Zufällig bin ich im Internet auf diesen Text gestossen, in dem eine Absolventin des koreanischen Schulsystems ihre Eindrücke schildert.
Hier der Schlussteil des Gesprächs:
Was möchtest du abschließend zu dem Themen Schulen und Schulsystem in Korea sagen?
Ich habe als Jugendliche unter dem Schulsystem in Südkorea gelitten: ich erinnere mich an schlaflose Nächte, hohen Konkurrenzdruck und stundenlanges Lernen. Und ich denke, dass das koreanische Schulsystem dafür sorgt, dass vielen Kinder und Jugendliche in Südkorea die Möglichkeit genommen wird, Neugierde, Motivation und Fähigkeiten zu entwickeln – den jungen Leuten werden durch das Schulsystem in Südkorea also viele Chancen genommen.
Jungen Leuten, die an dem System scheitern, wird schon früh der Stempel des Versagens aufgedrückt.
Um die koreanische Gesellschaft zu verbessern, benötigen wir mehr kreative Leute und Querdenker, aber das koreanische Bildungssystem verhindert ein Andersdenken. Jungen Leuten, die an dem System scheitern, wird schon früh der Stempel des Versagens aufgedrückt – es ist ungerecht, dass diesen Schülern keine Chance gegeben wird und keine Alternativen Möglichkeiten zur Bildung aufgezeigt werden.
Ich hoffe, dass es in Korea endlich zu Diskussionen über das Schulsystem kommt und etwas geändert wird. Langfristig muss es den Schülern in Südkorea besser gehen, nur dann kann sich auch die koreanische Gesellschaft insgesamt verbessern.
Professor Reichenbach sagte im Interview mit Condorcet: „Ich empfand an vielen Orten eine positive Stimmung, eine pädagogische Zuversicht, die nichts mit Institutionen und Bildungsstrukturen zu tun hat, sondern mit den konkreten Menschen“.
Diese Aussage von Prof. Reichenbach widerspricht vollständig den Aussagen der jungen Koreanerin, die eingangs zitiert wurde. Das vollständige Interview lesen Sie hier:
Das Koreanische Schulsystem – eine Südkoreanerin erzählt (chingufreunde.com)
Es besteht offenbar eine gewisse Übereinstimmung zwischen dem koreanischen und dem schweizerischen Schulsystem: Beide Systeme hinterlassen bei den Lernenden Spuren. Beide Systeme können Lernende versehren. Beide Systeme vermissen eine sorgfältige Erhebung der Nachhaltigkeit, der mehrjährigen Prägungen, gemessen am gesetzlichen Auftrag: Die Lernenden ernst nehmen: für Korea und die Schweiz eine grosse Herausforderung, eine derzeit offensichtlich noch zu grosse.
Hans Joss
Das Bildungssystem der Koreaner ist vergleichsweise integrativ: Der soziale Hintergrund der Eltern spielt eine geringere Rolle verglichen mit dem OECD-Durchschnitt. Tatsächlich war noch nach dem Koreakrieg (1950-53) der Großteil der Bevölkerung analphabetisch. Heute gibt es in keinem Land der Welt mehr Uni-Absolventen als in Südkorea. Am 7. November 2019 hat das Bildungsministerium in Seoul nun seine rund 80 Elite-Schulen abgeschafft. “Ich nehme die Sorgen der Öffentlichkeit ernst, dass die Ungleichheit im Schulsystem auch zur Ungleichheit zwischen den gesellschaftlichen Schichten führt”, begründete Ministerin Yoo Eun-hae die Maßnahme. https://www.rnd.de/politik/schuler-in-sudkorea-mit-drei-stunden-schlaf-an-die-pisa-spitze-KLSGXZQZSFFE5KPHYP76BI6HXA.html
Bei aller Wertschätzung für Herrn Joss und seinen Kampf gegen den Illetrismus muss ich ihm in diesem Punkt widersprechen. Professor Roland Reichenbach hat durchaus auf die negativen Seiten des koreanischen Bildungssystems hingewiesen. Auf die Frage des Interviewers, was man von diesem Bildungssystem lernen könne, meinte der ausewiesene Koreakenner: “Ich wüsste nicht, was man von diesem System lernen könne.” Er wies auf die “shadow education” hin und verschwieg auch den hohen Konkurrenzdruck nicht. Im Gegensatz zu vielen selbstgefälligen Koreakritikern berichtete er aber auch über die vielen bemerkenswerten Leistungen der koreanischen Lehrkräfte und Schüler. Das nenne ich differenzierte Auseinandersetzung, wie sie dem Condorcet-Blog auch würdig ist.
Und so nebenbei: Man sollte auch die Leistungen dieses Landes bei der Pandemiebekämpfung zur Kenntnis nehmen.