganz banalen Frage: „Warum gibt es Schulen?“ Es hat sie nicht immer gegeben – und möglicherweise wird es sie auch nicht immer geben. Auf der Suche nach ihrem Sinn könnten wir zudem systemisch nachbohren: „Wie heisst die Frage, auf die Schulen die Antwort sind?“

 

Das Eigentliche und Wesentliche nicht vergessen

Wir alle kennen sie, und sie tönt trivial: Schule und Unterricht sollen Kindern und Jugendlichen wirksames individuelles und soziales Lernen ermöglichen. Noch knapper formulierte es Remo Largo, der vor Kurzem verstorbene Kinderarzt: „Schule ist für Kinder da.“[i] Doch was so basal ist, muss stets aufs Neue betont sein.

Und wer die unzähligen kurzatmigen Innovationen der vergangenen Jahre betrachtet, ist nicht überzeugt, ob der Reformfokus wirklich konsequent auf dem Grundauftrag der Schule gelegen hat.

 

Lehren ist personales Wirken

Das Eigentliche und Wesentliche geht bei den vielen aktuellen Ansprüchen und Anliegen an die Schule leicht vergessen. Oft beschleicht einen der Eindruck, die Schule sei nur bedingt eine pädagogische Institution – zu viele gesellschaftliche Kräfte spielen hinein; sie sind dem Kern des pädagogischen Wirkens nicht unbedingt förderlich. Und wer die unzähligen kurzatmigen Innovationen der vergangenen Jahre betrachtet, ist nicht überzeugt, ob der Reformfokus wirklich konsequent auf dem Grundauftrag der Schule gelegen hat. Darum muss das Schlüsselanliegen, der Lernfortschritt der Kinder, wie eine Statue im wandernden Wüstensand stets aufs Neue freigeschaufelt werden. Daran hat der Nobelpreisträger Albert Einstein in einer zeitlosen Rede erinnert: Die Wahrheiten und Erkenntnisse über die gute Schule müssten immer wieder ausgegraben und an die Oberfläche befördert werden.

Verbinden, um zu stärken

Unnötigen Sand im Getriebe wegweisen und als Wegweiser hin zum pädagogischen Grundauftrag agieren, das ist die Kardinalaufgabe der Schulleitung. Der Weg führt über die Lehrerinnen und Lehrer – über ihr pädagogisches Engagement und ihre Grundhaltungen. Die Verantwortlichen müssen die individuellen Wirkkräfte wie ein Brennglas auf das Lernen der Kinder bündeln und die Einzelteile mit dem Ganzen verknüpfen.

Ein Schulkollegium ist deshalb so stark, wie es sich gegenseitig stärken kann. Der Schulleitung kommt dabei eine eminent wichtige Funktion zu.

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Verbinden, um zu stärken, darum geht es[ii] – in den Einzelteilen das Bewusstsein der wechselseitigen Abhängigkeit und der gemeinsamen Wirkkraft wecken. Im Wissen: Sinn kommt aus dem Ganzen, Handeln ist in den Teilen. Doch das Handeln in den Teilen wirkt wieder auf das Ganze zurück – und dann das Ganze wieder auf die Teile, analog zum hermeneutischen Zirkel. Ein Schulkollegium ist deshalb so stark, wie es sich gegenseitig stärken kann. Der Schulleitung kommt dabei eine eminent wichtige Funktion zu.

Vom Geheimnis kollektiver Wirksamkeitserwartung

Die Unterrichtsforschung macht es deutlich: Das Geheimnis des Unterrichtserfolges und der Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler liegt nicht primär im Organisatorisch-Strukturellen, sondern in der Art und Weise, wie das Kollegium über Schule denkt: Das Denken bestimmt das Sein. In der Bildungswissenschaft wird von kollektiver Wirksamkeitserwartung gesprochen, von der „Collective efficacy of teachers”.[iii]

Gelingt es einer Schule, eine gemeinsame Vision von Bildung zu entwickeln und Prinzipien herauszuarbeiten, Kriterien für Unterrichtsqualität zu bestimmen und sie als Richtschnur des alltäglichen Handelns ins Klassenzimmer zu übertragen, dann kann sie vieles bewirken.[iv] Dabei steht im Zentrum dieses Denkens nicht etwa die Frage: Haben wir genügend digitale Flipcharts und ausreichend Tablets? Sondern die elementare Frage schlechthin: Was ist uns für die Kinder und Jugendlichen pädagogisch gemeinsam wichtig? Wie können wir sie am konsequentesten fördern und miteinander optimal wirken?

