Ergebnisse mehrerer Studien haben gezeigt, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene beim Schreiben von Hand mehr lernen und sich besser daran erinnern.
Jetzt bestätigt eine aktuelle Studie diese Befunde. Audrey van der Meer von der norwegischen technisch-naturwissenschaftlichen Universität in Trondheim (NTNU) veröffentlichte eine Arbeit, bei der sie die Gehirnaktivität bei zwölf jungen Erwachsenen und zwölf Kindern untersuchte. Dies ist das erste Mal, dass Kinder an einer solchen Studie teilnahmen.
Die Ergebnisse zeigen, dass das Gehirn sowohl bei jungen Erwachsenen als auch bei Kindern beim Schreiben von Hand viel aktiver ist als beim Tippen auf einer Tastatur. «Die Verwendung von Stift und Papier gibt dem Gehirn mehr ‘Haken’, an denen sie ihre Erinnerungen festhalten können», sagt van der Meer. Das Schreiben von Hand ist sehr sinnlich: Wir halten den Stift in den Händen, bewegen diese, riechen die Tinte, sehen wie sich ein Wort auf dem Papier bildet und hören, wie der Stift übers Papier gleitet. Dieser ganze Prozess öffnet unser Gehirn und macht den Schreibprozess nachhaltiger, weil verschiedenste Areale des Gehirns aktiviert werden.
Mal abgesehen von der Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit eines handgeschriebenen Texts, geht es beim Schreiben auch ums Lernen und Memorieren.
Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass die Handschrift Qualitäten besitzt, welche von der Tastatur nicht erreicht werden. Mal abgesehen von der Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit eines handgeschriebenen Texts, geht es beim Schreiben auch ums Lernen und Memorieren. Studien zeigen, dass Studenten, die in der Vorlesung ein handschriftliches Skript verfassen, den Inhalt der Veranstaltung besser behalten als diejenigen, die mit ihrem Laptop arbeiten.
Van der Meer befürchtet, dass wir die Fähigkeit, von Hand zu schreiben verlieren könnten. Die heutige digitale Realität ist, dass Tippen, Wischen und Bildschirmzeit einen grossen Teil des Alltags von Kindern und Jugendlichen ausmacht.
In der Schweiz besitzen 99 Prozent der 12 – 19 Jährigen ein eigenes Handy, welches sie wochentags während 2,5 Stunden und am Wochenende während 3 Stunden nutzen. Dazu besitzen 73 Prozent noch einen eigenen Computer/Laptop. (Zahlen: James-Studie, 2018). Zu diesen beiden hohen Werten kommt nun zusätzlich ein steigender Anteil von Bildschirmzeit an den Schulen.
Abschreckende Kulturtechniken wie die Handschrift werden auf das vordergründig Funktionale reduziert.
Weniger Frust mit Tastaturschreiben?
Der Lehrplan 21 sieht bereits im 1. Zyklus (Kindergarten bis 2. Primar) vor, dass die Kinder «mit den grundlegenden Elementen der Bedienungsoberfläche eines Textprogramms umgehen» können. In der Debatte über Handschrift oder Tastaturgebrauch in der Schule glauben einige Lehrer, dass Tastaturen weniger Frustration für Kinder verursachen. Sie weisen darauf hin, dass Kinder längere Texte früher schreiben könnten und grundsätzlich motivierter zum Schreiben seien. Ausserdem sei das Schreiben mit Tastatur weniger ermüdend. Demgegenüber betont van der Meer die Wichtigkeit, dass Kinder die anstrengende Phase des Lernens von Hand durchlaufen. Die komplizierten Handbewegungen und die Formgebung von Buchstaben seien in mehrfacher Hinsicht von Vorteil. Und der Philosoph Liessmann doppelt nach: Abschreckende Kulturtechniken wie die Handschrift würden auf das vordergründig Funktionale reduziert. Dies werde erkauft mit dem Verzicht auf die Möglichkeit, souverän über unterschiedliche Techniken des Erzeugens und Lesens von Texten zu verfügen. Für die Schule kann dies nur heissen: Stärkung der Handschrift in der Primarschule und vermehrter Einsatz der Schreibtastatur erst ab der Sekundarstufe.
Urs Kalberer, 25. November 2020
Quellen:
Eva Ose Askvik, F. R. (Ruud) van der Weel, Audrey L. H. van der Meer. The Importance of Cursive Handwriting Over Typewriting for Learning in the Classroom: A High-Density EEG Study of 12-Year-Old Children and Young Adults. Frontiers in Psychology, 2020; 11 DOI: 10.3389/fpsyg.2020.01810
https://www.zhaw.ch/storage/psychologie/upload/forschung/medienpsychologie/james/2018/Ergebnisbericht_JAMES_2018.pdf