Der Reformkritiker kam an diesem Mann nicht vorbei. Er geisselte den Frühfremdsprachenunterricht als «monumentalen Blödsinn», unterschrieb als erster zusammen mit anderen prominenten Wissenschaftlern ein Manifest gegen die einziehende Vermessungskultur, gegen Harmonisierungswahn und die Bürokratisierung der Schule und war ein leidenschaftlicher Anwalt für die Sache des Kindes.
Als er mich mit dem Journalisten Martin Beglinger vor zehn Jahren zu Hause besuchte, um mehr von meinen Erlebnissen in der Mission Hill Schule in Boston zu erfahren (siehe «Deborah Meier – Mission Hill in Boston oder Warum ich die USA immer noch liebe. 2. Teil, 29.10 20), interessierte er sich fast mehr für meinen damals 13-jährigen Sohn als für mich.
Genauso dezidiert, wie er die Reformauswüchse kritisierte, grenzte er sich aber auch gegenüber den konservativen und SVP-nahen Kreisen der Reformgegnerschaft ab.
Genauso dezidiert, wie er die Reformauswüchse kritisierte, grenzte er sich aber auch gegenüber den konservativen und SVP-nahen Kreisen der Reformgegnerschaft ab. Er war klar für die Frühförderung, unterstützte den zweijährigen Kindergarten und die Kindertagesstätten. Das traditionelle Familienbild war für ihn – dem Pragmatiker und Empiriker – ausgelaufen, keine Alternative angesichts der Atomisierung unserer Gesellschaft.
Er unterstützte unseren Condorcet-Blog mit Geld und Namen, konnte aber mit den Verfechterinnen und Verfechtern traditioneller Unterrichtsmodelle nichts anfangen. Er war ein klarer Vertreter des individualisierten Unterrichts.
Er schätzte den Gedanken Condorcets, der das Konzept der Mündigkeit vertrat, des Rechts eines jeden Kindes, frei über sein Leben zu entscheiden. Aber wenn ich ihn mit den praktischen Schwierigkeiten des pädagogischen Alltags konfrontierte, wenn ich ihm die Grenzen des individualisierten Unterrichts aufzeigte, meinte er lapidar: «Du kannst nicht nur die Schüler fordern, du musst auch dich fordern.» Mit meinen Leistungsforderungen an meine Schüler konnte er wenig anfangen. Remo Largo konnte in Diskussionen sehr unnachgiebig argumentieren, hörte aber den anderen Argumenten genau zu. Es ist genau diese Unabhängigkeit des Geistes, die mich an diesem Mann immer wieder faszinierte. Wie sagte es schon der britische Lyriker Thomas Eliot: «Jeder schöpferische Geist ist auch ein Kritiker!»
Er war nicht immer so ruhig und gelassen, wie er an Anlässen wahrgenommen wurde. Aber so wie er die Eltern bei ihren scheinbar schwierigen Erziehungsentscheiden beruhigen konnte, so gelang ihm das auch bei seinen reformkritisch erregten Diskutanten. «Dieser Kompetenzunfug wird sich von alleine erledigen», versprach er mir einst.
Wenn ich all die Stunden vergegenwärtige, die ich im Widerspruch zu Reformhektik, Digitalisierungswahn und Ökonomisierung aufgewendet habe, können durchaus resignative Gedanken aufkommen. Die Begegnungen mit so wunderbaren Menschen wie Remo Largo entschädigen, auch wenn – oder gerade weil – man sich mit dem Widerspruch zur eigenen Meinung konfrontiert sieht.
Er wird uns fehlen.
Alain Pichard