Wirkung entsteht aus Zusammen-Wirken

Lehren ist personales Wirken, Unterrichten nicht primär ein technisches Problem, sondern eine menschliche Aufgabe. „Teacher, know thy impact!“ – „Wisse, was du bewirken kannst!“ Auf diese einprägsame Kurzformel bringt darum der angesehene Bildungsforscher John Hattie die Kernbotschaft seiner grossen empirischen Unterrichtsstudie.[v] Lehrerinnen und Lehrer müssen um ihren „impact“ wissen.

Zentrale Funktion

Und dazu zählen beispielsweise alle Einflussgrössen, in denen sich die humane Ebene des Unterrichts widerspiegelt – das Emotionale und Beziehungshafte, das Dialogische und Ermutigende. Sie erzielen auf die Lernleistung der Schüler eine überdurchschnittliche Wirkung. Und wenn eine Schulleitung die individuellen Kräfte synergetisch verbinden kann, entsteht im Team eben diese gemeinsam getragene Wirksamkeitserwartung.[vi] Nichts ist überzeugender als die Einsicht: „Wir brauchen einander.“ Miteinander bewirken wir mehr. Dafür müssen wir aber in zentralen Zielen übereinstimmen und gemeinsame Grundwerte wie beispielsweise die Feedbackkultur und Fehlertoleranz teilen.

Gemeinsam die Lernerfolge der Schüler verstärken

Sich dumm stellen, um klar zu sehen, lautet Lehrer Bömmels Rat. Er führt vielleicht zur Frage, auf die Schulen eine Antwort sind, und damit zum grundlegenden Auftrag einer Schulleitung: über gemeinsame Prinzipien im Team die Lernfortschritte der Schülerinnen und Schüler verstärken. Die Forschung spricht von „Collective teacher efficacy”. Sie hat einen ausserordentlich hohen Wirkwert.

 

[i] Bettina Musall, Auf dem Schulweg, in: Spiegel Special 7/2008, S. 68.

[ii] Vgl. Reinhard K. Sprenger (2012), Radikal führen, Frankfurt/New York: Campus Verlag, S. 54.

[iii] Wolfgang Beywl & Klaus Zierer (2018), 10 Jahre „Visible Learning“ – 10 Jahre „Lernen sichtbar machen“, in: Pädagogik 9 (70), S. 37.

[iv] Klaus Zierer (2021), Unheilsbringer, in: Süddeutsche Zeitung, 09.01.2021, S. 5.

[v] John Hattie (2012), Visible Learning for Teachers. London, New York: Routledge, S. IX.

[vi] Vgl. Wolfgang Beywl (2019), Vom Miteinander überzeugte Lehrpersonen steigern die Lernerfolge. Kollektive Wirksamkeitserwartung als Angelpunkt der Schulentwicklung, in: Journal für Schulentwicklung, Jg. 23, Nr. 1, S. 50.

 

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Ein Kommentar

  1. Der Satz: “… wenn eine Schulleitung die individuellen Kräfte synergetisch verbinden kann, entsteht im Team eben diese gemeinsam getragene Wirksamkeitserwartung” hinterlässt ambivalente Gefühle bei mir. Im Optimalfall bildet sich aus einem Kollegium “bottom up” eine gemeinsame Stossrichtung, ein gemeinsames Ziel. Wenn die Schulleitung diese gemeinschaftliche Einstellung mit Überlegenheit respektiert und unterstützt, treffen die obigen Aussagen zu. Gefährlich wird es, wenn das Wort “Vision” ins Spiel kommt. Das riecht einerseits nach “Corporate Identity” und anderseits nach Gesinnungsvereinnahmung, nämlich dann, wenn Schulleitungen mit einem Sendungsbewusstsein antreten, um die Persönlichkeit der Lehrpersonen nach einer bestimmten Ideologie umzumodeln. Die Folge: Exorzismus der vermeintlich falschen Methoden, Propagierung irgendeines Modetrends mit möglichst esoterischem Charakter, endlose Konferenzen und Tagungen zur Gehirnwäsche, getarnt als Weiterbildung. Alles, um “in” zu sein und in den Medien als Vorzeigeschule zu glänzen. Allzu oft hat der Schreibende genau das erlebt und den Lernerfolg seiner Klassen nur durch “heimlichen Ungehorsam” einigermassen wahren können.

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